Kommunismus in Trance

von Elena Philipp

Berlin, 29. August 2020. "Ja, ich hätte auch ganz gerne mal eine Gesamtansicht von mir", ruft ein überlebensgroßer Franz Beil, der via Video hinabblickt auf die zwei Zimmer, die aus seiner Perspektive klein wie eine Puppenstube auf der Bühne des Deutschen Theaters stehen. Ein kuschelig-klaustrophobisches Kammerspielsetting hat Bühnenbildnerin Nina von Mechow für den neusten Streich von René Pollesch und Konsorten, "Melissa kriegt alles", aufgebaut, mit Hammer-und-Sichel-Wandbespannung, einem teppichbelegten Sofa, Bullerbü-Tisch und einer Pole-Dance-Stange im größeren Raum, einem tarngemusterten Bett und Ofen im kleineren. Räume, in denen sich optisch Zeiten und Orte überlagern, dem Text entsprechend, in den Pollesch wie immer Verschiedenstes eingespeist hat. Neunzig Minuten Gedanken-Ping-Pong wird das sechsköpfige Ensemble zum Auftakt der DT-Saison hier spielen und den revolutionären Zauber des Zugleich beschwören.

"Du siehst wirklich toll aus"

"Ein Brief?", ertönt anfangs Kathrin Angerers Stimme hinter der vorgezogenen weißen Brecht-Gardine. Vorhang auf und großes Erstaunen auf der Bühne: "Melissa kriegt alles???" Kein Vermögen für Angerers Frenchy, scheint's, aber zumindest einen ordentlichen Anteil Komödie – französisch Leichtgängiges, das sich ebenfalls im salonartigen Bühnenbild andeutet. Aufgerufen wird auch russisch Schwergewichtiges, im endlosen Reden über notwendiges revolutionäres Handeln – oder in den von Tabea Braun gestalteten Pracht-Kostümen.

melissa 560a ArnoDeclair uRevolutionäre in der Zugleich-Überforderung: Franz Beil, Kathrin Angerer, Katrin Wichmann, Martin Wuttke, Bernd Moss, Jeremy Mockridge © Arno Declair

Da stapft Jeremy Mockridge in schweren Stiefeln, Pelzmantel und -kappe auf die Bühne, Martin Wuttke mit Holzpantinen, unterm Fellmantel ein mit Zeitungsbeiträgen in kyrillischer Schrift bedrucktes Nachthemd, im Gesicht einen Marx-Bart und auf dem Kopf eine Trapper-Mütze mit ausladendem Tierschweif. Überhaupt die Mode: Auch sie zitiert die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, ist Warenwelt-Apotheose wie Schauwert: Katrin Wichmann umflattert ein Blumenrock, Kathrin Angerer kombiniert ein schulterfreies revolutionsrotes Kleid mit Udo Lindenberg-Mütze und golden High Heels – ein Outfit, das Ray aka Wuttke umgehend mit einem Kompliment bedenkt: "Du siehst wirklich toll aus". Dabei würde ihm Frenchy aka Angerer lieber die Wunde zeigen, die sie sich im Kampf vor Warschau zugezogen hat.

Statischer Debattenzirkel

Eine Revolutionärin ist, wird nebenbei ausgehandelt, eben immer auch reaktionären Blicken unterworfen. Selbst in Brechts "Mutter", wo die Kämpferinnen anderen Figuren mit mütterlichem Getue übers Haar streichen, wie Kathrin Angerer moniert. Und die Weigel – hat sie am Berliner Ensemble als Intendantin nicht auch nur den Haushalt geführt? Trotz ihrer Amtsmacht: Wie sie in der Intendanzsitzung vor gedrängt kauernden Untergebenen auf ihrem Stuhl thronte, beschreibt Wuttke so anrührend wie erheiternd, während er Zigarette rauchend auf dem Sofa hopst.

melissa 560 ArnoDeclair uDa sind die Wände schon gefallen: Katrin Wichmann, Martin Wuttke (hinten), Bernd Moss, Jeremy Mockridge © Arno Declair

Im Nacherzählen aber liegt bei Pollesch natürlich nicht das Heil. Munter geht es inhaltlich über Stock und Stein, von Anekdote und Lektürefund zu den ganz großen Fragen: Wie lässt sich Widersprüchliches denken? Klammert der Kapitalismus den Tod aus jeglichen Überlegungen aus? Inszeniert hat Pollesch "Melissa kriegt alles" als statischen Debattenzirkel mit einigen Spielszenen und Umbaupausen, bei denen Wände umklappen und wieder aufgestellt, Leinwände hoch- und wieder heruntergefahren werden. Routiniert wirkt Polleschs vierte Arbeit am Deutschen Theater mit dessen langjährigen Spieler*innen Wuttke, Angerer und Beil sowie den drei Pollesch-erprobten DT-Ensemblemitgliedern Jeremy Mockridge, Bernd Moss und Katrin Wichmann – und manchmal auch ziemlich öde.

