Nüsse, Schüsse und auch: Gartenschlauch

von Jan Fischer

Hannover, 27. September 2020. Es ist ein Kreuz mit diesen Reimen. Mal sollen sie und wollen nicht, mal wollen sie und sollen nicht, und dann wieder reimen sie sich nur unrein, wenn sie doch rein sein sollen. Und dann ist aus die Maus. So oder so ähnlich klingt es, wenn Bernhard Conrad und Bärbel Schwarz Wolfram Lotz‘ Text "Die Politiker" in Hannover vor einer weißen Einkauküche inklusive Retro-Kühlschrank der Marke "Wolkenstein" rezitieren oder vielleicht auch deklamieren. Oder: Breit treten wie, sagen wir, Himbeermarmelade auf einem Hochflor-Teppich: So klebrig, dass man lange was davon hat und es sieht ein bisschen nach Mord aus, ist aber eigentlich ganz süß.

DIE POLITIKER von Wolfram LotzMit Bernhard Conrad und Bärbel SchwarzREGIE Marie Bues  BÜHNE Carolin Gödecke  KOSTÜME Lara Nikola LinnemeierIn der Küche eingebaut: Bernhard Conrad © Kerstin Schomburg

Lotz' Text ist dabei ein eigenartiges, verwirrendes Ding, das mit Loops und Überlagerungen arbeitet, mit waghalsigen Motivketten und Reimen wie "Die Politiker knacken die Nüsse / Es klingt wie Schüsse" oder "Die Politiker liegen auf dem Bauch / Da liege ich auch" (im weiteren Verlauf gibt es dann einige Reime auf "Gartenschlauch"), sich aber auch in perlende Glanzstücke wie "Die Politiker stolpern über Dinge / die herumstehen in der Ewigkeit" hineinkalauert. 99 Seiten, ein langes Stück Lyrik, voller Stilbrüche, über Politiker, aber nicht über Politik. Es ist außerdem ein surrealer Text, einer, dessen Sätze meist mit "Die Politiker" beginnen und das Wesen der Politiker ab absurdum führen – ein Spiel mit Erwartungen, mit den Bildern im Kopf der Leser oder Leserinnen oder des Publikums, die nicht nur gebrochen werden, sondern unterlaufen und von da unten fröhlich in kleinste Teile zerhackt. Um, ja, was zu tun? Über Politiker zu reden, aus einer selbstreflexiven Einsamkeit heraus. Über Erwartungen an sie, solche, die sich erfüllen, und solche, die sich nicht erfüllen lassen, Stellen, an denen der Einzelne Verantwortung abgegeben kann, Stellen, an denen das unmöglich ist. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch ein Text, den man besser nicht auf irgendeine Lesart festlegt, dann fliegt er nicht mehr so schön.

Ein Ei braten

So ein im Kern schwebend-absurder Text funktioniert jedenfalls nur, wenn er mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragen wird – denn das Absurde ist eben nur absurd, wenn es sich zwischen Alltäglichem versteckt. Deshalb sind die besten Momente in Marie Bues' Inszenierung von "Die Politiker" in Hannover eben solche Momente. Momente, in denen kleine Merkwürdigkeiten mit dem Text kollidieren. Wenn Bernhard Conrad sich gemütlich in der Einbauküche ein Ei brät und sich dabei bis ins Schreien ereifert und schlussendlich seinen Tisch umwirft. Wenn Bärbel Schwarz an ihrem Klavier langsam in leicht dissonantes Jodeln abgleitet, während Conrad in der Küche immer wieder "Adolf Hitler" deklamiert – so lange, bis die Worte jede Bedeutung verloren haben – und sich dabei die Kleidung vom Leib reißt.

Eine Ebene drüberlegen

Dann wieder gibt es Momente, in denen einfach zuviel des Guten passiert. Wenn Schwarz mit dämonischem Stimmverzerrer-Effekt Textzeilen spricht und dazu auf dem Schlagzeug herumhämmert. Wenn Conrad über seine eigenen, geloopten Sätze spricht und damit den Überlagerungen im Text noch mehr Überlagerungen hinzufügt. Kurz gesagt: In den Momenten, in denen die Inszenierung dem Text nicht entgegen arbeitet, sondern genau dasselbe tut, nämlich poetisch-kalauerige Übertreibung, hat sie ihre schwächsten Momente.

