Kuscheln mit dem Boss

von Felizitas Ammann

Zürich, 2. Oktober 2008. Das Theater am Neumarkt, die Spielstätte in der Altstadt mit kleinem Saal und schmalem Budget, war in Zürich schon immer die Bühne fürs Experiment. Während der fulminanten Ära von Volker Hesse und Stephan Müller in den neunziger Jahren strahlte das Haus weit aus, danach war es ruhiger geworden.

Nach der etwas vorschnellen Entlassung des letzten Intendanten Wolfgang Reiter setzen die Stadtoberen nun ihre Hoffnung auf zwei junge, erfolgreiche Schweizer Theatermacher: Barbara Weber und Rafael Sanchez, beide Jahrgang 1975. Von ihnen erwartet man neuen Schwung und ein Theater, das Politik und Unterhaltung kurzschließt. Zur Eröffnung ringt das Intendantenduo seinen knappen Ressourcen gleich zwei Premieren ab. Wobei die erste eindeutig mehr zur Unterhaltung als zur Politik tendiert: Rafael Sanchez inszeniert Lars von Triers "Der Boss vom Ganzen", eine Verwechslungskomödie aus der Businesswelt.

Erfinde dir einen Sündenbock

Weil Ravn (Matthias Breitenbach), der Chef einer kleinen IT-Firma, seine Angestellten nicht nur ausnutzen, sondern von ihnen auch noch geliebt werden will, erfindet er sich als Sündenbock einen Oberchef in Amerika, eben den "Boss vom Ganzen". Doch um auch seinen größten Coup, den Verkauf der Firma, dem Boss in die Schuhe schieben zu können, muss er den vorgeblich Verantwortlichen endlich seinen Leuten präsentieren.

Kein leichter Job für den eitlen Schauspieler Kristoffer (Sigi Terpoorten), nicht nur, weil er keine Ahnung von der Materie hat, sondern vor allem, weil alle Angestellten ihre ganz eigenen Vorstellungen vom Boss haben. Also kommt es, wie es kommen muss: erst einmal zu allerhand peinlichen Situationen. Dann entlarvt Kristoffer den bösen Chef als Verantwortlichen, will die naiven Leutchen (Rahel Hubacher, Yvon Jansen, Thomas Müller) retten – die natürlich gar nicht gerettet werden wollen –, und dann kommt doch alles nochmals anders, als man denkt.

Hopsen, gockeln, furzen

Lars von Triers Komödie floppte in den Kinos, und man kann sich vorstellen wieso. Genauer gesagt, man möchte sich diese Sache nicht als Film vorstellen. Die Satire über die Harmoniesucht der Dänen (die sich bestens auf die Schweiz anwenden lässt) bleibt staubig, auch wenn – oder gerade weil – noch eine kommentierende Regisseursfigur ihr Unwesen darin treibt und dem Publikum das Theater erklärt.

Rafael Sanchez hat den Mief vernünftigerweise auf die Spitze getrieben. Die Büromöbel sind aufgetürmt zur hölzernen Wohnwand (Bühne: Simeon Meier), die Schauspieler stecken in engen 70er Jahre-Kostümen, hinter Schnauzbärten und unter formvollendeten Perücken (Kostüme: Sara Giancane). Sanchez bringt erstmal ein bisschen Musik und lässt die beiden Bosse tänzeln, hopsen, herumgockeln. Launig fängt das an und wird immer abgedrehter: Es wird mit dem Chef gekuschelt, was das Zeug hält, es gibt Gitarrenworkshops und schlechte Scherze bis zum Furzgeräusch der Kollegen. Sanchez rührt mit der großen Klamaukkelle an, was immer wieder Spaß macht, aber auch nicht über alle Längen hilft. Dafür bleibt sein Humor zu glatt und zu vorhersehbar.

Lust aufs Ensemble

Der Basler ist ein Praktiker mit gutem Handwerk. Seine Karriere hat er zielstrebig und direkt in seiner Heimatstadt gemacht, wo er in wenigen Jahren vom Laiendarsteller im Jungen Theater über Regieassistenzen und eigene Projekte zum Hausregisseur unter Michael Schindhelm aufstieg. Inzwischen arbeitet er als Gastregisseur an verschiedenen Häusern in Deutschland. Aus Basel aber hat er einen seiner liebsten Akteure mitgebracht: Satoshi Ito. Der ältere Japaner war am Basler Theater Statist und Darsteller in vielen von Sanchez’ Inszenierungen. Hier spielt er mit stoischer Ruhe – und konsequent japanisch sprechend – den an der Übernahme interessierten Investor. Eine schöne Idee.

Auch die anderen Schauspieler, die meist mehrere Figuren übernommen haben, begeistern. Engagiert und präzise werfen sie sich in ihre verschiedenen Rollen und Perücken. Ihnen ist es zu verdanken, dass der nicht gerade fulminante Abend doch Neugier weckt. Und Lust auf das kleine neue Ensemble, von dem man den Rest glücklicherweise schon heute am zweiten Eröffnungsabend in Barbara Webers "Hair Story" entdecken kann.

 

Der Boss vom Ganzen (SchEA)
von Lars von Trier, Übersetzung: Maja Zade
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Sara Giancane.
Mit: Matthias Breitenbach, Rahel Hubacher, Satoshi Ito, Yvon Jansen, Thomas Müller, Sigi Terpoorten.

www.theaterneumarkt.ch


Mehr
lesen? Etwa die Kritik zur Uraufführung von Lars von Triers Der Boss vom Ganzen im Oktober 2007 durch Christiane J. Schneider in Mannheim. Oder den Bericht über die Uraufführung von Martin Heckmanns Kommt ein Mann zur Welt in der Inszenierung von Rafael Sanchez im April 2007 in Köln. Oder die Kritik zu Sanchez' Tartuffe im Mai 2008 in Essen.


Kritikenrundschau

Peter Müller goutiert im Zürcher Tages-Anzeiger (4.10.2008), dass Barbara Weber und Rafael Sanchez die Fehler ihres Vorgängers Wolfgang Reiter vermeiden. Reiter hatte seine Direktion vor vier Jahren mit einer experimentellen "Emilia Galotti" begonnen und sich von diesem Flop nie mehr ganz erholt. Verglichen damit seien eine moderne Verwechslungskomödie und der Name Lars von Trier eher "sichere Werte". Realismus würde Sanchez aber nicht bieten, "Perücken und Klebschnäuze betonen den Schwank", im Unterschied zum Film bleibe das aber "mässig lustig und harmlos", so Müller.

Eigentlich, schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (15.10.2008), wäre die von Triersche Vorlage angesichts der gerade so hervortretenden Scheinhaftigkeit weltweiter Finanzströme ganz "raffiniert", auch verfüge Sanchez über "hervorragende Schauspieler"doch sehe es danach aus, als habe der Regisseur "nie" gewusst, warum er das Stück inszeniert. "Das Ergebnis ist eine harmlose Komödie zum Anfassen inklusive Klaumauk-Einlagen."

 

 

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