Presseschau vom 19. April 2020 – Verschiedene Medien über den Streit um Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale

Wessen Kampagne?

Wessen Kampagne?

19. April bis 9. Mai 2020. Mehrere Medien untersuchen und kommentieren die Ankündigung des kamerunischen Historikers und Professors an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale und die Kritik daran, angeführt vom kulturpolitischen Sprecher der FDP im NRW-Landtag, Lorenz Deutsch und vom Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus Felix Klein.

Lorenz Deutsch zufolge soll Mbembe die "israelkritische" (und vom deutschen Bundestag als antisemitisch verstandene) Bewegung BDS unterstützt haben, indem er vor zehn Jahren eine Petition unterschrieben hat, berichtet Stefan Keim im Deutschlandfunk. "Darin wurde die Universität von Johannesburg – also nicht die Hochschule, an der Mbembe lehrt – aufgefordert, die Zusammenarbeit mit der Ben Gurion-Universität in Israel abzubrechen." Auf Nachfrage, so Keim, habe Achille Mbembe erklärt, er habe keine Verbindung zum BDS und gehöre keiner Interessengruppe oder Organisation an.

Hintergrund

Bereits 2018 gab es Auseinandersetzungen zwischen Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp und Landespolitiker*innen, nachdem Carp die Band Young Fathers, die sich in der Vergangenheit mit der BDS-Kampagne solidarisch erklärt hatte, nicht aus ihrem Festival ausladen wollte – die Band sagte ihren Auftritt schließlich selbst ab. (Hier unser Interview mit Stefanie Carp zu der Sache vom 11. Juli 2018). Genauso wie damals die "Young Fathers", die vorher u.a. in der Berliner Volksbühne und den Münchner Kammerspielen aufgetreten waren, ohne dass das irgendein Aufsehen erregt hätte, hat auch der namhafte Postkolonialismus-Forscher Achille Mbembe in der deutschen akademischen Welt bereits etliche Auftritte absolviert und ist mit Ehren bekränzt worden.

Auch und vor allem im Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem auch die Ruhrtriennale situiert ist: 2019 lehrte Mbembe als Albertus-Magnus-Professor an der Universität zu Köln, als Nachfolger von Arthur Danto, Noam Chomsky und Judith Butler. Ebenfalls 2019 hielt Mbembe im Düsseldorfer Schauspielhaus eine Rede über die Frage, ob es ein Menschenrecht auf Mobilität gibt. "Es scheint also klar, dass es nicht um die Person Achille Mbembe geht, sondern um den vor zwei Jahren ausgebrochenen und schon damals völlig übersteigerten Kleinkrieg zwischen Stefanie Carp und Teilen der Landespolitik", meint Stefan Keim im Deutschlandfunk. "Schaden nehmen dabei alle: die Ruhrtriennale, das Land und vielleicht auch Mbembe, der die Proteste gegen ihn eine dumme und rassistische Diffamierungskampagne nennt."

Relativierungsvorwurf

Einen zweiten, weitergehenden Vorwurf gegen Mbembe erhebt der Felix Klein. Klein sagte zur Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (15.4.2020), für die Eröffnungsrede eines aus öffentlichen Geldern finanzierten Festivals wie der Ruhrtriennale, sollte "eine Person ausgewählt werden, die dieser Verantwortung gerecht wird – und nicht in der Vergangenheit bereits durch die Relativierung des Holocaust aufgefallen ist."

