Selbst ist die Retterin

von Cornelia Fiedler

Oberhausen, 6. März 2020. "Ich bin nicht nett. Ich bin die Größte aller Zeiten!", diesen Satz der Boxweltmeisterin Claressa Shields auf einer Bühne zu hören, ohne jede Scham strahlend herausposaunt, das hat etwas unendlich Befreiendes. Wenn dieser Abend, der aus O-Tönen kampferprobter Frauen kollagiert ist, dann ganz ernst mit den Worten "das Patriarchat muss weg" endet, wirkt das nicht aufgesetzt. Es ist die konsequente Schlussfolgerung aus einer logischen Abfolge von Überlegungen. Anders geht es eben nicht.

Videospiel-Erzählmodus

Zentrales Motiv der theatralen "Kampfansage mit und ohne Gewalt" des Kollektivs Frauen und Fiktion, das hiermit den Auftakt zum Feministischen Minifestival am Theater Oberhausen bestreitet, ist das "Fräulein in Not": eine hilflose Frau, die ständig von männlichen Helden gerettet werden muss – in Blockbustern, Spielen, Märchen, Jugendbüchern, Sagen, Comics. Ein Topos, der nicht ohne Folgen bleibt – nicht für die Jungs, die die gewaltbereite Heldenrolle aufgezwängt bekommen. Nicht für die Mädchen, die sich mit einer Figur identifizieren, die außer ihrem hübschen Körper nichts zu bieten hat – und den erhält am Ende meist der Held zu freien Verfügung.SaveMe2 560 Karl Bernd Karwasz uFräulein in Not? Eher MMA-Kämpferin, die sich selbstbewusst durchschlägt: Shari Asha Crosson "(save me) not" © Karl-Bernd Karwasz

Bei allem Ernst, den ein Abend über Frauen und Gewalt fordert, ist "(save me) not" ungeheuer leicht und spielerisch. Das Performance-Kollektiv hat aus dem Jahrtausende alten Befreiungskampf ein theatrales Videospiel über vier Level entwickelt, die da heißen: 1. Aufbrechen, 2. Verteidigen, 3. Kämpfen, 4. Auflösen. Auf einem Sechseck aus Turn-Matten vor einer halbrunden Videoleinwand starten drei Spieler*innen in ein animiertes Jump 'n' Run-Game: Sie rennen, springen und sammeln pinke Kristalle. Wenn sie den Blick wenden, wandert das Video ruckelnd mit.

Sprünge über Backsteinmauern

Jeden Schritt und Sprung, jede überwundene Backsteinmauer kommentiert Musikerin Lina Krüger vom Bühnenrand aus live mit 90er-Jahre-Soundeffekten. Wenn ruhiges Erzählen angesagt ist, mischt Krüger wie beiläufig Elektrosongs, singt ein paar sanfte Töne ein, loopt ihren Atem, lässt Klänge rieseln, Beats plockern und Bässe grollen.

SaveMe4 560 Karl Bernd Karwasz uGewalt als legitimes Mittel: neue Schule der Frauen in "(save me) not" © Karl-Bernd Karwasz

Level für Level kommen verschiedenste Frauen* zu Wort, in Game-Szenen, im choreographierten Kampf, im lockeren Gespräch. Es sind Originaltöne und Zitate aus Interviews mit Aktivist*innen, Kampfsportler*innen, Sozialarbeiter*innen, Selbstverteidigungs-Trainer*innen, die meisten von ihnen aus Oberhausen und Umgebung. Einmal gibt Shari Asha Crosson den O-Ton einer Interviewten wieder, die berichtet, dass eine ihrer Freundinnen als Jugendliche ermordet wurde. Ihr Umfeld gab der jungen Frau damals selbst die Schuld, warum sei sie auch getrampt.

