Schweinesystem

von Frauke Adrians

Berlin, 18. September 2020. Pornos und Fleisch: Das waren in den 70er Jahren die Top-Exportprodukte Dänemarks, nachdem das Land früher als alle anderen die Bildpornografie genehmigt hatte, und zwar unbegrenzt oder, wie man in der Branche wohl sagt, tabulos.

Von der Fleischeslust

Porn & Pork: Es kann kein Zufall sein, dass nur ein Buchstabe diese beiden fleischlichen Konsumartikel unterscheidet. Und dann ist es auch kein Zufall, dass jemand mit beidem zugleich seinen Lebensunterhalt verdient. Das Ebermädchen, so nannte man/Mann diese Frau, leitete schon in ganz jungen Jahren einen ländlichen dänischen Besamungsbetrieb, und als das Geschäft nicht mehr so gut lief, sattelte sie auf Sodomiepornografie um. Obwohl, Sodomie sagt man heute nicht mehr, erläutert sie gleich zu Anfang des Stückes, sondern: Zoophilie, was erheblich besser klingt, weniger nach biblischer Verdammnis und mehr nach Psychologie. Die beiden Schauspieler auf der Bühne der Schaubude, die im Laufe des Abends ungezählte Rollen übernehmen, menschliche, tierische und sächliche, sagen es direkter: "Wir erzählen die Geschichte einer Frau, die Sex mit Tieren hatte."

DanishPork 1 560 GianmarcoBresadola uTilla Kratochwil und Maximilian Tröbinger zeigen an der Schaubude Berlin dokumentarisches Puppenspiel für Erwachsene © Gianmarco Bresadola

Wie erzählt man eine solche – an eine tatsächliche Biografie angelehnte – Geschichte auf der Bühne, ohne dass es lächerlich, widerlich, zotig oder schlicht schweinisch wird? Nis Søgaard und sein Team inszenieren sie in der Schaubude mit diversen Objekten, winzigen Möbelchen, Tierfigürchen und einem kuscheligen Plüschhund, sie schaffen mithilfe von Overhead-Projektor und Videokamera Bilder, deren Puppenstuben-Putzigkeit schon im Moment ihres Entstehens ins Groteske kippt oder gleich ins Gegenteil verkehrt wird.

Ihr Thema ist nicht so sehr das triste, verpfuschte Leben ihrer Hauptperson, ihnen geht es eher um die Ähnlichkeiten der Porno- und der Fleischindustrie und die Frage, was Tieren und Menschen angetan wird, damit menschliche Fleischeslust befriedigt werden kann. Die kriminellen und seuchengefährlichen Arbeitsbedingungen in deutschen Großschlachtereien werden hier nicht ausbuchstabiert, aber wer das Stück zu Corona-Zeiten sieht, wird sie unweigerlich hinzudenken.

Entlarvend, bizarr und tieftraurig

Schweine, Hunde und ein Pferd, das sich – Achtung, Anspielung – für ein Einhorn hält, werden nach dem frühen Ende des skandalträchtigen Schweinezüchterinnenlebens als Zeugen aufgerufen. Tilla Kratochwil und Maximilian Tröbinger lassen die Tiere mit der Abgeklärtheit derer sprechen, die in ihrer Rolle, ob als großer Zuchteber oder als kleiner Pornodarsteller, längst Routine haben. Nur die Sauen, die nicht als geiler Sonntagsbraten enden wollen, begehren vielleicht noch gegen ihre viel zu engen Kastenstände auf. Am Rande ist auch von Liebe die Rede, denn, so verstiegen das klingt, die "Eberfrau" liebte Tiere eine Zeitlang auch auf ganz unzweideutige Art, zumal sie keinen Grund hatte, die Menschen zu mögen.

DanishPork 3 560 GianmarcoBresadola uPuppenspieler Maximilian Tröbinger © Gianmarco Bresadola

"Danish Pork" ist drastisch und tieftraurig, entlarvend, erhellend und in manchen Szenen von bizarrem Witz – etwa, wenn der Porno-Dreh in hektischen Hochleistungssport zu Serge Gainsbourgs und Jane Birkins "Je t'aime" ausartet. Das akustische Gegenbild ist Beethovens "Pastorale", mit der die Tierzüchterin einen Film über ihr vermeintlich heiles Landleben untermalen ließ. Glaubte sie daran überhaupt noch selbst? Anders gefragt: Glauben Schweineproduzenten und Fleischkonsumenten im Ernst noch an so etwas wie das Menschen- und Tierwohl?

 

Danish Pork
von Søgaard/Barthel/Glöckler, Berlin
Dokumentarisches Puppen- und Objekttheater
Regie: Nis Søgaard, Bühne und Kostüme: Jana Barthel, Puppenbau: Magdalena Roth, Video: Aaike Stuart, Dramaturgie: Tina Ebert, Regieassistenz: Christoph Scharf, Produktion: Miriam Glöckler.
Mit: Tilla Kratochwil und Maximilian Tröbinger
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, eine Pause
Premiere: 18. September 2020

www.schaubude.berlin

 

Kritikenrundschau

"Das Bühnenhandeln wirkt gelegentlich inhaltlich überfrachtet, Informationsfuror erstickt da häufiger das Spiel. Einige grandiose Szenen gelingen dennoch", schreibt Tom Mustroph auf www.fidena.de. 'Danish Pork' hole sein Thema aus der Schmuddelecke heraus. "Das ist gewagt, und gleichermaßen nötig. Die Vielzahl der eingesetzten Mittel, große und kleine Objekte, Tierfiguren, Projektionen sowie menschliches Schauspiel, machen die Produktion spieltechnisch zu einer Art Lehrstück für Ausbildungsstätten für Puppen- und Objekttheater. Jetzt wünscht man nur, dass sich Kratochwil und Tröbinger auch schnell freispielen mögen von dem ganzen Informationspaket, das sie in Worten auch noch zu transportieren haben. Gelingt ihnen das, kann 'Danish Pork' zu einem sensationell guten Stück werden."

Kommentare  
Danish Pork, Berlin: Richtung Schauspiel
Tom Mustroph (ist wohl der einzige Berliner Journalist, der noch kontinuierlich und seriös über Puppentheater schreibt): Wie SIE das "Lehrstück" für Puppenspielstudenten meinen, ist das eine. Wie die angehenden (Nicht-)Puppenspieler es mißverstehen, wird wohl wieder das andere sein: Das Stück wie so viele andere als Aufforderung zur Abwendung vom Puppentheater hin zum Schauspiel, bestenfalls mit ein paar Objekten und Puppenelementen garniert, aufzufassen. So wird man dann sogar von Nachtkritik rezensiert. Alles in allem scheint es mir ein Trugschluß, daß sich das Genre mit so etwas auf Dauer erweitert. Sondern es geht immer mehr in Schauspiel oder multirmedialem Brei unter. Regisseur Sogaard hatte 2019 mit "Das Fest" in der Schaubude gezeigt, daß er auch Puppentheater kann. Nun wieder mehr oder weniger Schauspiel. Gääähn...
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