Mehr als Genderfragen

Hamburg, 2. November 2020. Die Konferenz "Burning Issues" lief am Wochenende auf Kampnagel: vom Fokus auf Gender(un)gerechtigkeit im Pionierjahr 2018 haben sich die Themen hin zum grundsätzlichen Abbau von Diskriminierung entwickelt.

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Mehr als Genderfragen

von Falk Schreiber

Hamburg, 2. November 2020. Sympathisch, wie Amelie Deuflhard der Fauxpas gleich bei den einleitenden Worten unterläuft. Die Intendantin des Hamburger Produktionshauses Kampnagel begrüßt die Besucher*innen des vom Ensemble Netzwerk initiierten Geschlechtergerechtigkeits-Arbeitswochenendes "Burning Issues", erwähnt kurz den bevorstehenden Lockdown, bedauert "Wozu sollen unsere Theaterräume gut sein, wenn wir sie nicht live bespielen dürfen?", freut sich, dass die mittlerweile dritte "Burning Issues"-Ausgabe trotz Lockdown und Pandemiebeschränkungen vor Ort (und im Livestream) stattfinden kann. Und erklärt "Das Festiv… die Konferenz!“ für eröffnet.

Dass Deuflhard die Konferenz mit einem Festival verwechselt, ist symptomatisch. Weil "Burning Issues" auf Kampnagel tatsächlich Festivalcharakter annimmt. Ja, es gibt theoriesatte Panels, aber es gibt auch immer wieder künstlerische Interventionen, ebenso wie Grenzformen zwischen Diskurs und Performance. Dazu kommt, dass hier das Verständnis von Intendanz ist, nicht zuletzt eine gute Gastgeberin zu sein: Auf Kampnagel will man, dass die Besucher*innen sich wohl fühlen, mit Entgrenzung, mit Kunst, mit dem Musikkollektiv One Mother, das am späten Samstagabend die Feuertonne auf der Kampnagel-Piazza anheizt. Ist super. Führt allerdings weg vom aktivistischen Ansatz der vorherigen Burning Issues-Programme. Zumal der frühere Fokus auf das Geschlechterthema deutlich erweitert wurde.

Diskriminierung ist komplex

"Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus, Ableismus, Altersdiskriminierung sind am Theater immer noch Thema", weiß Deuflhard, weswegen diese Bereiche diesmal auch diskutiert werden. Und es ist der fokussierten Konferenzleitung von Nicola Bramkamp und Lisa Jopt zu verdanken, dass das Programm nicht verwässert, sondern durch die Erweiterung tatsächlich bereichert wird. Wie komplex Diskriminierung nämlich verläuft, beschreibt die per Zoom aus Toronto zugeschaltete Schauspielerin Benita Bailey einleuchtend: Wer queer ist, türkischstämmig und eine chronische Krankheit hat, dessen Diskriminierungserfahrungen sind immer mehrfach codiert.

BurningIssues Day1 560 Anna Spindelndreier uAm Eröffnungstag, mit den beiden Burning Issues Initiatorinnen und Konferenzleiterinnen Nicola Bramkamp, in der Mitte, und Lisa Jopt, rechts © Anna Spindelndreier

Interessant an Baileys Keynote ist nicht zuletzt, dass die Deutsch-Äthiopierin als Ersatz gebucht ist; eigentlich hätte Julia Wissert an dieser Stelle sprechen sollen. Das wäre vielleicht noch eine weitere Diskussionsebene gewesen: Wissert ist als Dortmunder Schauspielintendantin in einer Machtposition, anders als eine Schauspielerin, wegen Wisserts Absage werden die theaterinternen Hierarchien nicht weiter thematisiert.

Zudem doppelt sich Baileys (ansonsten durchaus ergiebiger) Beitrag ein Stück weit mit demjenigen der Kommunikationssoziologin, Künstlerin und Autorin Natascha A. Kelly, die den Begriff der Intersektionalität in den Blick nimmt. Allerdings hat Bailey natürlich recht, wenn sie "Burning Issues" dafür lobt, zwei Schwarzen Frauen direkt hintereinander ein Podium zu geben, auch wenn sie ganz ähnliche Themen beackern: Das ist ein Statement, und zwar eines, dessen Wirkung nicht unterschätzt werden darf.

BurningIssues Day1b 560 Anna Spindelndreier uPanel mit Maseho, Natascha A. Kelly und Zari Harat bei Burning Issues © Anna Spindelndreier

Dass die dritte Keynote des Tages sich im Vergleich wolkig ausmacht, liegt an der Speakerin: Doris Dörrie mag für die Sichtbarkeit von Frauen im Film viel getan haben (ihre Bedeutung fürs Theater allerdings ist deutlich geringer). Dass sie jedoch mit "Ein Stift kann eine Bühne sein" zunächst ein Plädoyer gegen Intellektualität und Diskurs hält und dann das Publikum zur Creative-Writing-Übung drängt, ist eher unangenehm.

Hefte raus, Klassenarbeit, jede*r schreibt zehn Minuten zum Thema "Ich erinnere mich an … Brot". Und zwar per Hand, weil: Digitales ist böse. Wenn man freundlich sein möchte, kann man Dörries Keynote als Luftholen verstehen, als leichtgewichtigen Gegenentwurf zu den politischen, fordernden Impulsen Baileys und Kellys. Wenn man böse ist, muss man feststellen, dass hier eine überaus privilegierte Regisseurin Kindergarten spielt und nicht einmal erkennt, dass vor ihr keine Kinder sitzen, sondern hochprofessionelle Theatermacher*innen.

