Zurück aus dem Netz

12. Mai 2020. Acht Wochen nach der Theaterschließung heißt es in Hessen, NRW und Sachsen: Es darf wieder geöffnet werden – unter strengen Hygienevorschriften. Spielen ist erlaubt, mit mindestens 1,5 Metern Abstand, die Körper-Kontakt-Kunst geht auf Distanz. Nur: Welches Theater ist unter diesen Bedingungen möglich? Wird das nicht "ein Theater zum Abgewöhnen", wie der Intendant der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier vermutet? Oder doch eine Chance, etwas Neues zu versuchen? Darüber sprechen Susanne Burkhardt und Elena Philipp im Theaterpodcast #25 mit der Theater-Kritikerin Cornelia Fiedler und dem Schauspieler Martin Wuttke.

Theaterpodcast 2020 05 StadionDerWeltjugend 2016 06 28 1 560 ConnyMirbach uFreilichtspiel: "Stadion der Weltjugend" von René Pollesch, 2016 im Autokino Kornwestheim bei Stuttgart © Conny Mirbach

Mit: Cornelia Fiedler (Theaterkritikerin) und Martin Wuttke (Schauspieler)

Martin Wuttke hat schon 2016 in "Stadion der Weltjugend" mit René Pollesch in Kornwestheim den Reiz des Autokinos für Theatermacher*innen und den Schutzraum Auto entdeckt – eine Idee, die derzeit einige Theater aufgreifen. Wiederbelebungstaugliche Formate für ein abstandssicheres und doch sinnliches Theater sind zum Beispiel auch die Rollende Roadshow der Volksbühne oder Theater im Fußballstadion. Und erste Live-Premieren unter Corona-Bedingungen gab es auch bereits – Audiowalks durch die Stadt mit Kurzaufführungen hinter Schaufenstern oder Drive-Through-Inszenierungen in Tiefgaragen.

Gestaltungsspielraum gibt es, auch wenn in den kommenden Monaten "ein ganz anderes Theater" als bislang zu sehen sein wird, wie sich Cornelia Fiedler sicher ist. Verlusten in Corona-Zeiten stehen auch mögliche Gewinne gegenüber, ist auch Martin Wuttke überzeugt. "Vielleicht führt das irgendwann dazu, wenn man alle möglichen Erfindungen im öffentlicher Raum oder andere Umgangsformen mit Theater entwickelt hat, dass man mit besonderer Lust hoffentlich irgendwann in die Theater zurückkehrt."

 

Alle bislang erschienenen Folgen des Theaterpodcasts finden sich hier.

 

 In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur.

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Kommentare  
Theaterpodcast #25: was fehlt
Vielen Dank für dieses Theaterpodcast. Es fehlt leider eine entscheidendes Moment. Die Gruppen der professionellen Freien Szene tragen in vielen Bundesländern das alleinige finanzielle Risiko bei einer notwendigen und kurzfristigen Absage der Spieltremine etwa durch Krankheit, zweiter Corona-Welle, erneutem "Shutdown". Diese Tatsache bremst z.B. die Möglichkeiten für Theater etwa auch unter freiem Himmel, denn keine Gruppe, welche Projektförderung erhält, überlebt die mögliche Rückzahlungsforderung der geförderten Mittel, beim Ausbleiben des Erreichens des Förderzwecks.
Theaterpodcast: Corona-Mindestabstand
Da möchte uns der Herr Reese vom Berliner Ensemble für die nächste Saison also ein Theater schmackhaft machen, in dem zur Sicherung des Mindestabstandes nur noch ein Viertel der Zuschauerplätze verkauft werden können. Ergo steigt also der Subventionsbedarf des Hauses mangels Einnahmen an der Theaterkasse von 80 auf 95 Prozent. Anbieten will uns der Herr Reese dafür Schauspielinszenierungen, in denen die Darsteller auf der Bühne ebenfalls den Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten. Verwunderlich ist nur, dass Herr Reese bei der Umsetzung seiner Ideen auf Leute wie Frank Castorf setzt. Denn die Krisengewinnler des künftigen Corona-Theaters stehen eigentlich schon fest. An erster Stelle ist da der Spezialist für das "Auf-einer-Stelle-marschieren" zu nennen: Ulrich Rasche. Auch die Spezialistin für das "Unter-der-Maske-spielen", Susan Kennedy, wird zweifelsohne dank der neuen Corona-Gesetze auf eine blendende Zukunft hoffen können.
Ehe das sogenannte postdramatische Theater dank Corona zum staatsgetragenen Mainstreamtheater mutiert und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Annäherungen auf 50 Zentimenter als pornographischer Tabubruch gebrandmarkt werden, sollte Herr Reese vielleicht doch für sich selber über eine Lösung nachdenken, die er bei seinen Angestellten bereits gefunden hat: Kurzarbeit. (...)

