Verbände für Gegenwartsdramatik - Mit dem VTheA und dem theaterautor*innen-netzwerk sind gleich zwei neue Autoren-Organisationen entstanden
Schulterschluss der Einzelkämpfer
13. November 2020. Autor:innen haben einen schweren Stand am Theater: Schlecht bezahlt, wenig nachgespielt, in der Textrealisierung vom Gutdünken von Regie und Schauspielteam abhängig. Jetzt wollen sie über die Gründung neuer Interessenvertretungen ihre Position stärken.
Von Michael Wolf
Schulterschluss der Einzelkämpfer
von Michael Wolf
13. November 2020. Dramatiker haben im Theaterbetrieb einen schweren Stand. So orientiert sich die Spielplangestaltung der Häuser meist nicht an Stücken, sondern an den Regisseuren. Auch die Dramaturgen haben es in vielerlei Hinsicht leichter, sie wissen eine Institution und meist auch eine Festanstellung im Rücken. Theaterautoren hingegen waren bislang ästhetisch wie ökonomisch Einzelkämpfer. In der Corona-Krise sehen sie nun ihre Tantiemen und damit ihr Einkommen wegbrechen. Es scheint geradezu überfällig, dass sie sich eine Interessenvertretung schaffen, um ihren Anliegen mehr Gewicht zu verleihen.
Umso irritierender, dass sich nur kurze Zeit nach der Gründung des Verbands der Theaterautor*innen (VTheA), um Köpfe wie David Gieselmann und Ulrike Syha, eine zweite Gruppe unter dem Dach des ensemble-netzwerks formierte: das Theaterautor*innen-Netzwerk mit bekannten Namen wie Maria Milisavljevic, Katja Brunner oder Konstantin Küspert. Noch im Frühjahr sprach nachtkritik.de mit Milisavljevic und Gieselmann über die Solidarisierung in der Szene. Beide erreichten nun verwirrte Nachrichten aus derselben. Erfolgt hier kurz nach der Verbandsgründung – dem ersten derartigen Versuch seit dem Scheitern der Dramatiker-Union – bereits eine Spaltung?
Bedürfnis nach mehr Austausch
Milisavljevic weist den Eindruck zurück und betont, sie sei selbst überzeugtes Mitglied des Verbands. "Die Ensemble-Gruppe gibt es schon seit sechs Monaten. Wir sind bewusst noch nicht an die Öffentlichkeit gegangen, weil wir auf die Gründung des Berufsverbands warten wollten. Das ist ja ein ganz anderer politischer Schritt als eine Untergruppe in einem bestehenden Verein zu gründen." Keineswegs stünden die Gruppen in Konkurrenz zueinander. "Der Verband agiert juristisch und kulturpolitisch, er soll sich gegenüber dem Bühnenverein, den Verlagen und Theatern für die Autor*innen einsetzen. Wir als Netzwerk suchen den Schulterschluss mit anderen Theatermacher*innen. Es geht hier darum, dass wir teilhaben wollen an den Entwicklungen im Theaterbetrieb, mitdenken wollen, was das Theater der Zukunft sein kann, mit dem und über den originären Theatertext hinaus."
Tatsächlich ist das Selbstverständnis beider Gruppen sehr unterschiedlich. Der VTheA betreibt klassisches Lobbying, es geht ihm in erster Linie um eine Verbesserung der ökonomischen Lage seiner Mitglieder. Die Ensemble-Gruppe hingegen verfolgt eine Bandbreite an Zielen, wie ihr – einem Manifest ähnelndes – Programm nahelegt. Darin formuliert sich der Wunsch, als Autor eine aktive Rolle im Produktionsprozess einzunehmen. Hinzu kommen politische Anliegen. Das Netzwerk setzt sich aktivistisch für Diversität und Geschlechtergerechtigkeit ein, dringt auch auf eine Erweiterung des Kanons.
Für Sichtbarkeit
Anruf bei David Gieselmann, dem ersten Vorsitzender des VTheA. Auch er möchte den Eindruck verhindern, es gäbe einen Dissens. "Beide Gruppen sind ja sogar auf denselben Treffen entstanden." Schon vor Jahren schlossen sich Dramatiker in einer Facebook-Gruppe zusammen, es folgten mehrere Versammlungen in Berlin mit dem Ziel der Verbandsgründung. "Da hat sich dann auch die Gruppe formiert, die jetzt das Netzwerk bildet. Zunächst gab es da wohl den Wunsch, sich als Teil des Verbands zu organisieren. Aber dann wollten sie das offenbar größer denken." Zu keinem Zeitpunkt habe es Streit gegeben, dafür gebe es auch keinen Grund. "Je sichtbarer wir Autor*innen sind, umso besser."
