Angesagte Apokalypse

von Dorothea Marcus

18. November 2020. Im roten Anorak steht die echte Angela Merkel im Jahr 2007 in Grönland und bedauert telegen entsetzt die sichtbar schmelzenden Eismassen – um einen Tag später die "Lex SUV" durchzuwinken. Im Juli 2034 wird einer kaum gealterten Angela Merkel – präzise bis zur Verwechslung gespielt von Martina Eitner-Acheampong, in all ihrer pragmatisch-stoisch-unverbindlichen Mütterlichkeit – unter anderem für diesen Verrat an den eigenen Worten im Film "Ökozid" der Prozess gemacht. 31 Staaten des Südens haben angeklagt. Immerhin ist sie überhaupt vor Gericht erschienen, während Gerhard Schröder irgendwo in der russischen Föderation seinen luxuriösen Lebensabend nicht unterbricht. 

8 Oekozid c rbb zero one film Julia Terjung uAlt-Kanzlerin vor Gericht © rbb/zero one film/ Julia Terjung 

Ein ergrauter Ingo Zamperoni fasst es in der Tagesschau zusammen: Deutschland wird erstmals vor einem internationalen Gerichtshof wegen seiner Klimaversäumnisse der Prozess gemacht. Der Regisseur Andres Veiel hat in seinem neuen Werk einen viel beachteten Gerichtsfilm über die Zukunft der Welt in einer ungehemmt voranschreitenden Klimakrise gedreht, gerahmt wurde er mit einem groß angelegten ARD-Themenabend. Im Mai 2021 wird es am Schauspielhaus Stuttgart, inszeniert von Burkhard C. Kosminski, eine Theaterfassung geben – hoffentlich bauen die Autoren wie beim Dauererfolgsstück "Terror" eine Zuschauerbeteiligung ein.

Plexiglas-Trennwände sind schon eingebaut

Gleich in den ersten Minuten illustrieren apokalpytische Bilder von Brand- und Sturmkatastrophen im Split-Screen das, was wohl in 14 Jahren Realität sein wird: die Uckermark ist Sandwüste, Wasser kommt nicht mehr aus dem Hahn, Brandenburg brennt. Der Rest ist, bis auf dokumentarische Einsprengsel, ein erlesen besetztes Kammerspiel auf einem Behelfsbau als Bühne, denn Den Haag ist schon lange überspült. Als Theaterstück wird das allemal funktionieren, selbst die Corona-Auflagen sind als Plexiglas-Trennwände quasi eingeschrieben. Und trotz der nominalfixierten und maximal kunstfernen Bürokratiesprache ist das Gedankenspiel bestürzend: wer wird als zukünftiger Schuldiger gelten, wenn die Welt kaum noch bewohnbar ist? Wie mit der Unterlassung, der Unterschätzung, der Leugnung und permanenten Verschiebung umgehen? Wie damit, dass die Politik immer nur viel zu langsam Erkenntnisse der Wissenschaft umsetzt (Corona scheint die unrühmliche Ausnahme zu sein)? 

Wenn alle Gewissheiten und Fundamente selbstverschuldet schwinden, hört sich das Schachern um E-Autos und "Energieeffizienz" absurd an. Einiges hat Andres Veiel akribisch recherchiert und auf den Punkt gebracht: etwa das absurde "Energieeffizienz-Label", das SUV-Fahrern suggeriert, sie würden etwas für die Umwelt tun, weil das Verhältnis von Ausstoß und Fläche "grüner" sei als bei einem Kleinwagen. Oder dass die KfW-Bank noch bis zum Sommer weltweit Kohlekraftwerke förderte, die Mangrovenwälder vernichteten.

"Die Kunst darf eben alles"

Letztlich geht es hier um den grundlegenen Konflikt von Demokratie und Handlungsmacht. Leider ist das trotz vieler Stars mit vorhersehbaren Typen besetzt und zuweilen hölzern-pathetisch fernsehspielartig gespielt: Edgar Selge ist der eifrig fragende Richter, der mit den Wortungetümen im Skript hadert. Nina Kunzendorf ist die pragmatisch-kühle Juristin, die einen Vergleich aushandeln will, Ulrich Tukur gibt einen ignorant-glatten Anwalt der BRD.

Den Konflikt der Politik fasst er dennoch gültig zusammen: Mit unpopulären Gesetzen verliert man Wählerstimmen. Friederike Becht ist die leider ein wenig zu inbrünstig-wütende aktivistische Klägeranwältin der 31 Staaten, hinter ihr sitzen Vertreter aus Haiti, Bangladesch und Mosambik und dürfen expressiv vom Verlust ihrer Existenzen erzählen. Und zu guter Letzt gibt es noch Sven Schelker als fröhlich-amoralischem PR-Blondschopf und Social-Media-Troll, der seine Fake News mal eben an 1,2 Millionen Accounts versendet, denn im Jahr 2034 ist eine effiziente Social-Media-Kontrolle noch deutlich unrealistischer. Am Ende des Films dann holt ausgerechnet die Angeklagte, Angela Merkel, zur großen ehrlichen Selbstbeschuldigung aus. 

12 Oekozid c rbb zero one film Julia Terjung uVorsitzender der Kammer: Edgar Selge (2.v.l.) © rbb/zero one film/ Julia Terjung

Die großen Zeitungen haben sich schon entschieden, wie sie das finden: "Merkel-Kitsch" schreibt Der Spiegel, "moralisch überhebender Verurteilungsfilm", findet die FAZ, "juristischer und politischer Unsinn" die Welt. Gönnerhaft verniedlichend eröffnet auch Peter Altmaier die nachfolgende Maischberger-Diskussion: "Die Kunst darf eben alles."

Nur ein Paradigmenwechsel kann uns retten

Gewiss verliert sich der Film zuweilen im Klima-Klein-Klein, in Jahreszahlen, Konferenzen, Klischees, Faktenschwemme. Wem soll die nachträgliche Schuldzuweisung nützen, ist es nicht wesentlich wichtiger, gerade in der Klimakrise, nach vorne zu denken? Doch das wird dem Anliegen des Abends dann doch nicht gerecht. Stark ist er, wo er auf den Punkt bringt, wie systematisch die politische Klasse ihre Aussagen durch ihre Taten unterminiert. Noch stärker ist er als philosophisches Gedankenexperiment, das beweist, dass nichts außer ein Paradigmenwechsel uns retten kann: Es bringt nichts, über "Arbeitsplätze" zu diskutieren, wenn der Begriff "Platz" fundamental neu definiert werden muss – weil er unbewohnbar wird. 

 

Ökozid
von Andres Veiel
Regie: Andres Veiel, Buch: Andres Veiel, Jutta Doberstein, Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer, Kamera: Matthias Fleischer, Musik: Ulrich Reuter, Damian Scholl. 
Mit: Friederike Becht, Nina Kunzendorf, Ulrich Tukur, Martina Eitner-Acheampong, Edgar Selge, Sven Schelker, Hans-Jochen Wagner, Utsav Agrawal, Frank Röth u.a.
TV-Premiere am 18. November 2020
zero one film in Koproduktion mit rbb, NDR, WDR

www.zeroone.de
www.ard.de