(Anm. der Redaktion, der Kommentar bezieht sich auf Aussagen des BE-Intendanten im Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunkkultur.de/intendant-oliver-reese-wie-das-berliner-ensemble-die.1013.de.html?dram:article_id=477157. Einige Volten ad personam wurden nachträglich gestrichen.)
Theaterpodcast #25: Regeln
@Oliver Held: Oliver Reese sagt, das Theater hat den Auftrag, Theater zu spielen. Und das tut er, eben entsprechend den aktuellen Regeln. Alle hoffen, daß die Abstandsregeln nicht ewig gelten werden, aber momentan gelten sie nun mal. Die Theater halten sich ja auch an die Brandschutzvorschriften. Und das ist ebenso wenig Zensur. Was ist daran verwerflich? Ist doch toll, dass das BE spielen will, obwohl angesichts der Anzahl möglicher Plätze das Verhältnis Einnahmen/Ausgaben schlechter wird. Die Alternative, wie sie Thomas Ostermeier favorisiert, überhaupt nicht zu spielen, weil es sich nicht "lohnt", entspricht nicht dem Auftrag, der mit den Subventionen verbunden ist. Die Schaubühne hat ihren Finanzplan auf Gastspieleinnahmen und ausverkauften Vorstellungen aufgebaut. Klar haben die jetzt ein Problem. Inszenierungen von Ulrich Rasche werden hoffentlich nicht gespielt werden in 20/21. Da wird im Chor soviel gespuckt und Aerosol in der Luft verteilt, dass es die reinste Virenschleuder wäre. Wie auch bei Opern mit großem Chor. Das kann man nächste Spielzeit vergessen. Keine Wagner-Oper, kein Rasche-Abend. (Erstaunlich übrigens der Zusammenhang.) Da sich - bei Rasche - das Prinzip aber eh immer wiederholt, scheint der Verlust nicht allzu groß. Eher hat die freie Szene ein gutes Blatt. Dort wird seit vielen Jahren mit Zuschauersituationen experimentiert, die neue Perspektiven möglich machen, weshalb oft viel weniger Tickets verkauft werden können. Gerade Oliver Reese hat übrigens in Frankfurt jedenfalls interessante Experimente in der Hinsicht auch an seinem Haus ermöglicht.
Theaterpodcast #25: Nur mit Antikörpern
@ Olivia
Absehbar ist doch wohl folgendes Szenario: Nach der Sommerpause wird es am Deutschen Theater vermutlich 3-5 Corona-resistente Schauspieler/innen geben, die den Virus hinter sich haben. Am Gorki werden dann 2-3 wieder einsatzfähig sein. Für BE und Schaubühne eine Zahl in ähnlicher Größenordnung. Genug also, um mit den Proben für ein Stück ohne dumme Abstandsregeln auf der Bühne auszukommen. Bei der Frage, was, wo und unter welcher Regie da geprobt werden sollte,scheint es mir angebracht, erstmal die Intendanten der Berliner Bühnen zu entmündigen. Denn kontraproduktive Profilierungsneurosen wären absehbar. Nach Lage der Dinge scheinen die Berliner Festspiele die einzigen zu sein, die Berlin in naher Zukunft wieder "richtiges" Theater bescheren können. Natürlich nur für ein Publikum mit Corona-Antikörpern. Der Quarantäne-Rest wird aufs Streaming zurückgeworfen sein. Aber das ist beim Fussball ja auch nicht anders.
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