DIE POLITIKER von Wolfram LotzMit Bernhard Conrad und Bärbel SchwarzREGIE Marie Bues  BÜHNE Carolin Gödecke  KOSTÜME Lara Nikola LinnemeierDas Duo des Abends: Bernhard Conrad und Bärbel Schwarz © Kerstin Schomburg

Willkommen in Bonn

Dennoch ist "Die Politiker" ein Text, der sich lohnt, vorgetragen zu werden – gerade auch im Dialog, oder eher: nebeneinander – von Conrad und Schwarz, vor allem, wenn sie ihre Ernsthaftigkeit bewahren und den Text die Absurdität übernehmen lassen. Denn dann kann er sich entfalten, zwischen all der Gitarren-, Keyboard-, Klavier- und Schlagzeugmusik, die Schwarz beisteuert, zwischen all der Spackeligkeit mit Bonner-Republik-Gedächtnisbrille, die Conrad beisteuert. So ist "Die Politiker" eine Inszenierung, die man vielleicht eher als Versuch lesen sollte, einen Text, dessen Hauptteil sich im Assoziationsraum abspielt, auf eine Bühne zu bringen, ohne ihm den Raum zu nehmen, den er braucht. Das gelingt phasenweise, phasenweise nicht. Spaß macht es allerdings schon. Und nun, äh, aus die Maus.

 

Die Politiker
von Wolfram Lotz
Regie: Marie Bues, Bühne: Carolin Gödecke, Kostüme: Lara Nikola Linnemeier, Dramaturgie: Barbara Kantel
Mit: Bernhard Conrad, Bärbel Schwarz.
Premiere am 27. September 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-hannover.de

 

Über seine Poetologie spricht Wolfram Lotz in unserer Video-Reihe Neue Dramatik in 12 Positionen. Dort trägt er auch eine Passage aus Die Politiker vor (ab 51:45). 

 

Kritikenrundschau

Marie Bues kitzele die Musikalität des Stoffes heraus, so Stefan Gohlisch von der Neuen Presse (28.9.2020). "Ein verfluchter Flow entsteht. Die Politiker – sie bedeuten rein gar nichts, sind bloß Chiffre der eigenen Bedeutungslosigkeit in dieser Republik der 83 Millionen Bundeskanzlerinnen." Und weiter: "All das wäre dann doch ein bisschen wenig für einen immerhin 75-minütigen Abend." Der Autor erzähle aber auch die Geschichte des Schreibers als einsamen Mannes. "Lotz ist da ein ganz präziser Autor jenes kaum erträglichen Zustands, wenn man mal wieder alleine ist mit sich und dem Rechner als einziger Echokammer der Gedanken und einem Kopf so voller Bedauern, dass man ihn sich am liebsten abreißen möchte: all die vergangenen Verfehlungen und Versäumnisse, Leiden und Lügen ..."

Der Text sei ein großer Gesang, der Privates und Öffentliches zusammenbringe, ein Redefluss, der einen mitreiße und verschlinge, "ein staunenswerter Textstrudel, eine großartige Beschwörung der Gegenwart und der Welt", so Ronald Meyer-Arlt von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (28.9.2020). "Und dann kommen die Theaterleute und ruckeln sich den Text für die Aufführung zurecht." Die Inszenierung von Marie Bues sei kein Wagnis. "Während der Autor seine Wunde zeigt, zeigt das Theater, was es kann. Präsentiert wird Handwerk." Die Inszenierung von Marie Bues wirke, als würde sie dem Text nicht trauen. "Sie bemüht sich vor allem um Unterhaltung, um Effekte. Die 80 Minuten dauernde Aufführung unterhält durchaus. Langweilig ist die Sache nicht – aber falsch."

 

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