Queerfeministische Parcours

Fürs Luftholen scheint ohnehin der Seitenstrang "Young Burning Issues" besser geeignet, der Kulturschaffende in Ausbildung sowie Berufsanfänger*innen versammelt (und unter denen Naomi Sam von Diskriminierung im Umsetzungsprozess von "Burning Issues" selbst berichtete: Sie sei vom technischen Personal wegen ihres Studierendenstatus nicht ernst genommen worden).

Ursprünglich entstand diese Initiative aus Bühnenraumstudierenden der HfbK und Kostümbildstudierenden der HAW, die den "Marktplatz der Möglichkeiten" gestalten sollten. Der ist als Herzstück der Konferenz ein Ort, an dem sich Gleichstellungsinitiativen und Organisationen wie die inklusive Hamburger Theatergruppe Meine Damen und Herren oder das queerfeministische Netzwerk Gefährliche Arbeit präsentieren – im Grunde eine verhältnismäßig spröde Veranstaltung, die sich durch die popfeministische Ausstattung allerdings zum reizvollen Parcours entwickelt.

BurningIssues Day1e 560 Falk Schreiber uIntervention: "Der alte weiße Mann tritt zurück" auf dem Hamburger Rathausmarkt, initiiert von Studierenden der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg © Falk Schreiber

Am Rande der Konferenz zeigen zudem Studierende der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater als spannende künstlerische Intervention die Performance "Der alte weiße Mann tritt zurück", Sonntagfrüh vor dem Hamburger Rathaus: ein kurzer, geisterhafter Einwurf, der schon wieder verschwunden ist, bevor man ihn richtig wahrgenommen hat.

Von Beginn an

Der Sonntag steht ohnehin stark im Geiste des Nachwuchses – zunächst mit einer Lecture von Katharina Alsen und Sabina Dhein von der Theaterakademie Hamburg, die den Grundstock einer Ent-Hierarchisierung des Theaterbetriebs schon in der Ausbildung verorten: "Widerständige Praxis – Artistic Research goes Gender". Worauf sich direkt ein Diskussionspanel anschließt, das eben diese Ausbildung in den Blick nimmt. Nicola Bramkamp moderiert die Runde, bestehend aus Amelie Niermeyer (Mozarteum Salzburg), Salome Kiessling (Studierende bei Niermeyer) und Sarah Elisabeth Braun (Regieassistentin, angehende Regiestudentin und Initiatorin des BIPoC-Netzwerks), per Video ist Performerin Jana Zöll aus Leipzig zugeschaltet.

BurningIssues Day1d 560 Anna Spindelndreier uKampnagel-Foyer bei Burning Issues © Anna Spindelndreier

Echte Kontroversen entstehen dabei zwar nicht, allerdings werden Wege aufgezeigt, wie Zugangsmechanismen ausgehebelt werden könnten. Zöll beschreibt sehr anschaulich, wie ihr mit einer sichtbaren Behinderung der Zugang zum Theater schwer gemacht wurde, Braun weist auf den grassierenden Klassismus in den etablierten Institutionen hin, darüber hinaus bleibt alles weitgehend freundlich, zumal insbesondere das Mozarteum bezüglich der Öffnung schon verhältnismäßig weit zu sein scheint. Freilich, einen gewissen akademischen Duktus pflegt die Runde (wie im Grunde die gesamte Konferenz) durchaus – und schließt dadurch ihrerseits nichtakademische Positionen aus.

Awareness schaffen

Tatsächlich brechen die großen Streitpunkte das gesamte Wochenende über nicht auf. Was deutlich wird: Awareness ist wichtig. Netzwerke sollten tunlichst weiter geknüpft werden. Und Publikumsfragen aus Corona-Gründen per SMS zu stellen, funktioniert nur so halbgut. Darüber hinaus ist wirklich auffallend: wie gut und stimmig die Podien zusammengestellt wurden. Wie klar die Organisatorinnen hier eine ästhetisch-theoretische Linie durchgezogen haben. Und wie angenehm konzentriert eine Konferenz verlaufen kann, ohne männliches Gegockel.

Ob tatsächlich Netzwerke geknüpft wurden? Vielleicht beim Tanz um die Feuertonne, jenseits des offiziellen Programms. Und das ist dann tatsächlich der Verdienst des Gastgebers Kampnagel: dass hier Freiräume geschaffen werden, in denen eine Vernetzung möglich ist, Freiräume der Kunst, der Feier. Des Festivals.

Burning Issues: Performing Equality
30. Oktober bis 1. November 2020

www.kampnagel.de
www.ensemble-netzwerk.de

 

Burning Issues beim Theatertreffen 2019 unter den Thema Gender(un)gleichheit

Im Theaterpodcast #3 sprachen Elena Philipp (nachtkritik.de) und Susanne Burkhardt (Deutschlandfunk Kultur) u.a. über Burning Issues, die erste Konferenz der Theatermacher*innen im März 2018 in Bonn

Im Mai 2018 hat Anne Peter in einem Überblickstext über Geschlechterungerechtigkeit im Theaterbetrieb, über Gründe für die strukturelle Benachteiligung von Frauen und mögliche Lösungsansätze geschrieben.

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