Kolumne: Als ob! - Michael Wolf lässt sich von einer Bemerkung von Sasha Marianna Salzmann irritieren
Beethoven was black
von Michael Wolf
3. März 2020. Beethoven war schwarz. En passant, in einem Nebensatz, behauptet das die Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann in einem Text für das Wiener Burgtheater. Ich bin kein großer Klassik-Kenner, war dennoch hochgradig irritiert und fing sogleich an, zu googeln. Dass Beethoven schwarz gewesen sein soll, hatten vor allem afro-amerikanische Künstler und Bürgerrechtler immer wieder behauptet, unter anderen Malcolm X. Die Beweislage ist aber recht dünn.
Ein Kupferstich als Anhaltspunkt
1. Sein Teint soll dunkel gewesen sein, was man an einem (nachgedunkelten) Kupferstich erkennen könne. 2. Er war eng befreundet mit einem afro-europäischen Geiger (was allerdings kaum etwas über seine eigene Hautfarbe verrät). 3. Seine Familie kam aus Flandern, das eine Zeit lang zum Königreich Spanien gehörte, in dem wiederum eine maurische Minderheit lebte (die allerdings nicht aus Subsahara-Afrika stammt). Die Hinweise beflügeln seit mehr als hundert Jahren die Fantasien, einer historischen Untersuchung konnten sie bislang nicht standhalten. Vornehm ausgedrückt, darf man die Theorie als Urban Legend bezeichnen, oder auch als Quatsch.
Ich habe mich über Salzmann geärgert. Warum verbreitete sie etwas, von dem sie wissen müsste, dass es nicht stimmt? Und was sollte es eigentlich für einen Vorteil haben, wenn Beethoven schwarz gewesen wäre? Ist diese Umdeutung einer Hautfarbe nicht gar rassistisch? Meine Fragen führten nirgendwohin. Es dauerte eine Weile, bis ich meine Perspektive änderte und anstatt über Salzmanns Motive zu spekulieren, meine eigene Reaktion überdachte.
Warum ärgerte ich mich eigentlich? Warum bedeutet es mir etwas, wenn jemand Beethoven postum für schwarz erklärte? Warum pochte ich bei einer Schriftstellerin so sehr auf historische Korrektheit? Ausgerechnet ich, unter dessen Kolumnen steht: "Michael Wolf mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein." Mir schien mit einem Mal, als verteidigte ich eine Art Besitzstand. Ich war mir Beethovens weißer Hautfarbe sicher und ich wollte sie ganz offenbar nicht hergeben. Als wäre Beethoven als Nicht-Schwarzer einer wie ich gewesen und als müsste ich ihn davor schützen, von "der anderen Seite" gekidnappt zu werden. Die Reklamation Beethovens war ein Diebstahl, war Betrug, ein anmaßender Akt, da nicht gedeckt durch die Gerechtigkeit historischer Evidenz. Andererseits: Wie schwer wog er angesichts der – wiederum historisch verbürgten – Diebstähle schwarzer Kulturgüter? Nicht sehr schwer, musste ich mir eingestehen.
Zur Empathie gedrängt
Vor kurzem polterte Zeit-Redakteur Thomas Assheuer gegen Identitätspolitik generell und den Vorwurf der kulturellen Aneignung im Speziellen: "Wenn es nur den Mitgliedern einer ethnischen Opfergruppe gestattet sein soll, von ihrem Schmerz zu sprechen, dann ist das nicht bloß ein Empathieverbot für 'Kulturfremde', sondern schlimmer: Es ist die Absage an jede Form sprachlicher Verständigung. Es gibt dann keine Solidarität unter Fremden." Ich finde, das ist zu pauschal verurteilt und zu kurz gedacht. In diesem meinem Falle hatte ich sogar den Eindruck, zur Empathie gedrängt worden zu sein und dazu, erlittenes Unrecht ein kleines Stück weit nachzuempfinden. Dieser Nebensatz bei Salzmann lud mich ein, meine Haltung zu hinterfragen und mich annäherungsweise in die Lage jener Menschen zu versetzen, für die das Ausgebeutetwerden geradezu zur kulturellen Identität gehört.
Lob des Unberechenbaren
Ich möchte mit dieser Kolumne nicht per se identitätspolitische Initiativen verteidigen, erst recht nicht im Theater. Ich finde Kunst sollte, soweit irgend möglich, ihren immanenten Regeln folgen, diese selbst formulieren und sie sich nicht von außen oktroyieren lassen. Anderenfalls liefe das Theater Gefahr, zum simplen Medium politischer Kommunikation zu verkümmern, das der Kunst – als unberechenbares, nicht zu regulierendes Moment – notwendigerweise misstrauen müsste. Aber es kann auch anders gehen, das hat mir Salzmanns Text, das hat mir ihr kleiner Nebensatz gezeigt. Natürlich ist und bleibt es Quatsch zu behaupten, Beethoven sei schwarz gewesen. Aber es ist produktiver Quatsch. Und damit schon sehr nahe dran an dem, was ich auf Theaterbühnen am liebsten sehe.
Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.
In seiner letzten Kolumne forderte Michael Wolf ein Ende der Realitäts-Flutung der Kunst.
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Das Ganze – die falsche Geschichte über Beethoven und die angeblich verschwiegene über Puschkin- verwendet Salzmann nun, um ihre eigene schwierige Identitätsfindung als Jüdin mit der der People of Colour zu vergleichen. Auch das Jüdische an der Kultur sei ausgelöscht und vergessen, deutet sie an, wie der Schauspieler Turan Bey, mit dessen verblasster Briefmarke sie den Text anfängt. Mit dieser Argumentation kommt sie ausgerechnet in Wien! Gustav Mahler- Operndirektor. Max Reinhardt - Gründer der Salzburger Festspiele. Arnold Schönberg, Sigmund Freud, Karl Krauss, Schnitzler, Werfel, Zweig, Joseph Roth – die soll keiner mehr kennen? Verschwunden sind nicht ihre Namen und ihre Werke- verschwunden sind die Menschen. Von 200.000 Juden waren nach dem Krieg in Wien noch knapp 7.000 übrig bzw. sind aus den Lagern zurückgekommen. Der Rest war vertrieben oder ermordet. 10% der Bevölkerung, das Zentrum der Wiener Kultur. Keine exotischen Einzelerscheinungen, sondern scheinbar in der Mitte der Gesellschaft angekommene und hochgeachtete Menschen, die völlig sicher waren, dass ihnen nichts mehr passieren könnte. Das weiß hier jeder, und natürlich denkt Kurz an diese Namen, wenn er stolz von “Österreichischer Identität” spricht. Das hat ihn nicht davon abgehalten ein Parlament mit Nazis zu bilden, die ganz ungeniert antisemitische Parolen äußern. Darauf müssen Juden in Wien heute ihre Identität aufbauen- und das ist wirklich schwer. Wenn also eine Jüdin in einer Wiener Zeiung eine abstruse Verschwörungstheorie über Beethovens Hautfarbe hervorzieht um über die Allgegenwärtigkeit des Rassismus zu sprechen, dann ist das auf merkwürdige Weise taktisch- keine wahrhaftige Geschichte über ihre eigene Identitätsfindung, (über die sie wunderbare Bücher und Stücke geschrieben hat).Kein harmloser “produktiver Quatsch”.