Demokratie wird überschätzt

von Alexander Jürgs 

Mainz, 7. Juni 2020. Wie harmlos, wie aus einer anderen Zeit das wirkt: Dass ein Pressesprecher zurücktreten muss, weil er ein Treffen mit dem Wahlkampfchef der Gegenseite verheimlichte, das erscheint angesichts der Chuzpe, mit der der jetzige amerikanische Präsident und sein Team wirklich jeden letzten Funken von politischem Anstand hinter lassen, wie eine nur allzu zahme Machenschaft. Die Intrigen, die dieser Pressesprecher, zwei konkurrierende Wahlkampfmanager und eine angesehene Politik-Journalistin von der New York Times da spinnen: Sie kommen einem wie Peanuts vor. Und tatsächlich stammt das Stück ja auch aus einer lange zurückliegenden Zeit: 2004 hat Beau Willimon "Farragut North", auf Deutsch: "Tage des Verrats", geschrieben. Der Autor, der mit der Serie "House of Cards" ein paar Jahre später eine düster-magische Innensicht auf den Politbetrieb ablieferte, kannte sein Sujet gut: Im Jahr 2000 hatte er an Hillary Clintons Kampagne zur Bewerbung als New Yorker Senatorin mitgewirkt.

Sofas statt Sitzreihen

In Mainz wird mit dem Stück, das George Clooney 2011 unter dem Titel "The Ides Of March" und mit ein paar Volten mehr erfolgreich fürs Kino adaptierte, nun das Ende des Theater-Lockdowns zelebriert. Als deutschsprachige Erstaufführung kommt Willimons Intrigenspiel auf die Bühne des Kleinen Hauses. Auf die hat Bühnenbildner Thomas Drescher drei weiße, cleane Rampen gestellt, auf denen genauso blitzweiße, entkernte Luxusautos parken: eine Szenerie, in der sich hervorragend auf Abstand spielen lässt, ohne dass es albern wirkt.

TagedesVerrats1 560 Andreas Etter uZwischen teuren Schlitten: Julian von Hansemann, Elena Bertholt © Andreas Etter

Coronatauglich umstaffiert wurde aber auch der Zuschauerraum. Die Sitzreihen sind verschwunden, mussten Sofas und Gartenbänken, die weit voneinander platziert sind, weichen. Das hat, auch wenn es natürlich ein Jammer ist, dass nur ein Bruchteil des eigentlichen Publikums Platz findet, durchaus Charme. Am Mainzer Staatstheater geht man locker und einfallsreich mit der "neuen Normalität" um.

Serien-Ästhetik

"Tage des Verrats" dreht sich um den Vorwahlkampf einer Präsidentschaftskandidatur. Am Anfang des Stücks sieht alles danach aus, als ob der Underdog Morris den Favoriten Pullman hinter sich lassen wird. Doch dann begeht der PR-Manager Stephen Bellamy einen Fehler mit Folgen, der Gegenseite gelingt bei den Wahlen ein Coup, der zwar nicht legal, aber wirkungsvoll ist. Das Band zwischen Bellamy und seinem Mentor Paul Zara, dem Wahlkampfmanager von Morris, zerbricht. Am Ende stürzen beide, weil der enttäuschte Bellamy der Journalistin Ida Horowicz steckt, dass Zara ein Verhältnis mit einer neunzehnjährigen Praktikantin hatte. So verwickelt, so spannend, Netflix für die Bühne.

Eindimensionaler Held

K.D. Schmidt, Hausregisseur am Staatstheater, inszeniert den Stoff mit Tempo, aber leider auch recht konventionell. Seine Figuren haben oft etwas Holzschnittartiges, Eindimensionales. Vor allem Pressesprecher Stephen Bellamy, den Julian von Hansemann mit viel Körpereinsatz und Gestik spielt. Sein Bellamy ist ein klassischer Karrierist, ein Einflüsterer, der mit den Journalisten spielt, selbstverliebt, selbstbewusst. "Ich bin nichts ohne meinen Job", lautet sein Wahlspruch. Was ihm jedoch fehlt, ist der Zweifel, das Hinterfragen seiner Rolle im politischen Spiel. Und auch von Idealismus ist bei ihm keine Spur. Man muss, während die Mainzer Inszenierung vor einem läuft, oft an Clooneys Film denken, in dem Ryan Gosling diesen Bellamy so beeindruckend als Zerrissenen gibt, als einen, der daran zerbricht, dass er an die Sache glaubt und trotzdem seine Spielchen spielt. Das mag ein unfairer Vergleich sein, trotzdem drängt er sich auf.

TagedesVerrats2 560 Andreas Etter uBeim Spinnen von Intrigen: Das Ensemble im Bühnenbild von Thomas Drescher © Andreas Etter

Klischeehaft bleiben häufig jedoch auch die anderen Figuren: der von Klaus Köhler gespielte Wahlkampfmanager mit Wohlstandsbauch und Pferdeschwanz, der seine Lockerheit durch den regelmäßigen Gebrauch von Vulgaritäten zu unterstreichen versucht, sein schmieriger Gegenspieler Duffy (Martin Herrmann), die überdrehte Journalistin (Hannah von Peinen), der aalglatte, ehrgeizige Presse-Praktikant (Simon Braunboeck). Wenn die Protagonisten in der Bar die Zeit totschlagen, dann klimpern die Eiswürfel, zwischen den Szenen werden Wahlkampfmomente in News-TV-Ästhetik an die Bühnenwand geworfen, dazu erklingt elektronische Musik.

Dennoch: Dass dieses großartige Stück von Beau Willimon es nun auf eine deutsche Bühne geschafft hat, ist eigentlich grandios genug. Und der Abend ist spannend, unterhaltend, steckt voller Energie. Die Freude, dass auf einer Theaterbühne nach so langer Zeit endlich wieder etwas passiert, ist sowieso riesig.

Tage des Verrats
von Beau Willimon
Deutsche Fassung von K.D. Schmidt und Boris C. Motzki
Regie: K.D. Schmidt, Bühne: Thomas Drescher, Kostüme: Maren Geers, Musik: Smoking Joe, Video: Christoph Schödel, Licht: Frederik Wollek, Dramaturgie: Boris C. Motzki.
Mit: Julian von Hansemann, Simon Braunboeck, Hannah von Peinen, Klaus Köhler, Burak Uzuncimen, Elena Berthold, Martin Herrmann.
Premiere am 7. Juni 2020 
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
 
www.staatstheater-mainz.com

 

Kritikenrundschau

Die Bühne erlaube dem Ensemble, in großem Abstand zueinander zu agieren, so Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (12.6.2020). Deshalb allerdings hätten die Akteure große Mühe, die dialogische Wucht des Textes in szenische Intensität umzumünzen: "Man sieht permanent, dass K.D. Schmidt ganz korrekt auf Distanz inszeniert hat." Später allerdings, "wenn zum politischen Intrigenspiel ein One-Night-Stand Bellamys mit der Praktikantin Molly kommt", enstünden auf der Bühne "plötzlich Atmosphären von Liebe, Hass, Trauer und trotzigem Aufbegehren". Was insbesondere an den Schauspielern Elena Berthold und Julian von Hansemann liege.

"Der dichte Plot und die trotz Abstandsregeln dynamische Inszenierung sorgen zwei Stunden lang für beste Unterhaltung", findet hingegen Hannegret Kullmann auf SWR2 (8.6.2020). "Dem Ensemble ist die Freude am Spiel und an den Intrigen deutlich anzumerken."

mehr nachtkritiken