Patrick Bahners geht dem Relativierungsvorwurf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach: "Achille Mbembe, ein notorischer Relativierer des deutschen Völkermords an den Juden?" Den akademischen und kulturellen Institutionen, die Mbembe nach Deutschland eingeladen haben, sei dieser nicht wegen entsprechender Äußerungen aufgefallen. Laut Klein hat Mbembe "in seinen wissenschaftlichen Schriften nicht nur den Staat Israel mit dem Apartheidssystem Südafrikas gleichgesetzt, was einem bekannten antisemitischen Muster entspricht", sondern auch "das Existenzrecht Israels in Frage gestellt". Patrick Bahners bat Klein um den bibliographischen Nachweis dieser Schriften und wurde von dessen Referat auf den Offenen Brief des FDP-Landtagsabgeordneten Lorenz Deutsch verwiesen, "der eine Schrift nennt, den Nachdruck eines Kapitels aus dem 2017 auch bei Suhrkamp erschienenen Buch 'Politik der Feindschaft' in der Zeitschrift 'Radical Philosophy'."

Die betreffenden Passagen dokumentierten aber bei genauer Lektüre gerade, dass Mbembe Holocaust und Apartheid nicht gleichsetze – lässt Bahners Michael Hanssler entgegnen, den Vorstandsvorsitzenden der Gerda Henkel Stiftung, die Mbembe vor zwei Jahren den mit 100 000 Euro dotierten Gerda Henkel Preis für herausragende Forschung in den Geisteswissenschaften verlieh. "Kritik an israelischem Regierungshandeln lässt sich unserer Auffassung nach nicht schlicht mit einer Relativierung des Holocaust gleichsetzen", zitiert Bahners Hanssler weiter. "Uns sind keine Schriften Mbembes bekannt, die den Vorwurf des Antisemitismus – geschweige denn der Relativierung des Holocaust – rechtfertigen könnten." Hanssler appelliert außerdem an Felix Klein und Lorenz Deutsch: "Ich möchte anregen, dass sich diejenigen, die diese Vorwürfe in Form offener Briefe und durch Pressestatements erhoben haben, zunächst einmal ernsthaft mit Achille Mbembes Werk und mit ihm als Person auseinandersetzen."

In der Tageszeitung Die Welt positioniert Alan Posener sich sehr deutlich gegen die Einladung von Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale: "Ist der Philosoph Achille Mbembe ein Holocaustrelativierer und Israelhasser? Und wenn ja, darf er bei der Ruhrtriennale die Hauptrede halten? Die Antworten: Ja. Nein." schreibt Posener. Er zitiert im Folgenden Auszüge aus der Schrift "Politik der Feindschaft" und schließt: "Nun heißt es in Stellungnahmen zugunsten von Mbembe und Carp, es sei nicht klar, ob Mbembe die BDS-Bewegung unterstützt habe, die mit Boykottmaßnahmen den jüdischen Staat in die Knie zwingen will. Nach seinen eigenen Einlassungen ist es durchaus möglich, dass Mbembe die BDS-Bewegung für zu zahm hält. Jedenfalls dürfte an seinem Antisemitismus, seinem Israelhass und seiner Holocaustrelativierung kaum Zweifel möglich sein."

(sd)

Update vom 22. April 2020: Selbst zu Wort meldet sich Achille Mbembe bei Zeit Online. Die Antisemitismus-Vorwürfe weist er zurück: "Alles, was ich je geschrieben oder gesagt habe, ruht auf einem einzigen Fundament, nämlich der Hoffnung auf die Herausbildung einer wirklich universellen menschlichen Gemeinschaft, von deren Tisch niemand ausgeschlossen wird." Diese "Hoffnung auf eine Aussöhnung der Menschlichkeit mit der Gesamtheit alles Lebendigen" sei für ihn "weitgehend durch bestimmte Traditionen des jüdischen und des afrodiasporischen Denkens inspiriert", so Mbembe in dem Autorenbeitrag. Die Angriffe von Lorenz Deutsch und Felix Klein gegen ihn seien unglaubwürdig und leichtsinnig: Statt alle Kräfte zur Bekämpfung des Antisemitismus zu vereinen, wirkten sie spaltend. Den Kampf gegen den Antisemitismus werde man nicht durch blindes Nachbeten von Dogmen und der Anwendung von Repression oder moralischer Erpressung gewinnen, so Mbembe, sondern "durch die Stärke unserer Prinzipien und die Integrität unserer Handlungen".

