Wie Orchester während der Seuche proben und auftreten können
Berlin, 9. Mai 2020. Wissenschaftler des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomier an der Berliner Charité haben Vorschläge gemacht, mit denen Orchester ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen könnten. Die "Stellungnahme zum Spielbetrieb der Orchesterwährend der COVID-19 Pandemie" wurde auf Initiative von sieben Berliner Orchestern verfasst und ist nach Aussage von Stefan Willich, Direktor des Instituts, selbst Dirigent sowie einige Jahre Rektor der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, eine wichtige Grundlage für den Proben- und Konzertbetrieb. Die beteiligten Forscher raten je nach Instrument zu unterschiedlichen Abständen: Bei den Streichern sollten die Stühle 1,5 Meter voneinander entfernt stehen, für die Bläser zwei Meter. Die Blechbläser sollten durch Plexiglasschutz zu den Menschen, die vor ihnen sitzen, abgeschirmt werden.
Hoffnung auf Normalität
Das Papier solle, so zitiert Jan Brachmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.5.2020) aus einem Gespräch mit Stefan Willich, "Entscheidungsträgern" als Empfehlung dienen, "den Start in die Normalisierung zu beginnen".
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen, schreiben die Epidemiolog*innen sei bekannt sei, dass die Nicht-Ausübung der Berufstätigkeit zu psychischen Störungen und chronischen körperlichen Erkrankungen führe. Auf individueller Ebene wirke Kunst und Kultur gesundheits-und entwicklungsfördernd, Musik habe gar heilende Wirkung. Deshalb solle eine Wiederaufnahme des Kunst-und Kulturbetriebs "parallel zur Wiedereröffnung von Industrie, Handel und Bildungseinrichtungen dringend angestrebt werden".
Laut der FAZ begrüßte Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Stellungnahme aus der Charité, sie habe "Modellcharakter auch über Berlin hinaus". Für Brachmann in der FAZ ist das Positionspapier deshalb wichtig, weil es sich "auf neueste Studien in Wien, den Niederlanden" und "bei den Bamberger Symphonikern" stütze.
Unbegründet weitgehende Regelungen der Berufsgenossenschaften
Dezidiert setzen sich die Berliner Wissenschaftler auch mit den Empfehlungen zum "Arbeitsschutzstandard Sars-CoV-2 für Bühnen und Studios sowie für den Probenbetrieb" des Verbands der Berufsgenossenschaften VBG vom 27. April 2020 auseinander. Die Arbeitsschutzstandards gelten als Richtschnur zur Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes und sollen Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers sein. Im Großen und Ganzen sind die Empfehlungen der Berufsgenossenschaften mit denen der Berliner Wissenschatler*innen vereinbar. Mit zwei Ausnahmen: Während die VBG
eine "Grundfläche von mindestens 20 qm pro Person" auch für Orchestermusiker*innen fordere, weisen die Epidemiologen der Charité darauf hin, dass diese Grundfläche für sich bewegende Künstler*innen auf der Bühne berechnet sei. Da sich die Musiker*innen aber nicht bewegten, sei die Grundregel 20 qm pro Person nicht anwendbar. Auch die von der VBG Handlungshilfe verlangten 12 Meter Abstand in Blasrichtung für die Blechbläser*innen weisen die Berliner als "unbegründet" zurück. Die Regelung sei ohne Bezug zu "musikerspezifischen Besonderheiten, insbesondere die technischen Gegebenheiten der verschiedenen Blasinstrumente" angesetzt worden.
(FAZ / jnm / Deutschlandfunk Kultur)
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