"Es geht um Existenzen"

Dorothee Starke im Telefoninterview mit Esther Slevogt

26. März 2020. Die Interessensgemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen INTHEGA ist neben Bühnenverein und Verband der Freien Theater die dritte Säule der deutschen Theaterlandschaft. Sie vertritt 400 Mitgliedsstädte und erreicht mit etwa 600 Spielstätten ohne eigene Ensembles im gesamten deutschsprachigen Raum zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern. Dorothee Starke ist seit Mai 2019 Präsidentin der INTHEGA.

Frau Starke, was bedeutet die aktuelle Krise für ihre Mitglieder?

Die Häuser, die die INTHEGA vertritt, liegen in der Regel abseits der Metropolen, im ländlichen Raum, in Klein- und Mittelstädten – die INTHEGA vertritt die Kultur- und Theaterarbeit in der sogenannten Provinz. Durch die aktuelle Krise sind große Teile des kulturellen Lebens im ländlichen Raum existenziell gefährdet.

Könnten Sie das an Fallbeispielen modellhaft erläutern?

Die Mitgliedshäuser der INTHEGA und ihre Strukturen sind sehr unterschiedlich. Es gibt die großen Schlachtschiffe wie das Theater Wolfsburg, Schweinfurt, Hameln und auch Iserlohn, Theatergebäude mit mehreren Bühnen, mehreren Abo-Ringen und an die 200 Veranstaltungen und mehr im Jahr. Und es gibt kleine und kleinste Veranstalter. Gemeinsam ist ihnen, dass alle von Gastspielanbietern bespielt werden, also von Landesbühnen, Tourneetheatern, freien Gruppen oder Einzelkünstlern. Durch die Absage aller Vorstellungen sind für diese Anbieter schwere Konsequenzen zu befürchten. Große Teile der freien Kulturschaffenden leben ohnehin am Rand des Existenzminimums. Bereits ein zweiwöchiger Einnahmeausfall kann für sie das Aus bedeuten.

inthega Wolfsburg ScharountTheater 560 Vanellus CC BY SA 4 0 jpgDas Wolfsburger Scharoun-Theater © Vanellus CC BY SA 4.0

Wie sieht es für Kultureinrichtungen kleiner Orte aus?

Zu unseren Mitgliedern gehören wie gesagt auch kleinste Veranstalter, Orte wie Sulingen oder Barsinghausen mit teilweise unter 10.000 Einwohnern. Hier wird das Kulturprogramm häufig mit viel Engagement von einem ehrenamtlichen Verein organisiert. Gerade habe ich vom Theaterleiter eines vereinsgetragenen Hauses eine dramatische Mail erhalten. Darin schildert er ziemlich genau seine Lage: Zwar bekommt er einen Zuschuss von Stadt und Landkreis. Der aber deckt nicht einmal ein Viertel der Ausgaben. Drei Viertel seiner Kosten werden von Einnahmen aus Veranstaltungen gedeckt. Dieses Geld bricht ihm jetzt weg. Im Gegensatz zu kommunal getragenen Gastspielhäusern gibt es bei Häusern, die von Kulturvereinen getragen werden, keine Zuschusspflicht im Fall von Unterfinanzierung. Also droht Insolvenz. Da im ländlichen Raum ein großer Teil des Kulturangebots von Vereinen getragen wird, besteht die Gefahr, dass mit dieser Krise ein wichtiger Teil der kulturellen Grundversorgung dauerhaft wegbricht.

Können hier nicht die Kommunen finanziell helfen?

Auch wenn sie wollten, können die Kommunen das häufig nicht auffangen. Daher befürchte ich, selbst wenn wir im Herbst wieder spielen können, die Krise noch nicht vorbei ist. Denn es geht dann um den Haushaltsausgleich des Jahres. Es gibt schon jetzt Kommunen, die ihr Kulturprogramm nur mit großen Schwierigkeiten aufrechterhalten können – die Probleme haben, in ihren Häusern die Brandschutzauflagen umzusetzen, ihre Bühnen in Stand zu halten. Wenn jetzt durch die aktuelle Krise noch ein großes Defizit im Haushalt hinzukommt, dann wird das für die Kommunen eine Herausforderung, der nicht alle gewachsen sein werden. Da hoffe ich sehr, dass es von Seiten des Bundes eine Unterstützung geben wird.

inthega Sulingen AlteBürgermeisterei 560 KulturvereinDie alte Bürgermeisterei ist einer von drei Spielorten des Kulturvereins Sulingen (Niedersachsen)
© Kulturverein Sulingen

Was sind Ihre konkreten Forderungen an die Politik?

