Das Ende der Welt wie wir es kennen - Theater Basel
Schutzraum Apokalypse
von Claude Bühler
Basel, 17. Oktober 2020. Was von der Aufführung in Erinnerung bleiben wird, ist die gewaltige, apokalyptische Szenerie, in der sich eine Gruppe Überlebender tummelt. Márton Ágh hat auf die Große Bühne und in den Zuschauerraum meterhohe, efeubewachsene Strommasten montiert, abgerissene Riesenwerbeplakate an die Wände gehängt, den opulenten Eingang eines Einkaufszentrums in den Hintergrund platziert. Es herrscht Zerfall und Verwahrlosung.
Androidin Gaia und ihr Egoismus-Chip
Entwickelt für die Olivier-Messiaen-Oper Saint François d’Assise, wird das Bühnenbild nun für das Weltuntergangs-Schauspiel "Das Ende der Welt wie wir es kennen" zweitverwertet, da ein Umbau zu aufwändig wäre.
Apoklaypse in Basel: die Bühne von Márton Ágh © Maurice Korbel
Die Absichten des Autors David Lindemann und des Ensembles um Jörg Pohl sind die besten. Gezeigt werden soll, wie eine Gruppe von Lebewesen angesichts des Weltuntergangs einen Neuanfang macht. Wie sie beschließen, die letzten Lebensmittel gerecht untereinander zu verteilen, um einander nicht zu "Fressfeinden" zu werden. Wie sie sich vor dem nahen Ende zu einer sozialeren Gemeinschaft entwickeln, die Konflikte fair austrägt und die situative Überlegenheit der Wortmächtigeren in die Schranken weist.
An letzterem stößt sich der einzige Mensch unter ihnen, der Prof., ein mit Sturmgewehr bewaffneter Prepper in Kampfuniform mit rückenlangen Rastalocken. Beleidigt, als "alter, weißer Mann", zieht er (für kurze Zeit) von dannen, als man seine Wortführerschaft in Frage stellt. Schliesslich sei er ja der Retter aller hier; sein ganzes Leben hat er damit vergeudet, sich auf den Weltuntergang vorzubereiten. Zombie Sven rebelliert, für ihn sei Fleisch als Nahrung "alternativlos", darum sollen die andern bitte sehr darauf verzichten. Die Androidin Gaia lässt sich den Egoismus-Chip aus dem Hirn operieren, der ihre Überlebenschance hätte verbessern sollen. Als Dea ex Machina will sie sich nun selbst neu erfinden.
Die kunstvollen Kostüme von Helen Stein und Lena Schön @ Maurice Korbel
Auf der anderen Seite steht Pilz Matze, der die kontanimierte Erde liebt. Oder der Waschbär Bärchen, für den das Leben – als Tier unter der Weltherrschaft des Menschen – "Scheiße" war und nun erstmals mit der Gruppe ein "Fundament aus Möglichkeit, mit Wänden aus Durchlässigkeit, mit einem Dach aus Offenheit" erlebte. Es ist der Sound der aktuellen Demokratie-, Klima- und Menschenrechts-Debatten, der die Aufführung grundiert und das Geschehen in einen Schutzraum schöner Vorstellungen transponiert. Bewähren muss sich davon nichts, kein Charakter sich bezwingen, kein Drama durchschritten werden. In WG-Sitzungen wird verhandelt, per Abstimmung entschieden, gar ein Vortrag über "Vertrauen" gehalten. Es wird jedoch nicht klar, ob die Gruppe trotz oder gerade wegen dem absehbaren Tod zu einem friedlicheren Zusammenleben gefunden hat.
Großer Schuh für zu kleinen Fuß
Auf- oder anregend ist das kaum, trotz hohem Dialogtempo, trotz teilweise lustigen Ideen. Eine davon: Es wird als Traktandum verhandelt, ob man das knapper werdende Toilettenpapier bei Gebrauch noch knüllen oder nur noch falten darf. Márton Ághs großes Opernbühnenbild erweist sich als zu großer Schuh für den kleinen Fuß dieser Inszenierung, die herumschlingert und Halt sucht. Über weite Strecken wirkt es, als hätte man einer Improvisationsgruppe gesagt: Da ist das tolle Bühnenbild, probiert mal etwas zu "Apokalypse" (Saisonthema am Theater Basel). Nur einzelne darstellerische Glanzpunkte lenken gelegentlich von diesem Gesamteindruck ab.
Darstellerische Glanzpunkte: Jan Bluthhardt (Zombie Sven) und Jörg Pohl (der Prepper) © Maurice Korbel
Da wäre etwa Jan Bluthardt, der als spastischer Zombie Sven immer wieder mit virtuosen Slapstick-Szenen brilliert. Ohne ihn hätte die Aufführung weder Komik oder gar Tragik. Ansätze, eine Geschichte zu erzählen, wurden durchaus erarbeitet. Der Abend beginnt mit einer actionreichen Zombie-Shooter-Szene: wird aufgelöst als Überlebens-Training, war nur Intro. Irgendwo wird ein Lagerfeuer gesichtet, unsere Gruppe beschließt Kontakt mit den anderen Menschen aufzunehmen: der Impuls wird einfach fallen gelassen, weiter in der Tagesordnung.
Jörg Pohl gibt den Prepper souverän als eigenwillige Kreuzung aus Post-Hippie und Überlebenscamp-Ausbildner. Gala Othero Winter als Androidin Gaia agiert superagil mit einnehmender Geistesgegenwart. Nikèn Dewers ist ein anrührender trauriger Bär. Ein Kränzchen gibt's für die Kostüm-Bildnerinnen Helen Stein und Lena Schön: An ihren Kreationen – dem knuddeligen Waschbären, der kunstvoll gebauten Kakerlake und dem prinzessinnenhaften Pilz – kann man sich kaum satt sehen.
Das Ende der Welt, wie wir es kennen
von David Lindemann, Jörg Pohl und Ensemble
Uraufführung
Inszenierung: Jörg Pohl und Ensemble, Bühne: Márton Ágh, Kostüme: Helen Stein, Lena Schön, Ton: Jan Fitschen, Timothy Ferns, Lichtdesign: Roland Edrich, Dramaturgie: Inga Schonlau
Mit: Jan Bluthardt, Gaia Othero Winter, Jörg Pohl sowie Nikèn Dewers, Marc Scheufen, und Flurina Schlegel als Studiogäste Hochschule der Künste Bern, HKB
Premiere am 17. Oktober 2020
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater-basel.ch
Von einem Ensemble, "das viel Lust am Theater hat, Lust an verschiedenen Formen, vielfältigen Formen, am Experimentieren damit", spricht Andreas Klaeui auf SRF (19.10.2020). Zwar sind die Inhalte aus seiner Sicht "ein bisschen auf der Strecke geblieben – aber es zeigt sich eine Compagnie mit erstklassigen Schauspielerinnen und Schauspielern, alle mit einer eigenen, eigenwilligen Energie, da freue ich mich drauf, sie wieder zu sehen." Textlich allerdings bleibe die Sache dünn.
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Für dieses Satyrspiel hat der Berliner Autor David Lindemann einen Text geschaffen, der gegenwärtig ja höchstaktuelle Untergangs- und Überlebens-Thesen zusammenballt und so ad Absurdum führt.“ (Dominique Spirgi, Aargauer Zeitung, 18.10.20)