Leiser Knall

von Jan Fischer

Göttingen, 13. März 2020. Immer größer aufgepumpt wird der grüne Ballon, die Druckluftmaschine surrt. "Freiheit ist ne Hure" von Milliarden ist aufgedreht, die Rollvorrichtung mit spitzer Nadel ist in Position gebracht, die Darstellerinnen und Darsteller tragen Schutzbrillen, Schutzmasken, Gehörschutz. Einzelne Menschen im Publikum halten sich präventiv die Ohren zu. Und dann? Aus. Schwarz. Applaus.

Integrations-Missverständnisse

"Bombe!" ist eine Inszenierung der falschen Erwartungen. Zum Beispiel Nasim, der als Figur das Leben des Stückautors, Youtubers (und mittlerweile fertig ausgebildeten Zahnarzts) Abdul Abbasi spiegelt. Der von Syrien über die Türkei mit einem Studienvisum einreist, um in Deutschland Zahnmedizin zu studieren, aber als bemitleidenswerter Geflüchteter erst einmal mit einer Zahnbürste, Teddys und Altkleidersammlungs-Klamotten willkommen geheißen wird. Mühevoll dem Amt erklären muss, dass er kein Asylsuchender ist. Der in der Zahnmedizin-WhatsApp-Gruppe einen Witz über Bomben postet und erst einmal Ärger mit der Polizei bekommt. Der sowieso ständig gefragt wird, ob er als Syrier nicht eine Bombe dabei hätte. Ständig bemitleidet wird. Oder angefeindet, wahlweise als Terrorist, Messerstecher oder Vergewaltiger. Aber, und das ist der Punkt in "Bombe!", nicht wahrgenommen wird.

 Ganz normale legale Einreise mit Security-Check: "Bombe!" am DT Göttingen Ganz normale legale Einreise mit Security-Check: "Bombe!" am DT Göttingen © Thomas Müller 

In kleinen Szenen collagiert Philipp Löhle in "Bombe!" solche Missverständnisse, die auf falschen Klischeevorstellungen beruhen. Aufgeschrieben hat sie Löhle wiederum zusammen mit Abdul Abbasi, der sich auch auf seinem Youtube-Kanal GermanLifeStyle mit Klischeebildern auseinandersetzt, damit auch bei der TV-Satire-Show "extra3" zu Gast war und ein Buch dazu veröffentlicht hat.

Kunst des Konjunktiv II

Die Szenen in "Bombe!" ergeben über die Zeit ein dichtes Bild dieser Klischeevorstellungen, das immer wieder gebrochen wird – eine Kriegsszene ist eben nicht der Krieg in Aleppo, Nasim spielt nur gerade mit seinem Kumpel "Counterstrike". Nasim lässt sich nicht von einem Schlepper nach Europa schleusen, versucht es lieber legal. So wird Stück für Stück die Geschichte einer anderen Flucht, oder besser: Migration erzählt, die eben keine Flucht ist, sondern ein Studienweg, der in starkem Kontrast zu fest gefügten Bildern steht, wie so eine Migration von Aleppo nach Deutschland auszusehen hätte und was für Menschen sie unternehmen.

Das Schöne an "Bombe!" ist dabei allerdings, dass die Inszenierung lustig ist. Wenn im Publikum niemand so ganz genau den Konjunktiv II erklären kann, Nasim immer wieder "Ich liebe dich" sagt, weil das anfangs der einzige Satz ist, den er auf Deutsch kann, oder Spezi als "das größte Verbrechen, dass es jemals gab" bezeichnet wird, sind das Lacher aus dem Publikum.

 Bombe 1 560 ThomasMueller uSpiel mit festgefügten Bildern, wie so ein Fluchtweg aus Aleppo auszusehen hat © Thomas Müller 

Die zwei Darstellerinnen und Darsteller teilen sich die Rolle von Nasim, der Rest ist mal eine Freundin, mal der Oliver-Kahn-artige Beamte des BAMF, mal ein Imam in Istanbul, der ein günstiges Zimmer gegen aufgezwungene religiöse Erziehung vermietet. In der Dichte der Szenen liegt dabei etwas Tragikomisches – tragisch, wie es immer tragisch ist, ein Heimatland zurückzulassen. Komisch wie eine – verdichtete, übertriebene – Aneinanderreihung der Absurdität von Nasims Erlebnissen, der sich freundlich und höflich durch diesen ganzen Irrsinn lächelt.

Die Eulenspiegel-Route

Obwohl das Eingangsbild – das Publikum muss durch ein Einreiseverfahren mit Metalldetektor und Taschenkontrolle in den Theatersaal – eher ernst ist, obwohl hin und wieder auch der ein oder andere Nazi zu Wort kommt oder hier und da Kritik am Vorgehen von Behörden und Polizei durchscheint, ist Löhle und Abbasi mit dem Text eine charmante Komödie gelungen. Die geht zwar nicht unbedingt in die Tiefe, versucht, mit leisen kritischen Tönen, dennoch einen anderen Blick auf Migration und Integration zu werfen. Da passiert nicht der ganz große Knall – aber das muss ja auch nicht, Nasim ist keiner, bei dem es knallt. Nur einer, der, nicht unbedingt freiwillig, auf der Eulenspiegel-Route nach Deutschland einreist.


Bombe!
von Abdul Abbasi und Philipp Löhle
Regie: Philipp Löhle, Bühne und Kostüme: Henrike Engel, Dramaturgie: Sonja Bachmann.
Mit: Marius Ahrendt, Roman Majewski, Marie Seiser, Gaia Vogel.
Premiere am 13. März 2020
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.dt-goettingen.de

 

Kritikenrundschau

"Diese unterhaltsame und vom Publikum umjubelte Inszenierung lädt dazu ein, Antworten zu suchen — oder die Absurdität dieser Frage zu entdecken," schreibt Udo Hinz im Göttinger Tageblatt (14.3.2020). „Bombe!“ zeige Missverständnisse, kulturelle Unterschiede und menschliche Gemeinsamkeiten verschiedener Kulturen auf. "Die entscheidende Frage dieses herrlich turbulenten Stückes fällt irgendwann zwischendurch: Ab wann sei man richtiger Deutscher?"

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