Begrabt mein Herz in Blumenerde!

von Georg Petermichl

Wien, 9. Oktober 2008. "Was ist DAS jetzt?", raunt Manfred einer Welt entgegen, in der sich die Luxusmarkise gerade selbständig gemacht hat. Seine Frau Anna hatte eben noch die Farbe bemäkelt, wenig enthusiastisch die Fernbedienung übernommen – nix geht – und dafür einen mediokren Wutanfall geerntet. Schulter an Schulter, wobei ihre hängen, stehen Steffen Höld und Katja Jung inmitten des Bühnenraums des Wiener Schauspielhauses und glotzen ihren Horizont – das Sonnendach – an. Ihre Figuren, der Frauenarzt und die Innenarchitektin, leben wie Wohlstandskaninchen in eingelebten Eskapismusmustern: Mountainbiking? Klar, zum Stressabbau in der Natur.

Die Markise ist natürlich selbst montiert. Working-Class-Attitüde. Fremdgehen? Ein verhohlener Ausdruck von Männlichkeit. Und die Familie trennt selbstredend: den Biomüll. Was auch immer angetatscht wird, muss als Objektfetisch der Neuen Bürgerlichkeit dienen. Und weil das alles verlogen ist, will sich die Weltenstruktur, in der "Die Mountainbiker" einbetoniert sind, klammheimlich verselbständigen. Die Markise ist nur ein Vorbote.

Dekonstruktion der Bürgerlichkeit im Dialog

Der Heidelberger Stückemarkt verlieh Volker Schmidt für dieses Stück den Haupt-, wie den Publikumspreis 2007. Vor allem in Wien hatte er sich schon zuvor als Autor, Schauspieler und Regisseur verdient gemacht. Unter anderem auch für das Jugendtheater, was die Prägnanz des Textes befördert hat: Die Lebensschieflage der "Mountainbiker" kommt, wie etwa auch bei Kristo Šagor, ohne eingebetteten Kommentar aus. Die Dialoge sind einfach und exakt gesetzt, Befindlichkeiten müssen zwischen den Zeilen der Protagonisten gelesen werden. Die Dekonstruktion der Bürgerlichkeit ist aber fundamental: Es ist schlichtweg genial, eine Gesinnung, die ihre Stärke aus der Massentauglichkeit bezieht, strikt auf Zweiergespräche innerhalb eines Beziehungsknäuels zu reduzieren.

Mit von der Partie sind Manfreds und Annas Tochter Lina (Bettina Kerl), der Freund und Werbeagent Albert (Max Mayer), die Ausstatterin Franziska (Nicola Kirsch) und ihr Sohn Thomas (Vincent Glander). Albert und Franziska fangen ein lockeres Verhältnis an. Lina und Thomas haben über ihre unsichere, für sie aber letztlich heilsame Agitationshaltung zusammengefunden. Und Franziska hat gerade die Sexconnection mit ihrem Frauenarzt, Manfred, im Sand verlaufen lassen.

Alles kein großes Problem.

Nur Anna beginnt sich hermetisch abzusondern: Sie stresst ihren Mann, blamiert die Tochter, schenkt Franziska ihr Auto, klaut und besonders fatal: Sie lässt sich auf eine sexuelle Verjüngungskur mit Thomas ein. Während sie meint ihr Leben zu ordnen, möchte sie der Rest beim Psychiater sehen.

Tröpfelnde Unglücksdramaturgie und Schlammschlacht

Die Bühne dazu kommt mit einem abgegriffenen, zartrosa Holzverschlag als Hintergrund und mit schmaler Requisite aus: Naturverbundene Bürger bewerfen sich also maßvoll mit Blumenerde und der Regen, der ihre Existenz verwäscht, kommt aus PET-Flaschen.