(eph)

Update 25. April 2020: "In den Postcolonial Studies scheint die einseitige Parteinahme gegen Israel so normal, dass auch absurde Positionen als legitim gelten," schreiben Saba-Nur Cheema und Meron Mendel in der taz (25.4.2020). So fühle Mbembe mit palästinensischen Selbstmordattentätern mit: "Der Märtyrer in spe sucht nach einem glücklichen Leben." Jeder Anschlag mit "einigen Toten", zitieren sie den Historiker, führe "automatisch zu einer Trauer, die sich wie auf Befehl einstellt". "Bei derart kritischen Geistern, die selbst unbedachte Alltagsäußerungen auf ihr mikroaggressives Potenzial analysieren, muss zunächst einmal ganz grundsätzlich auffallen, wie freimütig sie tödliche Aggression gegen schutzlose Zivilisten – in diesem Fall Juden – ohne großes Wenn und Aber rechtfertigen. Liegt dies an einem grundsätzlichen Konstruktionsfehler der Postcolonial Studies?" Im Spiegel (25.4.2020) greift Tobias Rapp die Causa auf, und gibt u.a. zu Protokoll, Mbembes Nähe zum BDS sei gut dokumentiert.

"80 Seiten lang beschreibt Mbembe in 'Politik der Feindschaft' in düster flackernden Metaphern, aber ohne historische Konkretion, inwiefern der Rassismus in der heutigen Gesellschaft nichts von seiner tödlichen Gewalt eingebüßt habe," schreibt Ijoma Mangold in der Zeit (28.4.2020). "Und während man als Leser ungeduldig auf einen konkreten Beleg wartet, wo genau die ja nicht ganz harmlos klingenden 'Verfahren zur Vernichtung all derer, die von der Demokratie zu Staatsfeinden erklärt werden', Gestalt annehmen, wird Mbembe plötzlich, als breche es wie bei einem unter Tourettesyndrom Leidenden aus ihm heraus, furchtbar konkret: in Israel und seinem Besatzungsregime, das 'an das Modell der Apartheid' erinnere. 'Doch die Metapher der Apartheid reicht nicht aus, um das israelische Trennungsprojekt zu erfassen.' Die 'fanatische Zerstörungsdynamik' Israels ziele darauf ab, 'das Leben der Palästinenser in einen Trümmerhaufen und einen zur Entsorgung bestimmten Berg aus Müll zu verwandeln. In Südafrika erreichten die Trümmerberge niemals solche Ausmaße.'" Hier liegt für Mangold ein Problem von Mbembes Werk: "Die Rhetorik des moralischen Maximalismus, die immer klingt, als sprächen die sieben Engel der Apokalypse gleichzeitig, macht sein Denken der düsteren Gesten anschlussfähig für politischen Aktivismus. Doch ist diese Rhetorik zugleich eine Immunisierungsstrategie gegen kritische Nachfragen."
"Was folgt daraus?", fragt Mangold schließlich: "Mbembe sollte weiterhin nach Deutschland eingeladen werden. Es ist intellektuell fruchtbarer, ihn mit kritischen Nachfragen zu konfrontieren, als seinen moralischen Maximalismus wie eine Donnerpredigt schuldbewusst über sich ergehen zu lassen. Die Postcolonial Studies sind für die Rekonstruktion unserer Gegenwart zu wichtig, als dass wir es uns leisten könnten, sie für sakrosankt zu erklären. Auch hier gilt es, Dogmatismus aufzumischen. Die Debatte um Achille Mbembe wird Argumente und Zusammenhänge schärfen und Phrasen aussortieren, ohne Mbembes großen Beitrag zur Geschichte des Rassismus grundsätzlich infrage zu stellen."

