Aufmarsch der Muttermodelle

von Sabine Leucht

München, 24. September 2008. Das stand mal an: Dieses ganze Gewese um das große Thema Mütterlichkeit auch einmal künstlerisch in die Breite wachsen zu lassen. Wenigstens in einer kleinen Produktion hier in der Muffathalle, auf deren Bühne Alu Walter zu diesem Zweck eine Menge Podeste aufgestellt hat – und zwar so viele, dass sie einmal die volle Länge des Raumes ausfüllen und den Mädels Platz geben, sich zu zeigen. Der Bühnenbildner ist so ziemlich der einzige Mann im ganzen Team, das anfangs noch auf die schreibende und öffentlichkeitswirksame Mithilfe von Mitmännern wie Albert Ostermaier gesetzt hatte, schließlich aber ganz alleine klar kam.

Ausnehmend gut sogar. Denn was die Frauen um die Regisseurin Inga Helfrich unter dem Titel "Die deutsche Mutter: Eine Theaterexpedition" jetzt in München auf die Bühne brachten, war entlarvend und gemein, gruselig und urkomisch, wie es mal redselig und mal genau auf den Punkt vor allem die Schattenseiten des Mutterseins ausleuchtete. Und es ist natürlich genau so, wie jede Mutter ohnehin längst weiß: dass nämlich der Mythos um das allumfassende Glück im Alltag alt aussieht.

Emotionaler Schraubstock

Die eine läuft emotional Amok, sobald ihr Mann morgens die Wohnung verlässt. Die andere schwafelt ihr Baby in Grund und Boden. Und die jugendliche Mum, die auf den die Bühne flankierenden Leinwänden sexy für die Kamera posiert, kann noch so sehr Haut und Po zeigen. Der kleine Junge an ihrer Hand steht so drollig und offen deplatziert in der Landschaft herum, dass ihr eigenes Bemühen lächerlich wirkt. Und dazu noch unsensibel und dumm.

Zwischen dem Wahnsinn der permanenten Überforderung und dem Wahnsinn der Liebe stecken die Gefühle wohl nicht nur der deutschen Mutter im Schraubstock: Einerseits der Resttraum von einem anderen Leben jenseits des Mutterseins, in dem das Kind als Klotz am Bein empfunden wird. Andererseits der überzogene Stolz auf jede Lebensäußerung der Kleinen, die ersten Kunstwerke von Einjährigen zum Beispiel.

Und der Druck von allen Seiten wächst permanent: "Aikido ab sechs, Kochschule ab drei, Action Painting ab sieben, Babyschwimmen ab null..." Viel, sehr viel, können, sollen Kinder machen. Und Mütter können, sollen arbeiten oder gerade nicht, oder wenigstens ein bisschen oder nur nachts. Egal. Immer wird irgendwer bedenklich das weise Haupt schütteln: Tz, tz, tz.

Patchwork-Mammis im Goldbustier

So zeigt der terrassierte Laufsteg der Muttermodelle hier von Anfang an Patchwork-Mammis, die schon vom Styling her ganz und gar nicht eins mit sich selber sind. Ein Gold-Bustier unter der Trainingsjacke, Stilettos zu Hotpants: Tendenziell haben sich die Mädchen und Damen sportiv zum Lebenskampf gerüstet. Im Detail aber jagen sie vor allem der Sichtbarkeit nach.

Das tun sie glitzernd und grell, und wahrscheinlich immer auch ein bisschen verzweifelt. Einmal singen sie alle sehr laut und sehr falsch, als sei die Musik der letzte Ort, den die (Selbst)Zensur nicht erreicht. Und einmal flüstern sie zu Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" fast unhörbar "Hello, hello, hello". Sieht sie denn überhaupt noch einer, die "deutsche Mutter"?

Was sie zu sagen hat, haben Inga Helfrich, Alexandra Helmig, Kristina Nenninger und Katrin Dollinger aus etlichen Gesprächen mit Müttern heraus gefiltert. Märchen-Splitter und kleine literarische und historische Einsprengsel werden durch immer wieder großartige Texte der Schauspielerinnen ergänzt. Da gibt Kaufen "Energie", wird mitten beim Sex auf die Uhr geschaut, sich nach Hingabe gesehnt und mit der Nanny um "Playdates" gefeilscht.

Das ganze, nervtötende Stimmengewirr

Nicht alles davon ist mütterspezifisch, manches bleibt auch rätselhaft oder wirkt dramaturgisch beliebig. Nur langweilig ist dieser Abend, dem man eine längere Laufzeit wünschen würde, nie. So richtig furios wird er besonders in seinen chorischen Momenten, wenn beispielsweise die sieben Schauspielerinnen aus wenigen Satzbausteinen das ganze nervtötende Stimmengewirr eines heterogen besetzten Elternabends entstehen oder mit Stichwortkaskaden aus "Kuschelsutra", "Effektivität", "Rabenmutter" und "Supermum" die beklemmende Fülle der Ratgeberliteratur über die Zuhörer hereinbrechen lassen.

Mehr noch als die genaue Auswahl der Texte beglückt der Minimalismus der darstellerischen Mittel. Einen langen Monolog über die eigene Kindheit, Verletzungen und aktuelle Probleme mit kollektiv gleichbleibendem "Oh, Gott!" zu sekundieren, ist schon reichlich gewieft. Das "Oh, Gott!" wird dabei in regelmäßigen Abständen eingeworfen, dazu mechanisch genickt, die Kinne weit vorgereckt und dabei nicht die Spur eines Ausdrucks im Gesicht: Genau so sieht geheuchelte Anteilnahme aus. Und genau so hat das ganze Elend mit den Müttern zum Bild werden müssen.


Die deutsche Mutter. Eine Theaterexpedition (UA)
von Liese Müller
(das sind: u.a. Alexandra Helmig, Kristina Nenninger, Katrin Dollinger und Inga Helfrich.)
Inszenierung: Inga Helfrich, Bühne: Alu Walter.
Mit: Mareile Blendl, Sophie Engert, Bettina Hauenschild, Alexandra Helmig, Monika Manz, Stefanie von Poser und Annalena Roters.

www.muffathalle.de

Kritikenrundschau

Die deutsche Mutter hechele "einem ideologisch aufgeladenen Phantasma hinterher", meint Petra Hallmayer in der Süddeutschen Zeitung (26.9.2008). Der Dekonstruktion dieses Phantasmas in Inga Helfrichs Theaterprojekt "Die deutsche Mutter" hat sie um so lieber zugeschaut: "Frei von allem Mütterkitsch und mit ätzender Selbstironie" zeichne der Abend "das polyphone Porträt einer zerrissenen Figur, das Scheitern an einem Ich-Ideal voller Widersprüche, die sich in den medialen Modellgeschichten so traumhaft auflösen, in denen den Müttern alles zugleich gelingt". "Gruselig, pointiert und ungemein komisch" führe Helfrich "das Prinzip einer permanenten Überforderung vor, zeigt Frauen zwischen Glücksbeschwörungsformeln, Restträumen von dem Autonomie- und Selbstverwirklichungsversprechen der Moderne, Liebe, Verzweiflung und mühsam gezähmter Wut."

 

Kommentare  
Deutsche Mutter: Und die Besetzung?
Wäre es sehr vermessen von mir, die Besetzung erwähnt zu wünschen?
W,W,W,W + W - wäre doch nach wie vor informativ.
mfg
G.Auer

Antwort der Redaktion:
Nein, gar nicht vermessen. Haben wir jetzt ergänzt. (peko)
Kommentar schreiben