Regisseur Alexander Charim hat grundlegend in Schmidts Text eingegriffen und ihn dabei auf sechzig Spielminuten verkürzt. Anstatt der kontinuierlich tröpfelnden Unglücksdramaturgie des Autors zu folgen, setzt er einen großen Theatermoment auf die verstreute Erde – eine Schlammschlacht, nach der sich kurzfristig auch die Zweierdialoge ineinander verschränken. Diese Effekthascherei hätte man sich sparen müssen, läuft das doch der Sprachoberfläche – ihrem Brodeln im Abseits – ordentlich zuwider. Allerdings versetzt Charim seine Figuren sehr intelligent in eine typisch vorstädtische Wartegrundhaltung: Bei Inaktivität lehnen, hocken oder lümmeln sie am Hintergrund und beäugen sich.

Vor diesem Hintergrund spielt sich ein jeweils großartig komponierter Stellungskrieg ab: Mayer verliert dabei mehrmals seinen Angeberduktus, kratzt dann jeweils den gebrochenen Stolz mit gepiepten Floskeln oder Sprachlosigkeit gegenüber der herrlich verklausulierten Jugend (Glander und Kerl) zusammen. Über allem thront aber Katja Jungs Performance: In Krisenmomenten stülpt sie ihrer Anna verschmitzt oder herablassend die Rolle einer soap opera-Mutti über. Stets auf dem Sprung dorthin, hält sie sich ansonsten unberechenbar.

In vorsichtiger Distanz zueinander haben sich Thomas und Lina schließlich vor dem verunglückten Vater wieder gefunden, reden über Vergangenes und sind dabei wunderbar jugendlich steif: "Und jetzt bist du klüger." Thomas: "Eigentlich nicht. Aber ich glaube die Angst ist ein bisschen weniger geworden."

Die Mountainbiker (ÖEA)
von Volker Schmidt
Regie: Alexander Charim.
Mit: Vincent Glander, Steffen Höld, Katja Jung, Bettina Kerl, Nicola Kirsch, Max Mayer.

www.schauspielhaus.at

Mehr lesen? Hier lesen Sie die Nachtkritik der Heidelberger Uraufführung im Oktober 2007. Im Mai 2007 war Volker Schmidts Stück Doppelsieger beim Heidelberger Stückemarkt geworden.

 

Kritikenrundschau

"So geht das", befindet angesichts von Alexander Charims Inszenierung eine zufriedene Margarete Affenzeller in der Wiener Tageszeitung Der Standard (11.10.). In wenigen Tönen "wie dem krächzenden Aufrollen einer neuen Markise" und symbolischen Handlungen ("Zerstampfen von Erdreich und Zerfetzen eines Lilienbeets") halte Charim "die manchmal klamottenhaft ansteigende Betriebstemperatur" dieser dramatischen Skizze unter Kontrolle, weshalb sie aus Affenzellers Sicht "feingliedrig" bleibt. Ihre Pointen, "die das Publikum bei der Premiere am Donnerstag hörbar entzückten", würden nicht ausverkauft.

"Ein hintergründiger, vordergründig unterhaltsamer Theaterabend, der viele Fragen stellt und eine Antwort offen lässt", befindet Hilde Haider-Pregler in der Wiener Zeitung (11.10.). Schon Volker Schmidts Stück gefällt ihr wegen seiner "sarkastisch und witzig pointierten Dialoge" und dem dadurch entworfenen Beziehungsgeflecht, mit dem auch eine TV-Soap reüssieren könnte. Auch weil Schmidt dies gleichzeitig decouvriere und unterwandere. Aus ihrer Sicht wird Alexander Charims Inszenierung dem Text überzeugend gerecht, gelingt "auf einer nur mit einer Holzwand und einigen Versatzstücken ausgestatteten Bühne mit spielerischer Leichtigkeit eine Annäherung an die Mehrschichtigkeit des Textes, "die unter scheinbaren Oberflächen dennoch dessen Tiefe spürbar werden lässt".

 

 

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