(sle) 

Update 9. Mai 2020. In der taz (2.5.2020) antworten Amos Goldberg (Professor an der Hebrew University Jerusalem) und Alon Confino (Direktor des Instituts für Holocaust- und Genozidforschung an der Universität Amhurst, USA) auf den Text von Meron Mendel und Saba-Nur Cheema (taz, 25.4.2020 siehe oben). In ihrer Kritik fehle die andere Seite der Gleichung, dass nämlich in der deutschen Debatte über Antisemitismus kein Platz für die "kolonialen Aspekte Israels und des Zionismus" sei. "Wenn wir den Zionismus auch als eine koloniale Bewegung von Siedlern begreifen, leugnen wir damit nicht, dass er das legitime Ziel verfolgte, eine Heimat für das jüdische Volk zu schaffen. Und wir leugnen auch nicht das Existenzrecht Israels. Wer die USA, Kanada oder Australien als koloniale Siedlerstaaten beschreibt, stellte ja damit auch keineswegs deren Existenzrecht infrage." Schon in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hätten Zionisten wie Zeev Jabotinsky, Gründer der revisionistischen Bewegung (einer der Ursprungsstränge des heutigen Likud-Blocks von Benjamin Netanjahu) erkannt, dass "der Krieg, den die Araber gegen die zionistische Bewegung führten, nicht im Antisemitismus wurzelte, sondern in dem Widerstand gegen die Kolonisierung Palästinas". Der Zionismus sei eine nationale Befreiungsbewegung gewesen, die einen Ort geschaffen habe, "an dem Holocaust-Überlebende ihr Leben neu und selbstbestimmt in die Hand nehmen konnten. Der Zionismus schuf aber auch einen kolonialen Siedlerstaat, in dem eine klare Hierarchie zwischen Juden und Arabern herrscht und Segregation und Diskriminierung zum Alltag gehören."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.5.2020) verweist der Aachener Historiker Thomas Weber auf einen Text, den Achille Mbembe 1992 nach seiner ersten Israel-Reise in der Kameruner Tageszeitung "Le Messager" veröffentlicht hatte. Der Artikel zeige, dass Mbembe weder zum "Paradebeispiel für den gedankenlosen Antisemitismus der postkolonialen Linken" tauge, noch dass er zum Objekt einer Hexenjagd gemacht werde.  "Die Erfahrungen der Juden in der Schoa" seien für Mbembe der Grund dafür, schreibt Weber, "wieso ihre Erfahrungen und Verhaltensmuster für Afrikaner so viele Lehren böten". Denn Juden und Afrikaner hätten in Holocaust und Sklaverei (Weber schreibt hier: Kolonialismus) "im Kern das Gleiche durchlitten". Mbembe vergleiche, setze aber "die Form westlichen Verhaltens im Holocaust und dem Kolonialismus" nicht als identisch gleich. "Wir [Afrikaner und Juden] können in unseren jeweiligen Geschichten wiederfinden, was es an Scheußlichstem im Zusammenspiel zwischen dem 'Fortschritt'‘ und der Grausamkeit, der 'Zivilisation' und der Barbarei, der 'Vernunft' und der Gewalt gibt." Im Gegensatz zur Sichtweise der meisten postkolonialen Kritiker israelischer Politik träten bei Mbembe Israelis nicht "als die letzten Kolonialherren der Welt auf. Vielmehr seien sie postkolonialen afrikanischen Gewaltherrschern – also den ehemaligen Opfern westlicher Kolonialherren – wesensgleich". Aus Opfern, so schrieb Mbembe 1992, seien Täter geworden, "sei es in Israel, sei es in Afrika". Wenn Stefanie Carp behaupte, "dass Mbembe sich mit Israel nicht beschäftigt“, weil es "nicht sein Thema" sei, dann sei dies ausweislich dieses Artikels von 1992 "falsch". Mbembe habe in Israel 1992 sein Thema gefunden.

(jnm)

 

Mehr zum Thema: Stellungnahme von Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, die Achille Mbembe eingeladen hat.

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