nachtkritikstream - "Peer Gynt" am Volkstheater Wien
"Peer Gynt" inszeniert von Viktor Bodo
14. Juni 2020. Weil die Theater erst allmählich wieder Türen, Tore und Bühnen öffnen, stellt nachtkritik.de noch bis Juli einen digitalen Spielplan aus Mitschnitten von Inszenierungen zusammen: Vom 14. Juni, 18 Uhr, bis 15. Juni zeigen wir für 24 Stunden "Peer Gynt" von Henrik Ibsen, inszeniert von Viktor Bodo am Volkstheater Wien. Nachtkritiker Reinhard Kriechbaum schreibt: "Ibsens 'Peer Gynt' ist besonders dankbares Material für den Bühnenzauberer. In seiner Deutung haben wir es mit Kopftheater, nicht mit realen Erlebnissen zu tun."
Das Volkstheater Wien schreibt auf seiner Website:
"1902 erlebte Henrik Ibsens 'dramatisches Gedicht' 'Peer Gynt' am Wiener Volkstheater seine deutschsprachige Erstaufführung. Auf derselben Bühne wird das Stück nun von Viktor Bodó inszeniert ...
Peer Gynts Vater hat einst das Vermögen der Familie durchgebracht und ist verschwunden. Das Trauma der sozialen Deklassierung verarbeiten Mutter und Sohn ähnlich – Mutter Aase träumt und Peer lügt sich in andere Welten. Er ist anders als die selbstgenügsamen Dörfler und will schrankenlose Freiheit. Nachdem er einem anderen die Braut weggenommen hat, gibt es für Peer kein Zurück mehr; er zieht in die Welt, erobert Frauen, um sie schnell wieder abzuschütteln und dazwischen neue vaterlose Peers zu zeugen. In Nordafrika erzielt er durch Menschenhandel hohe Gewinne, will seinen Kindheitstraum erfüllen und Weltkaiser werden, lässt sich für einen Propheten halten, ergeht sich in kolonialen Bauherrnfantasien, landet in einer Anstalt in Kairo und kehrt als alter Mann in den Norden zurück. Die ganze Welt ist ihm ein Spielplatz, rastlos stürzt er von einem Abenteuer zum nächsten, immer auf der Suche nach Erfüllung des großen westlichen Sinnversprechens: dem 'Ich'. Henrik Ibsen, der profunde Kenner des bürgerlichen Seelenlebens, seziert in 'Peer Gynt' das Mindset eines ruchlosen Homo Ludens, eines europäischen Mannes des 19. Jahrhunderts – wie wir ihn auch heute noch kennen."
Peer Gynt
Dramatisches Gedicht von Henrik Ibsen, Übersetzung Christian Morgenstern
Regie: Viktor Bodó, Bühne: Ágnes Bobor, Kostüme: Andrea Kovács, Komposition: Klaus von Heydenaber, Sounddesign: Gábor Keresztes, Video: Vince Varga, Licht: Paul Grilj, Dramaturgie: Anna Veress, Veronika Maurer.
Mit: Günter Franzmeier, Andreas Grötzinger, Dorka Gryllus, Nils H ohenhövel, Evi Kehrstephan, Steffi Krautz, Stefan Suske, Jan Thümer, Günther Wiederschwinger.
Premiere am 7. Dezember 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.volkstheater.at
Hier geht es zur Nachtkritik von Reinhard Kriechbaum.
Viktor Bodó zeige Henrik Ibsens dramatisches Gedicht handlich und mit Popkulturzitaten, so Uwe Mattheiß im Standard (9.12.2019). "Hin und wieder öffnet sich eine Tür oder eine Klappe im David-Lynch-Puppenhaus. Es kullern Bälle heraus oder stereotype Figuren." In kaum zwei Stunden gelangt man zu Schiffbruch und Tod. "Hier haut das Volkstheater noch mal so richtig auf den bröckelnden Putz."
"Eine knallbunte Sinnsuche, die der Lust am Spiel hemmungslos frönt", schreibt Peter Jarolin im Wiener Kurier (9.12.2019). Der Abend gehöre mit Abstand zum Besten, das in der Direktion von Anna Badora zu sehen war und ist.
"Peer Gynt" beginne stark, sehr stark. "Aber dann hat Regisseur Viktor Bodó der Mut verlassen oder das Vertrauen in den Text", findet Bettina Eibel-Steiner in der Presse (9.12.2019). Die surrealen Einsprengsel, "mit denen Bodó anfangs noch sparsam umgeht - sie nehmen überhand".
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Für die zentrale Zwiebelszene findet der Abend eine schöne Übersetzung. Beim letzten Bild, als der dreifache Peer gegen den Eisernen Vorhang anrennt, stößt der Stream an seine Grenzen. Das würde live sicher besser wirken. Nach dem Wechsel der Intendanz am Volkstheater Wien wird "Peer Gynt" nicht mehr zu sehen sein.
Ich schau es mir so mir nichts dir nichts durch, und finde keine Szene, die mir gefallen könnte, und das ist schade, denn ich habe "Peer Gynt" immer schon, den abenteuerlichen Peer schon immer sehr gemocht.
Die Darstellerin der Anitra beeindruckt mit ihrer Natürlichkeit in ihren Tanz-Bewegungen. Alle anderen Schauspieler sind durchschnittlich, die Regie ebenso (wie man heutzutage eben "modernes" Theater spielt und zur Aufführung bringt: wenn unfrei, dann unfrei un-natürlich). Möglicherweise vergleiche ich zu sehr mit gelungenen Aufführungen die ich gesehen habe.
Was für Möglichkeiten bietet doch dieses berühmte Stück! Ich finde hier (bei dieser Aufzeichnung) keinen Bühnenzauber und kein Regie-Zauber-Ei.
Der Abend gehört mit Abstand zum Besten usw. . . schreibt Peter Jarolin im WIENER KURIER. nun denn also - wenn dem so ist . . . was soll ich dazu noch sagen?
Peer, ein Sinnsucher (seine Luftschlösser und Fantastereien, und dann wieder das Aufschlagen in der Realität), auf der Spur nach sich selbst - und: Sei dir selber genug! (Ha! die norwegischen Leute von damals, die in
rotwangiger Zufriedenheit sich selbst genug sind (Georg Brandes)) -
Bin ich nicht auch ihm verwandt irgendwie und ähnlich? - Aber so in dieser Weise im theatralen Leerlauf will ich ihn auf der Bühne nicht sehen - das ist mir zu wenig, das ist mir zu dürftig leer . . .
Immerhin handelt es sich hier um ein großes dramatisch-philosophisches W e l t g e d i c h t des Abendlandes. Ein "nordischer Faust".
(Geschrieben für Almut Zilcher in Erinnerung an ihre Zeit am "Volkstheater".)