Die Staatsministerin für Kultur hat ja als ein Schwerpunktthema die Kultur im ländlichen Raum ausgerufen. Unsere Forderung, die jetzt noch lauter postuliert werden muss, ist, dass auch Geld in den Kommunen ankommt, um die Kultur im ländlichen Raum aufrecht erhalten zu können. Auch die Soforthilfe greift für viele unserer Mitglieder nur, wenn es sich um eigene kleine Unternehmungen handelt, aber nicht, wenn es sich um Einrichtungen mit städtischen Zuschüssen handelt. Damit droht die Gefahr, dass die zahlreichen kleineren Aufführungsstätten wegbrechen. Dann fiele aber auch für die Freien und die Privattheater eine wichtige Säule ihrer Auftritts- und damit auch Einnahmemöglichkeiten fort. Die kulturelle Infrastruktur im ländlichen Raum ist ein fragiles Gesamtkonstrukt.

Welche Maßnahmen wurden ergriffen?

Wir haben unseren Mitgliedern empfohlen, Veranstaltungen zu verschieben statt abzusagen, wobei ich mittlerweile denke: Das ist nur die bessere von zwei schlechten Lösungen. Denn auch die Zeit in der nächsten Spielzeit ist sehr begrenzt. Da sind die Veranstaltungen ja längst geplant. Und die Menschen werden nicht unendlich ins Theater rennen, um das alles nachzuholen, was jetzt wegfällt. Es wird ja auf einen konkreten Bedarf hin geplant und produziert.

Was ist Ihr Gebot der Stunde?

Am wichtigste ist im Moment, dass die Künstler*innen, Solo-Selbstständigen und Kleinst-Unternehmen aufgefangen werden, weil es da schlicht um Existenzen geht. Dass für diese Fälle das Soforthilfeprogramm auf Bundes- und Länderebene aufgelegt wurde, ist großartig. Inzwischen sehen wir allerdings auch, dass die richtig großen Agenturen mit hohen Fixkosten für Personal, Bühnenbilder, Probenräume, Fuhrpark etc. aktuell derartige Einnahmenausfälle haben, dass auch sie in enorme wirtschaftliche Zwänge geraten.

inthega Kulturzentrum Rathenow 560 HavellananTourismusDeDas Kulturzentrum Rathenow (Brandenburg) wurde 1958 in der DDR als Kulturhaus eröffnet und 2004 als Kulturzentrum wieder eröffnet © Havelland Tourismus

Die INTHEGA ist zwar der Zusammenschluss der Häuser und Bühnen ohne Ensemble – aber wenn die freien Gruppen und selbstständig arbeitende Künstler*innen und Unternehmen, die diese Häuser in der Fläche bespielen, kaputt gehen, dann wird das für uns natürlich auch einen enormen Verlust an künstlerischer Vielfalt bedeuten. Wir müssen beide Seiten mitdenken: die Institutionen und die Kulturschaffenden, die sie bespielen. Deswegen ist das Gebot der Stunde, die Künstler*innen aufzufangen und in einem zweiten Schritt zu gucken, wie die kulturelle Infrastruktur in der Fläche – also in den Gemeinden, Städten und Dörfern – aufgefangen und aufrecht erhalten werden kann.

Wie geht es Ihnen persönlich mit der aktuellen Situation?

Ich empfinde eine große Trauer, denn so vieles, was wir aufgebaut haben, steht nun zur Disposition. Dann habe ich wirklich die allergrößte Sorge um die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler. Wir haben in den letzten Jahren ja in Deutschland einen großen Fokus auch auf die Kreativwirtschaft gesetzt. Da ist so viel entstanden. So vieles, das auch das Leben in den Städten ausmacht. Ich weiß wirklich nicht, wie das alles aufgefangen werden kann. Das macht mich gerade wirklich fassungslos. Ich habe aber auch die Hoffnung, dass uns diese schwierige Zeit zusammenschweißt und wir gestärkt und mit klaren Zielen daraus hervorgehen.

 

DorotheeStarke INTHEGA 280 RainerBerthin uDorothee Starke ist studierte Germanistin und Theaterwissenschaftlerin. Sie war an verschiedenen Stadt- und Staatstheatern Dramaturgin und Pressereferentin, bevor sie 1997 Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin der Theater im Fischereihafen GmbH in Bremerhaven wurde. Von 2008 bis 2016 war sie Direktorin des Theaters Hameln. Seit 2000 hat sie einen Lehrauftrag für Kulturfinanzierung und Sponsoring an der Hochschule Bremen. 2016 wurde sie Leiterin des Kulturamts Bremerhaven. 2019 wurde sie zur Präsidentin der INTHEGA gewählt.

 

Mehr zum Thema: Ist Stadttheater auch dezentral zu denken? Silvia Stolz, Intendantin des Stadeum, über kulturelle Vielfalt in der Fläche (9/2019)