Wozu denn handeln?

von Johanna Lemke

Leipzig, 26. September 2008. Hamlet steht immerhin an zweiter Stelle. Davor kommt "Die Schockstrategie", was ein Sachbuch und damit schon mal eine ungewöhnliche Grundlage für eine Theaterinszenierung ist. Naomi Klein, die kanadische Amerikakritikerin und Heldin der Globalisierungsgegner weltweit, verfasste im letzten Jahr den 650-Seiten-Koloss "Die Schockstrategie" und sorgte damit für durchaus polarisierende Meinungen.

Sie spürte in dem Buch jene Taktik auf, mit der die westliche Welt aus Katastrophen Geld macht. Eine Nation im Schockzustand bietet Naomi Klein zufolge nämlich die besten Voraussetzungen für einen Feldzug des Neoliberalismus. Zu beobachten in den USA nach dem 11. September oder nach dem Wirbelsturm Katrina, im Irak nach der Bombardierung oder in Argentinien nach dem Falkland-Krieg. So würden im Zustand der "Tabula Rasa" nach einer Katastrophe z.B. Rohstoffressourcen zu Schleuderpreisen verkauft oder das Gesundheits- und Bildungssystem für den Markt freigegeben. Kurz: der Kapitalismus macht sich Notsituationen zunutze.

Zur Anschauung Elektroschocks

In ihrer Inszenierung hat Jorinde Dröse, die neue Hausregisseurin am Leipziger Centraltheater, Naomi Klein selbst auf die Bühne gesetzt, gespielt von Anna Blomeier. Sie ist ein rhetorisches Genie: Knackige Schlagwörter und fiese Wahrheiten, Al-Gore-like haut sie ihre Botschaft heraus. Sie versetzt sich selbst zur Anschauung Elektroschocks und brüllt später marxistische Platitüden ins Publikum. Naomi Klein will aufwecken, um jeden Preis.

Und da hätten wir dann auch Hamlet (Guido Lambrecht), den verzweifelten Prinzen, der nicht handeln kann. Bei Dröse wird er zum Revoluzzer, weil er die Wahrheit zu kennen meint und sie der Welt kundtun will. Doch der Protest erstarrt sogleich. Hamlet hält sein Plakat mit den blutroten Lettern in die Höhe, stellt sich sogar auf die Zehenspitzen, damit wirklich alle lesen können, was er zu sagen hat: "Mord!" steht dort. Doch gerade in der Abgedroschenheit seiner Phrasen kommt der Rebell Hamlet dem lethargischen Zauderer bewährter Hamlet-Interpretationen erstaunlich nah. Weil ja meist doch nichts passiert außer Gebrüll.

Ophelia, Hamlet und Naomi

Er ist hier zwar nicht mehr nur der Melancholiker, doch gerade in seinem blinden Agitationswahn wirkt er in Leipzig tatenlos wie nie zuvor. Denn: Wozu denn handeln? Was nützt die Emsigkeit des Widerstands, wenn wir dadurch – wie Hamlet Ophelia – das eigentlich Wertvolle verlieren? Die Ebenen verschwimmen mehr und mehr, dann öffnet sich auch der güldene Vorhang, der den Hintergrund gebildet hatte, und entblößt eine Bühne mit lauter halbfertigen Kulissenteilen und knallbunt bemalten Prospekten.

Es herrscht Schock-Strategie im Staate Dänemark, und Claudius plant die Privatisierung der staatlichen Ressourcen. Eine Plakate schwingende Naomi Klein springt in die Szene, später sitzen Naomi, Hamlet und Ophelia zusammen auf dem Boden und diskutieren über die Folgen des Neoliberalismus. Als eine weitere Ebene erscheinen zwischendurch (und später tragend) Video-Einspielungen. Manchmal Filmausschnitte, manchmal die direkte Übertragung dessen, was hinter den Prospekten stattfindet. Das soll nicht weniger als die Diskrepanz von Fiktion und Wirklichkeit hinterfragen.

Einfach Shakespeare

Warum sich die Inszenierung dieses Thema noch auflastet, es am Ende jedoch nicht mehr aufgreift, bleibt offen. Die Mitmachtheater-Elemente hingegen funktionieren, erstaunlicherweise. Sogar Szenenapplaus gibt es da, was selten gewesen ist in diesem Saal in den letzten Jahren. Dann wieder, und das ist durchaus ein mutiger Zug der Inszenierung, gibt es ganz pure "Hamlet"-Szenen. Ohne hereinstürmende Protestler und Parolen, einfach Shakespeare.