Wer kann Widersprüche denken?

Dann wieder zünden einzelne Szenen, weil diese Routiniers schauspielerische Meisterschaft besitzen – Wuttkes Weigel-Widmung, sein Insistieren auf einem Banküberfall oder Angerers Kehrtwende-Monolog, in dem sie sich erst über Bernd Moss' Anbiederung beim Publikum mokiert, um dann ansatzlos vorzuspielen, wie sie sich als DDR-Teenager als Französin auf der Suche nach dem "Palace de la République" ausgab. Wie viele Haltungen Wuttke und Angerer in einem Vorgang gleichzeitig spielen können! Große Kunst, denn – um auf den revolutionären Zauber des Zugleich zurückzukommen – "das Gleichzeitige" ist so schwer, formuliert Franz Beil. Wer könne schon Widersprüche denken und damit das Leben in seiner Totalität erfassen?

 

Melissa kriegt alles
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Nina von Mechow, Kostüme: Tabea Braun, Video: Ute Schall, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Kathrin Angerer, Franz Beil, Jeremy Mockridge, Bernd Moss, Katrin Wichmann, Martin Wuttke.
Uraufführung am 29. August 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 


Kritikenrundschau

"Und so recht voran kommen sie auf der Bühne auch nicht; aber vermutlich ist das der Zustand, um dessen Ausmalung es geht; Hektik bei gleichzeitigem Stillstand", so bespricht Katrin Bettina Müller diesen Abend für die taz (30.8.2020). "Passt im Nachhinein besehen doch ganz gut zur derzeitigen Befindlichkeit. Solange man aber noch im Theater sitzt, ist eher Ungeduld zu spüren. Kommt da jetzt noch was oder machen die immer weiter so? Springen von einer Idee zur nächsten." Etwas "bedröppelt" schaut die Kritikerin "auf diese Häppchen".

"Wer Melissa ist, und warum sie alles kriegt - wie der Stücktitel verspricht - bleibt bei diesen gar nicht so flotten 90 Minuten Diskurstheater im Unklaren - wie manch anderes auch im Sammelsurium bekannter Pollesch-Motive neu gesampelt", berichtet Ute Büsing für das Inforadio des rbb und online auf rbb|24 (30.8.2020). "Intellektuell anspruchsvoll und doch zu insiderisch, um das pure Vergnügen zu sein", findet die Kritikerin den Abend, bescheinigt aber dem Ensemble, es "beherrscht" die "Fallstricke und die Fallhöhen des Textes mit beneidenswerter Souveränität".

Jürgen Kaube von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (31.8.2020) macht es sich hier wie bei anderen Pollesch-Stücken zur Aufgabe "herauszufinden, worum es in ihnen überhaupt geht. Denn auf einer ganz elementaren Ebene ist das hier beabsichtigterweise unklar." Eine Handlung fehle, viel "Theater über Theater" werde geboten. Es "sprudeln ständig teils Redensarten, teils Gedanken zu einer Art Stammtischgespräch über Wirklichkeit und Schein hervor. Irgendwie geht es um eine Revolution, die nur noch ein Text ist, um Selbstbeobachtung und Nostalgie, die verachtenswerte arrogante Haltung englischer Schauspieler gegenüber dem Publikum und das Leben in Trance, das ein Merkmal von Revolutionären sein soll", schreibt Kaube. "Hypnotisierend" wirke Polleschs Stück aber nicht, "mehr wie eine sich ständig selbst unterbrechende Vorlesung über unmögliches Ganzsein".