Aber ist es wirklich so einfach? Im ensemble-netzwerk suchen die Autor*innen nun den Austausch mit den anderen Gewerken, das Netzwerk versteht sich ganz offensiv als Teil des künstlerischen Ensembles von Produktionen. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Gruppen gegeneinander ausgespielt werden? Ausschließen kann Gieselmann das nicht. "Schon allein die vielen Nachfragen zu der Gründung des Netzwerks zeugen ja zumindest von einer gewissen Verwirrung. Aber ich glaube nicht an eine Spaltung. Schon allein deshalb nicht, weil ein Großteil der Ensemble-Leute auch den Verband mit gegründet hat." Auch Milisavljevic versichert, sie stehe weiterhin absolut hinter dem VTheA. "Das Netzwerk ist einfach aus einem anderen Bedürfnis heraus entstanden. Uns geht es darum, uns in einem Raum mit anderen Theaterschaffenden zusammen Gedanken darüber zu machen, wie wir besser und neu zusammenarbeiten können."
Das Wie und das Was
Die Gerüchteküche darf damit schließen, was die Absichten beider Seiten angeht. Gleichwohl zeigt der Fall eine Trennungslinie auf, an der auch ein Großteil brancheninterner Konflikte der letzten Jahre verlief, etwa wenn es um die Frauenquote oder die N-Wort-Debatte beim Berliner Theatertreffen, die Kritik am Blackfacing, um Vorwürfe von Machtmissbrauch oder Repräsentationsfragen in Ensembles ging.
Politisch ist man im Theaterbetrieb traditionell links oder mindestens liberal. Die Kontrahenten in diesen Debatten trennten also oft gar nicht konträre politische Ziele, sondern eine unterschiedliche Gewichtung des "Wie" (der Bedingungen der Produktion und Präsentation) gegenüber dem "Was" (dem Inhalt) künstlerischer Arbeit. Die Zugehörigkeit zu einer der Fraktionen lässt sich hier eher vom Geburtsjahrgang denn vom Berufsstand ablesen.
Diese Differenz zeigt sich auch in den Autorengruppen. Im Netzwerk stehen einige Mitglieder noch am Beginn ihrer Karrieren. Ihr Selbstverständnis bildet recht gut das einer jüngeren Generation von Theaterkünstlern ab. Es geht ihnen um Arbeitsprozesse und Machtverhältnisse, um Kollektivität und Repräsentation.
Die Besetzung des Vorstands des VTheA deutet hingegen darauf hin, dass hier eher etablierte Dramatiker federführend sind. Diese Generation geht viel stärker von einem Autonomiebegriff des Textes aus und stellt das geschriebene Wort in seinem Eigenwert dem Bühnenraum entgegen. Politisch sollte man diese Position keineswegs als weniger avanciert verstehen. Mit Ulrike Syha, Maxi Obexer oder Felicia Zeller engagieren sich nun auch dezidiert politische Dramatikerinnen an der Spitze des Verbands. Nur scheint diese Alterskohorte das emanzipatorische Potenzial von Kunst eben stärker werkimmanent zu verstehen, es entfaltet sich innerhalb der Stücke, in ihrem Inhalt oder auch ihrer Form, weniger in Produktionsverfahren.
Nächste Generation
Auch in der Dramaturgischen Gesellschaft (DG) offenbarten sich bereits große Unterschiede in der Vorstellung, wie ein Theater der Gegenwart beschaffen sein sollte. Eine mit jungen Dramaturgen besetzte Arbeitsgruppe präsentierte auf der Jahreskonferenz 2019 ein Thesenpapier zum "Stadttheater der Zukunft". Darin plädierten sie für die Abschaffung der Intendanzen zugunsten kollektiver Leitungsmodelle. Der DG, ein personell breit aufgestellter Verein, der sich eher als eine Art offener Thinktank versteht, war eine solche Position zu aktivistisch, um sie als offizielle Linie auszugeben. Ein Teil der Arbeitsgruppe fand in der Folge eine zweite Heimat, ebenfalls unter dem Dach des ensemble-netzwerk.
Seit dort nun auch Autoren mitmischen, sind bald alle künstlerischen Gewerke versammelt. Es fehlen nun eigentlich nur noch die Intendanten, und es würde kaum verwundern, träten bald auch junge Theaterleiter bei. Abzuwarten bleibt, ob die Neuverteilung rarer Güter wie Solidarität und Loyalität auch einzelne Karrieresprünge überdauert. Die Gründung der beiden Autoren-Gruppen deutet jedenfalls erneut darauf hin, dass im Kampf um die Institution Theater eine weitere Frontlinie entstanden ist. Sie verläuft nicht zwischen den Berufsständen, sondern zwischen den Generationen.
