Zuhaus in yadda yadda yadda

von Esther Boldt

Mannheim, 1.Oktober 2008. Es sind Fremde im Haus! Oder? Wo kommen die her? Sie kommen von der Bühne in den Zuschauerraum geschlappt, in Trainingshosen und jugendlichen Mützen. Auf der Bühne flattert einer in Pluderhosen und Turban herum, Musik hebt zu gedämpftem Pathos an, im Zuschauerraum wird ein bisschen gepöbelt, bevor die Jungs den Pluderhosenmann aus dem Saal werfen. Und dann geht’s los.

Der Mittelweg ist da schon eingeschlagen. Weil wir im Theater sind, bringt er statt dem Tod leise Langeweile, weil er so "supernice" ist, wie Jonas Hassen Khemiris Protagonisten vielleicht sagen würden.

Abulkasem!

Die "Invasion!" kreist um ein leeres Zentrum. Denn nur ein Wort des Theaterstücks ist den Jungs mit Migrationshintergrund, Zuwanderungs- geschichte oder wie der korrekte Politikersprech sie gerade auch immer heißt, im Gedächtnis geblieben: Abulkasem. Abulkasem wird ab nun zur flexiblen Alltagswaffe, die maximale Aussagekraft mit Bedeutungsfreiheit kombiniert. Eine Leerformel, die - weil Sprache ja immer Wirklichkeit herstellt - auf unerklärliche Weise Jahre später zum Namen des meistgesuchten Mannes der Welt wird. Ist Abulkasem nun ein Onkel aus dem Libanon, eine Theaterregisseurin oder doch ein Terrorist? Denn in seinem furiosen Stück verbaut der 30jährige Khemiri nicht nur die zerspaltenen Identitäten der Zuwandererkinder, sondern auch die Achse des Bösen, die von Bush, Blair und Konsorten durch die Welt geschlagen wurde.

Um die Kurve noch spitzer zu machen, stiftet der Autor Identitätsverwirrung auch im Theater selbst und lässt vier Schauspieler 16 Rollen spielen. Sie wechseln auf offener Bühne die Kostüme, während ihre verrutschenden Perücken sie als Spieler ausweisen, die Spieler spielen. Sven Prietz, Thorsten Danner, Isabelle Höpfner und ein gut aufgelegter Tim Egloff springen aus der Hose in den Rock und aus den Stiefeln in die Schuhe, treten wohlfrisiert und intellektuell-bebrillt zu Expertenrunden zusammen, um die Identität des geheimnisvollen Abulkasem aufzudecken. Eine schön böse Medienkritik, wenn sie geballte Worthülsen von sich geben, deren Erkenntnisgewinn sich auf Null beläuft und stattdessen nur Paranoia schürt: Eine diffuse Bedrohung dräut am Horizont, der Abulkasem, der über Schweden gekommen und nun mitten unter uns ist.

Postmodern umweht und selbstmitleidlos

Mit zwei erfolgreichen Romanen und einem Theaterstück hat sich der schwedisch-tunesische Autor Khemiri an der Bruchkante eingerichtet. Dort, wo Identitäten zu flirrenden Kaleidoskopen zerschellen, wo Geschichte zu Geschichten ausfranst, weil sich jeder seine eigene Wahrheit schafft, wo die Unterscheidung von Fakten und Fiktion schon immer unmöglich ist. Postmodern umweht und herrlich selbstmitleidslos präsentiert Khemiri Identität als Additionsrechnung, die aber nie abgeschlossen wird, und besteht auf der Differenz. Addition und Multiplikation greifen auch in die Sprache über: Er verhäckselt Jugendslang, Dialekte und Hochsprache zu etwas Artifiziell-Kantigem.

In Mannheim klingt diese Kanak Sprak forte leider so glatt gebügelt, wie die beigen Chinos der Schauspieler aussehen. Überhaupt versucht Regisseur Egill Heidar Pálsson allerorten, Eindeutigkeit zu schaffen. Obwohl es nun wirklich nicht einfach ist, Ordnung in diesen vorsätzlichen Verschleierungsreigen zu bringen.

Wahrheit ist eine Traumfabrik

Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters, sagt Khemiri und wiederholt wunderbar komisch und ein wenig beklemmend das hochwirksame alte Spiel, dieselbe Situation von zwei Personen erzählen zu lassen. Arvind – "das ist ein indischer Name, mein Vater kommt aus… yadda yadda yadda" – sieht Lara in einer Bar und spricht sie an. Weil sein Name immer für Verständigungsprobleme sorgt, nennt er sich "Abulkasem" und wird gleich zum ganzen Kerl, der mit ihrer Telefonnummer als Trophäe zu seinem Freund zurückkehrt.

Pálsson verschafft Arvinds Erzählung sofort die Züge einer Vision und nimmt ihr das schöne Schillern. Da tritt keine junge Studentin auf, sondern eine halbnackte Disko-Tänzerin, die als Schattenriss hinter einer Leinwand tanzt. Als sich die Perspektive umkehrt und Lara erzählt, wird mit Haifischflosse auf des Möchtegern-Abschleppers Rücken, bedrohlichen Klängen und rot flackerndem Licht aus der Anmache eine halbe Vergewaltigung. Alles klar, die Wahrheit ist eine Traumfabrik: Was dem einen träumerischer Triumph, ist der anderen sexuelle Nötigung.

Der theatrale Vorschlaghammer ist hier mannigfach im Einsatz, er haut Schneisen in den Clash der Kulturen, auf dass ein bisschen Licht ins Dunkel komme. Und er klopft die schillernde Komplexität platt. Sacht und widerstandslos rutscht man auf dem Mittelweg durch achtzig Minuten, lacht ein wenig, konsumiert ein Bröckchen Drama, aber beim Verlassen ist man vollkommen rückstandsfrei. Schade auch.


Invasion!
von Jonas Hassen Khemiri. Aus dem Schwedischen von Jana Halberg
Regie: Egill Heidar Pálsson, Bühne: Anke Niehammer, Kostüme: Janine Werthmann. Mit: Sven Prietz, Thorsten Danner, Isabelle Höpfner, Tim Egloff.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

"Im Niemandsland zwischen Biografie und Fiktion scheint nichts unmöglich", schreibt Alfred Huber im Mannheimer Morgen (4.10.). Deshalb habe "Invasion!" keine Handlung im engeren Sinn, sondern erlaube den "vier famosen Schauspielern" viel gestalterische Freiheit, "um die rasanten Verwandlungen des Abulkasem ... in das Multi-Ego einer nicht minder rasanten Theaterwirklichkeit zu übertragen". Trotz "dramaturgischer Webfehler" und den "Grenzen, die dieses Spiel mit den Bruchstellen der Persönlichkeit" hat, bleibe bewundernswert, "was die vier Selbstsucher in der Regie von Egill Heidar Pálsson an körperlicher und sprachlicher Arbeit vollbringen".

 

Kommentare  
Invasion! in Mannheim: Korrekter Ausdruck
der politisch-korrekte name ist übrigens "bildungsferne schichten". aber die machen ja kein theater, auch nicht in mannheim...
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