Für Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (30.8.2020) ist dieser Abend "ernster, nüchterner" als erwartet. Es sei eigentlich "einer der ideenreichsten, wunderbarsten Pollesch-Texte der letzten Jahre", aber dennoch "kommen die sechs Revolutionsspieler in ihren geblümten 'Mutter'-Kleidern und wilden Felljacken einfach nicht richtig ins Spiel mit ihren Sätzen. Es scheint, als drückten die Abstandsregeln sie diesmal auch in Abstand zu ihrem Text, was schon ziemlich kurios ist. Denn niemand, am wenigsten Pollesch selbst, hätte geglaubt, dass diese Maßnahmen sein so ganz antitheatralisches Gemeinschaftstheater doch irgendwie tangierte."

"Mehr ist euch nicht eingefallen in all der Zeit, in diesem geschützten und privilegierten Raum des Theaters?", fragt ein merklich enttäuschter Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (30.8.2020). "Der neue Pollesch-Text ist insofern der alte, als er Theaterhistorisches (Brecht, Weigel, Bayreuth) mit perfomativer Theorie, Filmschnipseln und angelesener Gesellschaftsanalyse verquirlt." Und: "Nichts zündet, die Atmosphäre ist deprimierend." Pollesch öffne nicht das Fenster zur politischen Corona-Wirklicheit, verbleibe "in der eigenen Blase", und das Problem daran sei, "dass die Pollesch-Welt so uninteressant und schlaff noch nie war".

"Bei allem Spaß daran, virtuos auf diversen Metaebenen auszurutschen und Dekonstruktionsspiele in immer neue Pirouetten zu treiben, bei aller Spielfreude eines glänzenden Ensembles", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (31.8.2020), "ist es ein unglaublich zäher Abend." Das sei "sicher immer geistreich, immer irgendwie witzig, aber immer irgendwie auch völlig egal", so der Rezensent: "Gefangen in der eigenen, auch selbstverliebten Selbstreferenzschleife kommt dieses Theater problemlos ohne jede Außenwelt aus."

"Ei­gent­lich, so denkt man sich ir­gend­wann an die­sem Abend, hat der Dia­log in Me­lis­sa kriegt al­les und viel­leicht stets bei die­sem Dra­ma­ti­ker ei­ne ein­zi­ge gro­ße Funk­ti­on: Die da re­den, hal­ten sich vom Nach­den­ken ab", beobachtet Peter Kümmel in der Zeit (3.9.2020). "Sie re­den sich ge­gen­sei­tig die Angst vor dem Tod aus." Pol­lesch löse kei­ne Er­war­tung ein, die er im Pu­bli­kum wecke. Und wie verhält Pollesch sich zur Seuche? "Er macht wei­ter wie bis­her."

 

Kommentare  
Melissa kriegt alles, Berlin: wie immer
Monatelang rätselten Feuilletons und Soziolog*innen, wie sich die Welt und das Theater durch Corona wohl verändern werden. René Pollesch macht mit seinen Weggefährt*innen in "Melissa kriegt alles" am DT Berlin einfach ganz unaufgeregt weiter wie bisher: die übliche anspielungsreiche Schnitzeljagd für Nerds, die Alexandra Kollontai mit Jennifer Lopez und Woody Allen mit Helene Wegel kurzschließt. Eine kleine Akzentverschiebung gibt es aber doch: der designierte Intendant der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz, winkt ein paar Mal deutlich hinüber zu seiner alten, neuen Wirkungsstätte, über der demostrantiv in großen Lettern „OST“ prangte.

Wie üblich bei Pollesch dürfen die Spieler*innen als Ko-Autor*innen auch loswerden, was ihnen auf den Nägeln brennt: Katrin Wichmann macht sich über E-Castings lustig und Jeremy Mockridge stichelt in einem Solo vorne an der Rampe gegen die „Perlen vor die Säue“-Attitüde, mit der Stars wie Benedict Cumberbatch im Londoner Old Vic vor ihr Publikum treten.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/08/29/melissa-kriegt-alles-rene-pollesch-deutsches-theater-berlin-kritik/
Melissa kriegt alles, Berlin: so lame
Rene Pollesch ist einfach nicht mehr geil. Oder war er nie geil?

