Vom Hammer und der Freundlichkeit

4. November 2020. Theaterkritiker*innen sind eine vom Aussterben bedrohte Art. Der Grund dafür: eine dramatisch veränderte Medienlandschaft. Jobs und Plätze für Theaterkritik werden seit Jahren knapper. Die einstigen Großkritker*innen haben längst ihre Hochsitze in den Feuilletons geräumt. Die Rolle der Kritiker*innen als Stellvertreter*innen des Publikums ist fragwürdig geworden, denn "das" Publikum gibt es nicht mehr. Unterschiedliche Zielgruppen tauschen sich über eigene Kanäle in den sozialen Medien aus. Für Literaturkritikerin Sigrid Löffler ist dieses "elektronische Stammtischgeschnatter" eine "unerwünschte Konkurrenz" zum professionellen Kultur-Urteil.

Ersetzt die Kaufempfehlung die Kritik?

Aber braucht es diese professionelle Meinung zu einem Theaterabend noch? Hat die Kaufempfehlung längst die Kritik ersetzt? Oder wäre ein "empathisches, darstellendes, spielendes Betrachten" anzustreben, wie es sich die Kulturjournalistin Astrid Kaminski wünscht?

Geschmacksurteil oder Kunstverstand – was zeichnet gute Kulturkritik aus? Und für wen und zu wem spricht die Kritik? Darüber tauschen wir uns mit Kritiker*innen aus, die sich unterschiedlichen Künsten widmen.

Esther Slevogt, die als Theaterkritikerin nachtkritik.de mitbegründet hat, denkt darüber nach, wie man die vereinzelten Stimmen aus dem Netz wieder in einem gesellschaftlichen Diskurs verbinden kann.

Weniger schlechte Laune wäre wünschenswert

Theaterkritiker Tobi Müller wünscht sich weniger schlechte Laune in der deutschen Theaterkritik. Für ihn ist kkritisches, dabei finanziell unabhängiges "Gatekeeping" durchaus wünschenswert und zukunftsträchtig. Die klassische Theaterkritik wird es in zehn Jahren vermutlich kaum noch geben, sagt hingegen sein Kollege André Mumot. Stattdessen: ein breiter aufgestellter Kulturjournalismus.

Christian Kobald, Redakteur beim Spikeart Magazin, beschreibt eine Entwicklung innerhalb der Kunstwelt, die seiner Meinung nach der Theaterwelt noch bevorsteht: das Schreiben in und für Communities. Gespräche innerhalb bestimmter Blasen: Ist das die Zukunft der Kulturkritik?

Neue Formen des Schreibens, Kritik aus der Community, das Ideal des demokratischen Dialogs über ästhetische Ereignisse – darum geht es im Theaterpodcast #30 zum Thema Kritik.

 


Das Team des Theaterpodcasts, Susanne Burkhardt (Deutschlandfunk Kultur) und Elena Philipp (nachtkritik.de), hat in diesem Jahr die Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur für Literaturkritik an der Universität Göttingen übernommen. Erstmals in der Geschichte dieser Gastdozentur erfolgte die Einladung an ein Podcast-Team und verdeutlicht so auch einen Wandel in der Medienlandschaft und im öffentlichen Diskurs der Universitäten. Der ursprünglich geplante Eröffnungsvortrag zum Thema "Geschmacksurteil oder Kunstverstand? Theaterkritik in Zeiten von Social Media" wurde aufgrund der Corona-Pandemie als Podcast gestaltet.

Die durch die Abteilung Komparatistik und den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ins Leben gerufene Dozentur ist als Fortsetzung der von Heinz Ludwig Arnold etablierten Gastprofessur für Literaturkritik konzipiert und soll eine Brücke zwischen Universität und literarischem Leben schlagen. Sie geht auf eine Initiative der Abteilung Komparatistik des Seminars für Deutsche Philologie an der Universität Göttingen zurück und findet mit freundlicher Unterstützung der Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht statt.

Weitere Informationen zur Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur finden sich auf den Seiten der Universität Göttingen und der Vandenhoeck und Ruprecht Verlage.

 

Alle bislang erschienenen Folgen des Theaterpodcasts finden sich hier

 

 In Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur.

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