Mehr:
Theaterautor*innen gründen Verband - Meldung vom 6. Oktober 2020
Theaterautor*innen-Netzwerk gegründet - Meldung vom 29. Oktober 2020
Theaterautor*innen über ihren Beruf. Gespräch mit Maria Milisavljević und David Gieselmann - Interview auf dem nachtkritik-Festivalportal des Heidelberger Stückemarkt 2020
Autorenverband Dramatiker Union vor dem Aus? - Meldung vom 1. Dezember 2015
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Vom Deutschen Literaturfonds gab es vor kurzem jeweils 1000 Euro Krisen-Unterstützung für die 100 ersten, schnellsten BewerberInnen unter den aktuell gespielten deutschsprachigen DramatikerInnen. Festangestellte Dramaturgen und Professoren sind auf der Gewinnerliste und nehmen damit ihren (in diesem Fall langsameren) freiberuflichen KollegInnen noch die seltenen, spärlichen Nothilfemöglichkeiten für Solo-Selbstständige.
https://deutscher-literaturfonds.de/neustart-kultur/100-neue-stuecke-fuer-ein-grosses-publikum/
die Liste des Literaturfonds ist öffentlich. Können Sie die „Absahner“ mit hochdotierten Stellen denn benennen?
Grundsätzlich geht es der Gegenwartsdramatik finanziell nicht gut. Vielen Outsidern sind Zusatz- oder Ersatztantiemen durchaus zu wünschen. Zu kurz kommen leider - fast immer- die wirklich „freien Dramatikerinnen“ , z.B. jene ohne Agentur oder Verlag an kleineren Theatern.
Es wundert jedoch sehr, dass Autorinnen, deren Stücke
an hochsubventionierten Stadt- & Staatstheatern erst 2021
zur UA kommen sollen, gefördert werden. Und warum honorieren diese Theater ihre Autorinnen solidarisch nicht zusätzlich selbst?
Wirklich sehr auffällig mit Zwangskopfschütteln:
> Andreas VEIEL für ÖKOZID am Staatstheater Stuttgart im Mai 2021.
UA des gleichnamigen Filmes von Veiel heute zur besten Sendezeit
mit Starensemble im „Nobudget Undergroundsender ARD daserste“.
Dass hier vom Autor ein läppischer Dramatausender abgezweigt wird -
macht Sunnys Empörung verständlich.
"Kampf um die Institution Theater" / "weitere Frontlinie" - hier bitte ich doch wirklich um (um im von Ihnen hier gewählten Kosmos zu bleiben) sprachliche Abrüstung?
Überhaupt: Selbst wenn es die von Ihnen behaupteten verschiedenen Selbstverständnisse / Herangehensweisen / Prioritäten gäbe - so what? Ich persönlich fände das nicht problematisch, sondern beruhigend, weil der Komplexität der Materie entsprechend.
ich hätte auch „zivilere“ Ausdrücke verwenden können, da haben Sie bestimmt recht.
Was die Sache angeht, habe ich mich aber eben gerade um Differenziertheit bemüht. Ich halte die unterschiedlichen Herangehensweisen auch überhaupt nicht problematisch, ich glaube ja auch gar nicht, dass sich die Kontrahenten in ihren politischen Zielsetzungen so weit voneinander entscheiden. Allerdings sehe ich auch, dass die Emotionen in vielen Debatten der letzten Jahre sehr hoch schlugen. Und ich meine, dass in den meisten dieser Debatten eben die von mir beschriebene Differenz eine entscheidende Rolle spielte. Mir liegt es nicht daran, Gräben zu vertiefen. Ich versuche lediglich einen Konflikt zu beschreiben, der m.E. besteht und die Theaterbranche prägt.
Viele Grüße,
Michael Wolf
Konstantin Küspert ist festangestellter Dramaturg in Frankfurt. John von Düffel ist Dramaturg am DT und zugleich Professor für Szenisches Schreiben an der UdK. (...)
Das Problem liegt doch vielmehr auf Seiten des Literaturfonds (oder dessen übergeordneten Stellen): wer annimmt, nach dem Prinzip "come first, get first" gerecht Gelder verteilen zu können, und dann auch gerade mal die finanzielle Ausstattung hat, um 100 Menschen eine Summe zu überweisen, die nach spätestens einem Monat wieder aufgebraucht sein dürfte, betreibt letztlich doch bloß Symbolpolitik.
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-kultur-am-mittag/audio-coronakrise-setzt-theatermachern-zu-100.html