was kann ein jünger Mensch aus so einer Inszenierung lernen außer wie spießig Rene pollesch und Co sind,bleibt mir unklar
ich habe große Sorgen und die Zukunft der Volksbühne
Melissa kriegt alles, Berlin: Mut
Schade, dass die Rezensentin sich nicht traut, zuzugeben, dass sie das Stück nicht verstanden hat. Wäre bei Pollesch doch gar nicht so dramatisch. So redet sie um den heißen Brei und sagt...gar nichts...
Melissa kriegt alles, Berlin: for the happy few
Bemerkenswert an dieser Premiere war nur das Drumherum. Auf dem Vorplatz des DT zu sehen, wie sich der auf das höchste Konzentrat herunter gekochte Teil der Berliner Theaterblase, der innerste inner circle versammelt. Die Rituale der Begrüßung und die Phrasen wirken nochmal unangenehmer, wenn da knapp 150 people rumstehen. Dann hinein, in einen arg ausgedünnten Zuschauerraum wo man, Highlight, erstmal auf Bilder von Publikum schaut (immer super: The Producers...). Und dann nochmal guckt, wer so da ist.
Der Abend selbst: langweilig, unverständlich, mäandernd. Habe nach 45 Minuten angefangen, alle 10 Minuten auf die Uhr zu gucken. Nachdem die ersten Gags noch mit wissendem Höhöhö aus dem Publikum quittiert wurden, fror zwischendrin der Raum mal komplett ein, bis dann gegen Ende hin doch noch sowas wie gute Laune aufkam. Und ein langer Premierenapplaus, mit dem wir uns wohl vor allem selber feierten.
Dann heraus in die Nacht, wo sich auf dem Vorplatz und den schnell verschlossenen Türen bald alles verlief. Und die Nachrichten von Reichsfahnenschwenkern auf der Treppe des Bundestages zu lesen waren.
Und da habe ich mich noch mal mehr geärgert, weil so einen Theaterabend, der sich nur um das Theater dreht und sich nur an ein sehr enges Theaterpublikum richtet finde ich schon sowieso unbedeutend. Aber als erste Premiere einer Spielzeit, die sehr von den Geschehnissen dieses Jahres geprägt ist und bleiben wird, ist es ein statement.
Ich finde, the show must not unter jeden Umständen go on, so jeden Fall war es kein gutes Argument für die Relevanz von Theater. Gehe glaube ich in nächster Zeit mehr ins Kino, als in solche Veranstaltungen for the happy few.
Melissa kriegt alles, Berlin: und wofür?
Hier ist alles alles und alles nichts, Zitat und Substanz negieren einander und revitalisieren sich dadurch. Gena Rowlands Spielverweigerung, Brechts Verfremdung und Ablehnung des „Authentischen“, die Hypnose der Widersprüche, die Unmöglichkeit sich selbst zu sehen, das Verschwinden der unabhängigen Frau in der pseudorevolutionäten Mutterrolle: Die Absurdität des Gegensätzlichen durchzieht den Abend, wortreich wie immer, ein Monolog mit aufgeteilten Sprechrollen (wobei die angesprochenen Pollesch-Veteranen die drei Ensemblemitglieder Katrin Wichmann, Jeremy Mockridge und Bernd Moss zu oft übertönen dürfen). Es ist ein Sich-abarbeiten am Theater, an seinen Relevanzzweifeln, in Zeiten, in denen es sich zwangsläufig neu erfinden soll. Das ist wie immer virtuos, zuweilen witzig – aber diesmal leider auch ziemlich öde. Die statische Anordnung verstärkt sich noch durch die Abstandsregeln, die Diskursschleifen sind besonders zirkulär, die Wiederholungseffekte ermüdend. Schnell scheint alles gesagt und wähnt man sich in einem viel zu langen Loriot-Slapstick-Sketch, der den ausgangs-Gang ad infinitum fortführt.

Bin am Ende der Bühnenkasten umgedreht wird, angerer allein auf der Bühne steht und die Gegensatz-Metaphorik ins existenzielle treibt. Sie spricht vom Vermissen des unmöglichen, vom Begehren des Abwesenden, von der Unmöglichkeit, die Gleichzeitigkeit des Habens und Wollens aufzulösen. Wäre es dann nicht besser vergessen zu können, das was noch nicht war, bevor man es vermisst? „Es gibt überhaupt keinen Grund, dass du untergehtst. Nur deshalb wirst du es.“ Das Unnötige als Fluchtpunkt einer utilitaristischen Gesellschaft, das Verschwinden als letzter akt der Revolte. Wie wäre es neu anzufangen, ohne Ballast, Zitate, Erwartungen, ein Anfang, der kein Ende braucht, weil esr immer schon vergessen ist? Ein echtes „Theater der Trance“, des sich Verlierens, des Verschwindens? So wie Angerer sich am Ende verliert, verschwindet, der Brechtvorhang zugezogen, sie nur noch eine Projektion, ein Bild, ein Zitat? Fragen bleiben offen, wie stets bei Pollesch, nur Fragen. Ist das Verschwinden Aufgabe oder Chance, Kapitulation oder Neuanfang, kommt da noch was oder liegt die einzige Hoffnung im Enden? Und wofür? Fürs Theater, die Revolution, die menschliche Existenz? Und ist das nach 90 Minuten selbstreferenziellen Dauergequatsches überhaupt noch wichtig?