Wenn Hamlet seinem Geist gewordenen Vater begegnet oder eine elisabethanisch flachgeschnürte Gertrud sich mit ihrem von Schmerz verhärteten Sohn balgt, kommt das ohne bemühte Zeitgenossenschaft aus. Bedauerlich nur, dass diese Passagen bisweilen allzu sehr im Stil vergangener Theateravantgarden gespielt werden: Hamlet brüllt seine Mutter an und drückt sich dann infantil an ihren Busen, Gertrud lässt sich auf Inline-Skates von Claudius auf einen roten Teppich rollen und erscheint wie eine Puppe – nicht gerade neue Lesarten dieses Stücks.

Da steht zum siebenhundertsten Mal der Zweifler der Nation auf der Bühne und bemitleidet sich feierlich selbst. Elisabeth Müller wenigstens spielt Ophelia auch mal als krakeelende Nervensäge – aus dem wortwörtlichen Korsett des armen Hascherls kann sie sich aber nicht befreien. In dieser, über weite Strecken sehr amüsanten Inszenierung sind es immer wieder die 'reinen' Shakespeare-Passagen, die sich selbst zu ernst nehmen und dadurch dem Ganzen etwas fremd gegenüber stehen.

Auch die wunderbare Selbstironie, mit der Naomi Klein und ihre Theorien hopps genommen werden ohne sie zu verlachen, sie kommt bei den altehrwürdigen Figuren zu kurz. Ach ja, ein Tipp zum Schluss: Versuchen Sie, einen Platz in der ersten Reihe zu bekommen. Es könnte sich lohnen.

 

Die Schock-Strategie. Hamlet
von Naomi Klein / William Shakespeare
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Bettina Schürmann, Video: Jan Speckenbach. Mit: Anna Blomeier, Martin Brauer, Ellen Hellwig, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Elisabeth Müller, Norman Schenk.

www.centraltheater-leipzig.de

 

Mehr über Arbeiten von Jorinde Dröse? Hier geht es zur Nachtkritik ihrer Inszenierung von Jonas Hassen Khemiris Bühnenerstling INVASION! im März 2008 an den Münchner Kammerspielen. Hier lesen Sie, wie die Regisseurin im  Februar in Bochum mit dem Filmstoff Einer flog über das Kuckucksnest verfuhr. Und hier, wie sie im September 2007 am Berliner Maxim Gorki Theater Friedrich Hebbels Maria Magdalena umgesetzt hat

 

Kritikenrundschau

In der Leipziger Internet Zeitung (27.9.2008) weist Kurt W. Fleming anlässlich Jorinde Dröses "Schockstrategie. Hamlet" darauf hin, dass sich die Einsichten, die Naomi Klein in ihrem Bestseller "Schockstrategie" über den globalen Kapitalismus niedergelegt hat, nicht sonderlich von den früheren unterschieden, die Karl Marx und Friedrich Engels im "Kommunistischen Manifest" formuliert hatten. Dann erzählt der Autor den Abend kursorisch nach, um zu schließen: "Im Großen und Ganzen muss klar gesagt werden, dass es sich hier um eine erstklassige Aufführung handelt". Neben den "sehr guten SchauspielerInnen", die man schon aus der Ära Engel kennte, "lieferten" die von Hartmann ans Theater geholten neuen SchauspielerInnen "beste Qualität".

"Ist das noch Theater oder schon Agitprop?" hätte sich das Publikum in der Debatte nach der Aufführung gefragt, berichtet Gisela Hoyer in der Leipziger Volkszeitung (29.9.2008). Sie selbst fasst Jorinde Dröses Inszenierung mit folgenden begeisterten Worten zusammen: "Zwei Stunden so pointiert wie sinnlich inszenierte Nachdenklichkeit über Menschen in ausweglosen Situationen, über die Hemmungslosigkeit von Macht, über den Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus – und die Chancen, sich dagegen zu wehren." Dass die Arbeit als "szenische Lesung" ausgewiesen sei, würde die Genre-Frage "erledigen", fährt sie fort. Und wie von Sebastian Hartmann für Leipzig programmatisch versprochen, sei auch dies: "Kunst, die unmittelbar Stellung nimmt, sich einmischt." Dröse erzähle in einem "böse ironisch willkürlichen Puzzle aus Sätzen, Szenen, Bildern, Musik, Videoeinspiel sowie jeder Art und Menge Assoziationen und Zitaten: urkomisch, bitterernst." Dies sei natürlich "eine Parabel", ein "Spiel mit Utopie und Wirklichkeit, das verführerisch ein Licht am Ende des Tunnels verheißt, während doch alle wissen, dass der explodierende Energiebedarf der Erde nur eines der unlösbaren Probleme ist."