Elisabeth Hoppe spielt und erzählt die unglaubliche Geschichte einer Zehnjährigen, die von einer Motorrad-Gang so lange drangsaliert und körperlich angegriffen wird, bis das Mädchen ausrastet, zurückschlägt, durch einen lucky punch freikommt und von nun an weiß, dass Gewalt bei Gefahr ein legitimes Mittel ist.

Schule neuer Reaktions-Muster

Dieses Schlüsselerlebnis führt zum nächsten Level: zur Frage, ob und wie Frauen, die in einer patriarchalen Gesellschaft sozialisiert sind, auf Gewalt reagieren. Die vorgestellten Ansätze reichen vom ersten Frauennotruf und dessen Devise "besser vergewaltigt als tot", bis zur Gründung von Selbstverteidigungsschulen für Frauen. Was frau lernen sollte, führen Philipp Joy Reinhardt und Shari Asha Crosson wunderbar comicmäßig in Zeitlupe vor: ein Schlag auf die Ohren bringt das Trommelfell zum Platzen, ein Kniestoß in den Bauch schafft Freiräume, ein Treffer gegen den Hals kann tödlich sein.

Hier verlässt der Abend endgültig den Pfad der sanften Weiblichkeit: "Greift ein Mensch mich an und ich muss ihn bei meiner Verteidigung verletzten, ist dies so, als ob er (…) sich selbst auf die Nase schlägt. Muss ich ihn töten, hat er Selbstmord begangen, als er mich angriff", fassen die Spieler*innen knapp zusammen. Die Vehemenz irritiert zunächst – und doch ist es genau das, was "Notwehr" juristisch bedeutet.

Gewalt unabhängig vom Geschlecht

Level drei geht noch einen Schritt weiter und handelt von der Aneignung nicht nur der körperlichen, sportlichen Gewalt durch Frauen, sondern auch der Freude daran. Auf einem animierten Trainings-Parcours voller Sandsäcke kommen Boxerinnen und MMA-Kämpferinnen zu Wort. Es geht um Männer, die weibliche Kolleginnen nicht ernst nehmen; um pervertierte Weiblichkeits-Normen im Sport, die 2019 zur völlig absurden Disqualifizierung der Läuferin Caster Semenya aufgrund zu hoher Testosteronwerte führten.

Und es geht um die Frage, warum es so schwer ist, zu akzeptieren, dass Kampfsportlerinnen ebenso mit Begeisterung Gewalt ausüben, wie ihre männlichen Kollegen. Nach drei Levels, die politische Reflexion, Originaltöne und Spielszenen ungeheuer stimmig zusammen gebracht haben, fällt das Finale sehr kurz aus. Auch das ist konsequent. Dieses Level ist noch nicht zu Ende gespielt. Bis das Patriarchat sich auflöst ist, wird noch einiges Rennen und Springen nötig sein – und diverse Kicks in diverse Weichteile.

 

(save me) not
von Frauen und Fiktion (Anja Kerschkewicz, Eva Kessler, Felina Levits, Paula Reissig)
Regie: Frauen und Fiktion, Bühnenbild: Luisa Wandschneider, Kostümbild: Frauen und Fiktion, Musik: Lina Krüger, Jonas Mahari, Video: Frauen und Fiktion, Dramaturgie: Hannah Saar.
Mit: Shari Asha Crosson, Elisabeth Hoppe, Philipp Joy Reinhardt.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theater-oberhausen.de

 

Kritikenrundschau

"Mit fortschreitender Spieldauer entledigen sich die 'Jungfrauen in Not' all ihrer Fesseln. Sie können Schrauben drehen und sie können kämpfen", schreibt Sebastian Bauerschäfer in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (9.3.2020). Das letzte Level ende folgerichtig mit der Forderung: "Das Patriarchat muss weg." "Und weil das nie freundlich wuchs, sind Tritte und Schläge erlaubt", so Bauerschäfer: "Die Zuschauer nutzen ihre Hände allerdings auf friedliche Weise: Sie klatschen minutenlang Applaus."

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