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2020/09/04/theater-der-trance/
Melissa kriegt alles, Berlin: Neuanfang
selbstreferenzielles dauer-gequatsche (als therapie) ist wichtig für revolutionäres theater und menschlich existenziell für die freiheit des individuums wenn man im endgültigen enden die einzige hoffnung
erkennt und sie als solche bestimmt.
fragen bleiben immer offen wenn sie nicht beantwortet werden können.
das vorgestellte endgültige totalitäre verschwinden als aufgabe als chance ja als notwendigkeit - aber auch als kapitulation und überraschender neuanfang besser als das alte enden.
sterben wir doch im echten realitätstheater der trance - oder machen wir den neuen anfang in trance in der krise (alkohol tranceartig richtig eingesetzt kann dabei helfen).
das verschwinden als allerletzter akt der revolte. der tod als letzte freiheit!
ob danach ein neuer anfang ist weiß niemand und ist ungewiss.
das gewicht liegt im jetzt und nicht im danach.
Melissa kriegt alles, Berlin: Neuer Mensch
A: Befürchtest du nicht, dass in der Krise anstelle eines neuen
Menschentyps ein neuer Typ von Schaf entsteht?
B: Ich befürchte gar nichts, denn selbst wenn jetzt ein neues Schaf entsteht, ist es besser als das alte Schaf - zumindest wird es neu sein! Und neu sein ist gut, neu sein ist frisch, neu sein eröffnet neue Möglichkeiten. Darum befürchte ich nichts. Aber du musst sehr an dem alten Typ Schaf hängen, darum hast du die Befürchtung.
A: Nein, ich hänge nicht an dem alten Typ Schaf.
B: Wir können nur versuchen, einem neuen Menschen zur Geburt zu verhelfen, aber wir können die Geburt nicht absolut garantieren.
Wir werden unser Bestes tun. Es spielt für uns keine Rolle, ob wir Erfolg haben oder nicht. Was zählt ist, ob wir unser Bestes versucht haben
oder nicht - und wir versuchen unser Bestes. Und das ist alles,
woran wir interessiert sind.

(Schöner, klüger, schneller, größer . . . Die Wunschliste an eine neue Art Mensch ist lang - und folgt sehr unterschiedlichen Idealen. Vor allem um die Wende des 19. zum 2O. Jahrhundert hatte der Diskurs zur Schaffung eines Neuen Menschen Konjunktur und radikalisierte sich im Faschismus, im
Nationalsozialismus und im Sowjetkommunismus.Programme, die diese Ideen in die Tat umsetzen sollten, gingen mit der Ausgrenzung und Vernichtung "alter" und als minderwertig betrachteter Menschen einher. Auch wenn diese Ideologien heute wenig Anklang finden, ist die Sehnsucht nach einem Neuen Menschen keineswegs verschwunden. Und so gehen auch Neuroenhancement durch Psychopharmaka, Transhumanismus und die technische Erweiterung des Menschen zu digitalisierten Cyborgs mit neuen ethischen
und politischen Herausforderungen einher.) -
(Der Neue Mensch, SCHRIFTENREIHE BD. 1O247, Herausgeber: bpb, Erscheinungsdatum: 24.9.2O18)
Melissa kriegt alles, Berlin: nobody came
Kodokushi
Als der "Neue Mensch" schreibe ich jetzt:
Der alte Mensch, dieses Schaf, und der neue Mensch dieses Schaf.
Ich wollte dass es anders wäre.
Ich lese eben:
Welche Konsequenzen unbeachtete und unbehandelte Einsamkeit(en)
nach sich zieht, zeigt Japan. Dort gibt es seit den 198Oern einen
Begriff für jene Menschen, die in sozialer Isolation leben und
vereinsamt sterben. "Kodokushi" - zu deutsch "einsames Sterben"
oder "einsamer Tod". (Anm. : Durch das Corona-Virus wird - (bricht ab)).
2O18 sorgt ein neues Ministerium in Großbritanien für internationale
Schlagzeilen. Die damalige Premierministerin Theresa May will der Vereinsamung der Gesellschaft entgegenwirken, auf sie aufmerksam machen
und führt ein "Ministerium für Einsamkeit" ein. May begründet die Innovation mit der "traurigen Realität": mehr als neun Millionen(!) der
über 66 Millionen Briten fühlen sich gemäß einer Umfrage des Roten Kreuzes immer oder häufig einsam. (...) - KURIER
Die Beatles sangen schon immer und haben es schön gesungen:
Ah, look at all the lonely people!
Where do they all come from (fromm?)
Where do they all belong? - Eleanor Rigby
Died in the church and was buried along with her name
Nobody came
Father McKenzie
Wiping the dirt from (fromm?) his hands as he walks from (fromm?)
the grave
No one was saved - All the lonely people -