 

Kommentare  
Dröses Hamlet: Kritik ist Grundstudiums-Übung
"bedauerlich nur, dass diese Passagen bisweilen allzu sehr im Stil vergangener Theateravantgarden gespielt werden" usw. ich finde es einfach nur bedauerlich, auch hier im nachtkritikforum zunehmend kritiken zu lesen, die sich einfach nur in ihren platitüden gefallen - auch als kritiker,gerade als solcher sollte man vielleicht mal eine entscheidung treffen und nicht zwischen hamlet-lanweilig und hamlet-spannend-fand-ichs schwanken.
gerade weil der abend so sehr einer stringenz entbehrte wäre es schön gewesen, mal was komprimiertes dazu zu lesen und nicht diese abfolge-nacherzählende grundstudiums-übung.
Dröses Hamlet: Schockstrategie ist neue Mausefalle
"Es herrscht Schock-Strategie im Staate Dänemark, und Claudius plant die Privatisierung der staatlichen Ressourcen." Genau SO einfach ist es eben NICHT, das verbindende Element von Shakespeares und Kleins Werk auszumachen, das war am vorgestrigen Abend allenfalls illustrativ gemeint. Wiewohl einiges an diesem Abend zu plakativ und auch unfreiwillig (sic!) komisch geriet; aber mehr Spielfreude und Szenenapplaus war auch selten in diesem Haus. Nein, anders: der nach dem Tod des Vaters unter Schock stehende Hamlet begreift die Machtnahme seines Onkels zunächst nur zögerlich, dann aber umso eindringlicher. Claudius nutzt die Tabula Rasa (die Klein zu Beginn beschrieb), um seine Claims abzustecken. Hier ist die Parallele zwischen Helsingør und Globalisierungspolitik bzw. Katastrophenkapitalismus. Und bei Shakespeare versucht Hamlet weiter, die Untaten seines Onkels über das "Spiel im Spiel" (Die Mausefalle) zu entlarven. Nichts anderes passierte vorgestern auf der Bühne. Jetzt fragt sich nur, ob Kleins "Schockstrategie" die neue "Mausefalle" in "Hamlet" ist oder "Hamlet" vielleicht die "Mausefalle" der "Schockstrategie". Na? Ich weiß es nämlich noch nicht so richtig. Und deswegen brauchte es trotz des eigentlich redundanten Hamlet-Monologes und viel zu viel Ophelia-Schmuses genau DEN Teil (das ist die "Mausefalle") aus Shakespeares "Hamlet" eben auch nicht, ist doch klar.
Die Spielerei mit dem "Eisernen", das Aufflackern der Saalbeleuchtung - das wäre im übrigen ein perfekter Schlussakkord gewesen. Die letzte halbe Stunde bot mir nämlich nicht mehr viel (Hamletmonolog blabla), es war ä bissl zerrig. Trotzdem: mit wenigen Einschränkungen vor allem in der ersten Hälfte großartiger Abend mit teils prächtigen Ideen; werde ich mir unbedingt nochmals anschauen!
Dröses Hamlet: keine einfache Moral, zum Glück!
Ich habe den Abend sehr genossen. Nicht erst, als Naomi Klein als "erhobener Zeigefinger" verpackt den langen Weg von der Rampe bis zur hintersten Hinterbühne abging (oder abstolperte) war klar, dass die Moral des Abends nicht so einfach zu erteilen ist, wie Klein oder Bush, Globalisierungsgegener oder -befürworter es uns gerne weismachen wollen! Schon allein dafür gebührt der Aufführung im Centraltheater ein großes Lob, das noch getoppt wird durch die fließenden, aber niemals zu glatten Übergänge zwischen "Schock" und Hamlet. Da hat sich etwas hergstellt, aus dem Theater schöpfen kann, ohne sich mit schwerfälligen Gegenwartsbezügen anzubiedern. Kritik möchte ich aber auch noch anbringen, nämlich daran, daß die Besprechung einer solch hervorragenden Inszenierung in den Feuilletons offenbar den leichtverdaulichen "Bestsellern" "Feuchtgebieten" (in Halle) und "Die Vermessung der Welt" (in Braunschweig) zum Opfer fällt. Das wirft kein gutes Licht auf die Theaterrezensenten, die doch sonst immer so schnell die Nase rümpfen, wenn von den Bühnen der Mainstream winkt. Das ist mehr als schade, es ist peinlich!
Dröses Hamlet: Was ist eine altmodische Ästhetik?
Also ich fand die Kritik von Johanna Lemke nur eindimensional und altklug. Sie hat gar nicht klar machen können, wo nun der inhaltliche Anknüpfungspunkt zwischen N. Klein und W. Shakespeare war und ob das an der Inszenierung lag, die selber diesen Punkt nicht richtig herausgearbeitet hat. Wenn jemand über altmodische Ästhetiken meckert, sollte er wenigstens erklären, was er denn darunter versteht. Außerdem könnte das vielleicht eine Bedeutung haben, wenn eine Regisseurin sich für diese Ästhetiken entscheidet.
Dröses Hamlet: Kinners, die Sprache! Die Sprache!
"'Die Schockstrategie', was ein Sachbuch [...] ist"

