Presseschau vom 1. August 2020 – Das VAN-Magazin mit einer großen Recherche zur Krise am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Klima des Misstrauens

Klima des Misstrauens

1. August 2020. Der Chefredakteur des VAN-Magazins Hartmut Welscher berichtet in einem langen, tiefschürfenden Artikel über die Machtmissbrauchsvorwürfe gegen den Intendanten des Badischen Staatstheaters Peter Spuhler und ihre spezifischen und strukturellen Hintergründe.

Ab wann wusste Spuhler von Vergewaltungs-Vorwürfen?

Nach dem jüngsten Ereignis der Kündigung eines leitenden Angestellten gegen den es Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegeben hatte, wolle die Theaterleitung sich "mit Verweis auf interne Personalangelegenheiten und Arbeitsverträge weder zur Kündigung äußern noch zu der Frage, seit wann die Vorwürfe bekannt sind".

"Ob sich Spuhler wird halten und die Wogen geglättet werden können, werden die nächsten Wochen zeigen. Dann wird auch geklärt werden müssen, ab wann die Theaterleitung von den Belästigungsvorwürfen wusste und wie aktiv sie dazu beigetragen hat, diese aufzuklären", so Hartmut Welscher: Dies gelte auch für den Fall einer mutmaßlichen Vergewaltigung im Anschluss an die "Elektra"-Premiere in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar 2019. In der Sache sei gegen einen Mitarbeiter des Staatstheaters Anklage wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung erhoben worden. "Laut Karlsruher Staatsanwaltschaft soll es zwei Geschädigte geben, die beide an der 'Elektra'-Produktion beteiligt waren."

Innerhalb des Staatstheaters herrsche unterdessen ein "Klima des Misstrauens". "Mutmaßungen machen die Runde, wer wann mit wem geredet hat. Mitarbeiter:innen werden hausintern verdächtigt, hinter dem Instagram-Account zu stehen, der die Lawine mit auslöste."

Führungsstil: Jekyll & Hyde

Welscher hat etliche (ehemalige) Mitarbeiter*innen en detail zu Spuhlers Führungsstil befragt:

Der ehemalige Schauspiel-Chefdramaturg Jan Linders beschreibt den Generalintendanten "als eine Jekyll-and-Hyde Persönlichkeit, mit der man aber umgehen könne". Der ehemalige Operndramaturg Patric Seibert sagt: "Mal ist man eine Woche ganz oben in seiner Gunst, und dann wieder ganz unten." Er habe irgendwann Angst davor gehabt, Peter Spuhler etwas vorzulegen: "Es war alles immer verbesserungswürdig oder sogar falsch. Darüber konnte auch nicht diskutiert werden." Spuhler habe zwar eigene Ideen gefordert, dann aber letztlich als "ganz falsch" zurückgewiesen, erzählt ein weiterer leitender Mitarbeiter, der im VAN-Artikel anonym bleibt. "Das führt zu der perversen Situation, dass man in Treffen immer versucht herauszufinden, was Peters Wunsch ist, um es dann als eigene Idee vorzutragen."

Außerdem geht Hartmut Welscher auf den Fall der Schauspieldramaturgin Laura Åkerlund ein, die erst im Juni 2019 als Nachfolgerin von Jan Linders die Chefdramaturgie in Karlsruhe angetreten hatte und das Haus bereits nach wenigen Monaten wieder verließ. "Über die Gründe möchte sie sich nicht äußern, da sie mit ihrem Auflösungsvertrag auch eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet habe." Welscher rekonstruiert aus Zeugenberichten ein Ereignis, das ein möglicher Grund sein könnte: "Åkerlund soll sich Ende 2019 im Vertrauen an die Karlsruhe Kulturamtsleiterin Susanne Asche gewandt und von Beschwerden einiger Mitarbeiter:innen gegenüber der Theaterleitung erzählt haben. Asche soll daraufhin umgehend Peter Spuhler angerufen und von dem Gespräch unterrichtet haben." Spuhler habe Åkerlund im Rahmen einer Direktionssitzung "Verrat" vorgeworfen und die Anwesenden dazu aufgefordert, sich entweder auf seine oder ihre Seite zu stellen. Daraufhin sei der Druck auf Åkerlund auch von Seiten anderer Kolleg*innen ins Unermessliche gestiegen.

Neofeudale Machtstrukturen, fehlende Ausbildung elementarer Führungskompetenzen

Welscher wertet seine Karlsruher Erkenntnisse folgendermaßen aus: "Aktuell werden wieder die Strukturen diskutiert: Spartenintendant:innen, Shared Leadership. (...) Das Problem scheint indes nicht nur in 'neofeudalen Machtstrukturen' zu liegen, sondern auch in der fehlenden Ausbildung elementarer Führungskompetenzen: Teamgeist, Verlässlichkeit, Umsichtigkeit, Erwartbarkeit, Regeltreue. Öffentlich finanzierte Theater, die sich oft dagegen verwahren, einfach nur 'Unternehmen' zu sein, werden oft so autokratisch geleitet wie Werbefirmen in den 1950ern, inklusive der Haltung, Cholerik gehöre nun einmal zur Theatralik des Theaters dazu. Statt mit Motivation wird vielerorts mit Angst geführt."

(sd)

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