Aaaah schau dir all die einsamen Leute an (in der Coronakrise
in der Corona-Kiste!)
All die einsamen Leute - wo kommen die bloß Heer?
Wo gehören die nur alle hin? (O du lieber Augustin alles ist hin!)
Eleanor Rigby strab (starb) einsam in der Kirche und wurde gemeinsam
mit ihrem Namen begraben (Einwurf: genial) Kain-Ehr kam.
Und der Pater Meck Kenn-Sie streift den fauligen Schmutz von seinen
klobigen Händen als er das Grab verlässt. -
Niemand wurde errettet.
Niemand wird gerettet, wir sind alle sterblich.
Ja ja, only the lonely
Know this feeling ain`t right
und und
Life is fairy short and there`s no time
for fussing and fighting, meine Freundin!
Try to see it my way
Only time will tell (Will-Helm) if I am right or I am wrong
We can work it out!
While you see it your way
There`s a chance that
We might fall apart (wie apart!) before too long
Nei, nein! We can work it out!
da bin ich mir Tod-sicher!
(beyond the uni-vers of words!)
Melissa, Berlin: Anblick Angerer
Im Deutschen Theater geht es aseptischer als in einer Arztpraxis zu. Damit meine ich die äußeren Umstände. Es liegt eine gewisse Anspannung in der Luft. Der Besucher könnte ja die Seuche ins Haus tragen. Sicherlich wird das Theater diesbezüglich mehr Gelassenheit entwickeln. Das Stück selbst ist besser als die meisten seiner Kritiken. Kathrin Angerer zog zu Beginn die Gardine auf. Sie war die erste Schauspielerin, die ich seit dem Lockdown auf der Bühne sehen durfte. Allein dafür hat sich der Abend gelohnt.
Melissa kriegt alles, Berlin: Interview
Was auffällt bei Pollesch-Kritiken: Man erfährt nicht so richtig, was verhandelt werden will und was auch tatsächlich wie verhandelt wird und ob das gelungen ist oder nicht. Die Pollesch-Kritik tendiert seit Jahren zur fast parodistisch verbürgerlichten Geschmackskritik der feinen Differenzen – ja, hm, war schon mal besser, erinnert bisschen an so und so, ist sehr relevant oder gar nicht relevant. Ich finde die Nachtkritik hier macht sich im Vergleich dazu ungewöhnlich viel Mühe, auch etwas über die Themen zu erzählen. Respekt. Warum jetzt der Vergleich der Ästhetik des Kommunismus und des Kapitalismus ein paar Monate into the Seuche plötzlich nicht mehr relevant sein soll, wie manche schreiben, ist mir ein Rätsel. Offenbar haben doch manche über die Jahrzehnte nichts von der Realismuskritik Polleschs verstanden, die ja auch eine Kritik des redundanten Relevanzparadigmas ist (Theater muss etwas Relevantes abbilden, um relevant zu sein: Im Stück nennen sie diesen undialektischen Vorgang lustig "Mondfinsternis", oder "Sonnenfinsternis"? Ist ja immer viel los, ne). Finde in Melissa sowieos viel, was Po & Co schon weniger lustig und angeeignet gesagt haben, Pollesch plappert manchmal ja auch nur kaum Verdautes nach. Etwas erstaunt war ich deswegen, dass dieses Interview so eine direkte große Rolle spielt im Text (wird aber nicht erwähnt im Programmbuch und soweit ich sehe, hat es auch niemand bemerkt, ist die FAZ schon zu obskur mittlerweile?): https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gespraech-zwischen-boris-groys-und-carl-hegemann-ueber-die-corona-pandemie-16793337.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
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