"und sorgte damit für durchaus polarisierende Meinungen"

"Sie spürte in dem Buch jene Taktik auf"

Ich weiss, es ist wohl off-topic, aber dennoch: darf man von Rezensentinnen nicht einen etwas sorgfältigeren Umgang mit Sprache verlangen?
Dröses Hamlet: Alles für die Katz
@BösFux:
"und sorgte damit für durchaus polarisierende Meinungen" - Jawoll, danke! Siehste, so betriebsblind ist man mittlerweile, dass man dieses stilistische Scheusal im allerersten Ansatz geflissentlich überlesen hat. Man müsst' sich schämen, eigentlich. Dabei dachte man doch, mit dem "kompletten Sick" im Hause den Fahrplan aller zu umschiffenden stilistischen etc. pp. Klippen auf der Habenseite verbuchen zu dürfen ... denkste!
Vielen Dank für diesen (wohl immer wieder und erneut nötig anzubringenden) off-topic-Eintrag! Man kann's nicht oft genug sagen. Wir wollen hoffen, dass Frau Lemke das auch "internalisiert" hat, wie wir alten Psychologie-Abbrecher sagen, und uns inskünftig qualitativ bessere Beiträge postet, sonst wäre das hier leider alles für die Katz, Fux, Bös (er).
Danke fürs Augenöffnen!
Dröses Hamlet: Wir sind doch nicht bescheuert!
ich war am sonntag ebenfalls ins der vorstellung. gut gefallen haben mir besonders die zwei schauspieler, die ich noch aus der engelzeit kenne.
zu dem neuen ensemble möchte ich mich lieber nicht äußern. es wird ja sowieso schon in grund und boden geschrieben.
was mich aber wirklich geärgert hat, ist, daß uns die neue regisseurin offenbar für ein bisschen bescheurt hält. ihre eingearbeiteten propagandatexte haben mir persönlich den abend kaputt gemacht und was das alles mit shakespears stück zu tun haben soll, weiß ich bis jetzt immer noch nicht.
klar kann ich mir dazu was ausdenken, aber schön wäre doch, wenn man die sachen sieht, um die es geht. gerade im theater - oder bin ich da zu altmodisch?
Dröses Hamlet: Kommentator doch zu altmodisch
@ bernd steiger:

JA!
Dröses Hamlet: bitte mehr Relevanz
Es ist mir klar, dass Studenten, die zum ersten mal die Möglichkeit bekommen sich zu äußern, dort einen kleinen "Pflaumensturz" bekommen.

Theater hat eine gesellschaftliche Funktion. Diese drückt sich darüber aus, dass man mehr als explodierende Pickel auf das Publikum losläßt.

Liebe Theater-Schaffende und Freunde: wollen wir Aufklärung oder NPD/PDS-TV?

Was Frau Dröse am Schauspielhaus veranstaltet hat würde jedem PDS-Parteigänger gefallen, und fällt zusammen, wenn man Wirklichkeit wirklich untersucht.

Ich will kein Studententheater am Schauspielhaus oder dem Central-Theater sehen. Das sollen die Studenten in der Neuen Szene machen.

Bitte nehmt mich ernst und versucht nicht klüger zu sein, als die Intellektuellen der Stadt.
Dröses Hamlet: Theater zu Suppenküchen
Theater macht keinen Sinn mehr im Hinblick auf die Finanzkrise und Supergau an der Börse und Zusammenbruch einiger Banken.
Studententheater hin oder her, oder?
Diese Dekadenz in Pelzmänteln, was soll das? Und die Typen mit Reclamheftchen? Uch, hoffentlich verstehe ich was da oben passiert. Und Subventionstheater wie am Kammertheater Stuttgart? Besoffener Regisseur, Text-Fragment von Koltès? Tanzstunde für Intellektuelle? Was soll das? Macht aus dem Kammertheater ne Suppenküche! Mit Merkel- und Ackermannpuppen!
Centraltheater? Wieder ne nette Verpackung, oder? Eine Marketingidee.
Wann bricht alles zusammen? Wann kommt das arme Theater im Hinterhof?
Dröses Hamlet: infantil
Es wird kein ordentlicher Text: Schon zu viel Lebenszeit verschwendet mit dem Theaterbesuch, etwas Zorn will dennoch raus:

Die Schockstrategieebene hatte eine jenem Buch entnommene Idee - oder sagen wir: These, welche durchaus einleuchtet. Nur: das ist in zwei Minuten erledigt, dazu braucht's nicht zwei Stunden. Es sei denn, man hält das Volk / das Publikum für blöde. Was man offenbar tut.

Der Inhalt der Mitmachtheaterszenen: Ja, das hat mich auch mal beschäftigt - - - als ich so etwa siebzehn Jahre alt war. Oder sollte dies provokant sein? Welch intellektueller Dünnschiss, das kann sogar Das Wort zum Sonntag besser, sagt der Atheist.

Und Hamlet? Dieses grandioseste Stück der Weltliteratur soll wohl Zuschauer locken bzw. das Bühnenstück bedeutungsschwer machen. Schade nur, dass das schon alles war: Nicht ein Fitzelchen neuer Deutung, Akzentsetzung geschweige denn Entdeckung kam hier auf die Bühne. Shakespeare aber (oder wer auch immer den Hamlet geschrieben hat) war nicht ganz untalentiert - liebe Theatermacher, wenn ihr euch berufen fühlt, besser zu sein, so schreibt doch eigene Stücke und degradiert solcherart Vorlagen nicht zur Illustration auf Gartenlaubenniveau.

Leid haben mir die Schauspieler getan. Die waren gut - und müssen mit dieser überflüssigen Inszenierung vors Publikum.
Dröses Hamlet: vehement erschüttert
Ich habe an diesem Theaterabend alles bekommen, was ich nur erwarten kann:

Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, meinen Sitznachbarn anzuschreien.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, den Darstellern auf der Bühne etwas zurufen zu müssen.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, hinausgehen zu wollen.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, verstanden worden zu sein.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, jetzt nicht bei etwas ertappt werden zu wollen.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, meine Kinnlade nicht wieder lösen zu können.
Ich hatte mindestens einmal das Gefühl, nicht alles verstanden zu haben.

Vor allem aber war ich an einer Stelle ganz vehement erschüttert. Erstaunt von mir selbst, DASS ich überhaupt so erstaunt bin! Nämlich führte Jorinde Dröse und ihr Ensemble mich erneut an die Grenzen des ,als-ob' und deklarierten REALITÄT im Theater.

Wie wir es aus zahlreichen Inszenierungen zu vor bereits kennen: Ein Darsteller tritt Brechtgleich aus seiner Rolle und erläutert seine Diskrepanz (Vgl. Ich bin Guido Lambrecht und ich weiß gerade nicht weiter, denn Hamlet würde jetzt dies und jenes tun/sagen, aber damit kann ich mich nicht vereinbaren). Auch "Gesellschaftsspielchen", die dem Zuschauer optische Täuschung vor Augen führen und "Was wäre, wenn..."-Gedankenspiele. All das haben wir bereits gesehen. Und Dröse erschöpft sich nicht darin, uns eine weitere Aufzählung dieser vermeintlichen Brüche vorzuhalten. In diesen scheinbar experimentellen Theaterformen soll Realität in die Inszenierung einziehen.

Tatsächlich aber gipfelt diese Aufzählung von Experimentellem TATSÄCHLICH in Realitätsbeeinflussendem: Die Darsteller greifen an diesem Abend ein in meine Lebenswirklichkeit, indem sie 100€ vergeben. 100 bare Euro, die die Realität eines Menschen verändern. Es geht mir hierbei nicht ums Geld. Es geht mir um das Gefühl, das ich hatte, als ich nicht fassen konnte, DASS hier gerade ein ECHTER VORGANG geschieht, der eben nicht mehr "nur" Zugucktheater ist, sondern (M)ein Leben verändert!
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