Der Zauberberg - Deutsches Theater Berlin
Schneesturm-Heimsuchungen
von Falk Schreiber
Berlin/Online, 21. November 2020. Schritte auf harschem Schneefeld. Man sieht nur verschwommene Farbflächen, aber man hört ein zögerndes, unangenehmes Knirschen. Und dann erkennt man einen Menschen: Markwart Müller-Elmau, der auf die Kamera zuwankt, weiß gekleidet, weiß geschminkt. Ihm folgen groteske Kreaturen, barfuß, in überdimensionierten Fatsuits. Wanderer durch einen Alptraum.
"'Der Zauberberg' raschelt gerade in allen deutschen Dramaturgien", lästert Sebastian Hartmann in einem Videointerview, das das Deutsche Theater Berlin statt eines klassischen Programmhefts auf seine Website gestellt hat. Klar: Thomas Manns Roman handelt von einem Lungenkranken in Isolation, während gleichzeitig der Zusammenhalt der Gesellschaft zerbricht, und was Mann vor dem Hintergrund des aufziehenden Ersten Weltkriegs entwarf, lässt sich natürlich auch schick auf den Corona-Winter 2020 beziehen. Eigentlich.
Unterwegs auf Sicht
Aber Hartmann hat den "Zauberberg" schon einmal fürs Theater adaptiert, vor fast genau zehn Jahren in Leipzig, und die damalige Inszenierung wurde ziemlich einhellig als überraschend vorlagentreue Nacherzählung wahrgenommen – mit besonders intensiver Gegenwartsanalyse muss sich der Regisseur entsprechend nicht mehr herumschlagen. Seine neue Inszenierung (deren Premiere zunächst als Live-Film ins Netz wandert; eine Bühnenpremiere soll im Dezember folgen, so die Pandemie-Regeln es erlauben) entpuppt sich als metaphorisches Tasten im Nebel. "Kann man die Zeit erzählen?", gibt Linda Pöppel die Richtung des Abends vor: Es geht hier nicht um eine Erzählung, es geht darum, sich überhaupt erstmal über die Bedingungen des Erzählens klar zu werden.Nackt gemacht in einem großen Schneetraum: das Ensemble in Sebastian Hartmanns "Zauberberg"-Inszenierung am Deutschen Theater Berlin © Arno Declair
So weit weg von der Vorlage ist aber auch das nicht: Auch Mann verliert sich oft in philosophischen und poetologischen Betrachtungen, kulminierend im Zwischenspiel des "Schneetraums". Der Protagonist Hans Castorp verirrt sich auf einer Skiwanderung und rettet sich vor einem Schneesturm in einen Heuschober, wo er entkräftet und von Portwein berauscht von Traumbildern heimgesucht wird.
Ungesicherter Wanderpfad
Im Grunde ist Hartmanns Inszenierung eine Variation dieses Traums, wie der Traum ohnehin eine Konstante im Werk dieses Regisseurs ist: Wie den meisten seiner Arbeiten hat er auch dem "Zauberberg" das Edgar-Allan-Poe-Zitat "All that we see or seem / Is but a dream within a dream" vorangestellt, ein Traum im Traum ist dieses Theater, und selten wurde das so deutlich wie hier. Alpträume, Wunschträume, Angstträume, feuchte Träume, all das fließt ineinander, bis man sich heillos im unentwirrbaren Dickicht der Bilder verstrickt hat.
Schwere Schritte im Whiteout: Linda Pöppel, Manuel Harder, Niklas Wetzel © Arno Declair
In der Meteorologie gibt es den Begriff des "Whiteout", er bezeichnet das, was Castorp im "Zauberberg" fast zum Verhängnis wird: wenn die Wetterverhältnisse durch diffuses Licht, Nebel und Schneefall den Unterschied zwischen Boden und Luft nicht mehr erkennen lassen. Dieser Whiteout prägt auch die Inszenierung: Fast die gesamten zwei Stunden ist alles weiß, der Bühnenboden, der Theaternebel, die Kostüme (Adriana Braga Peretzki), die in dicken Schichten aufgetragene Schminke. Ästhetisch ist das klug gelöst, rückt die Produktion aber weit weg von einem noch irgendwie inhaltlich fixierbaren Theater, hin zur Bildenden Kunst, und die Bühneninstallation, ein kompliziertes Stahlgestänge irgendwo zwischen Kran, Rahmen und Galgen, hilft auch nicht weiter bei der Entschlüsselung.
Bis zum Kanonenschuss
Dazu kommt nach einer Weile eine gewisse Gleichförmigkeit, die durch die Schneesturm-Situation begründet sein mag, den Stoff aber zusätzlich versprödet. Immer sind die Kameras ganz nahe an den Figuren, immer werden die metaphorischen Bilder bis ins letzte Detail gezeigt, aber im Ergebnis performt Elias Arens nackte Panik, Cordelia Wege nackte Traurigkeit und Manuel Harder nackte Souveränität, minutenlang, in immer gleicher Lautstärke. Das ist konsequent, in seiner brüllenden Entäußerungsästhetik jedoch ein bisschen von gestern. Kurz vor Schluss wird eine Kanone abgefeuert, und mit einem Schlag löst sich die laute Dumpfheit dieser Inszenierung auf – das ist dann die Befreiung aus dem Immergleichen, die bei Mann im Kriegsausbruch liegt, aber man weiß nicht, ob man diese Lösung wirklich gut finden mag.
Video-Animation im "Zauberberg" von Tilo Baumgärtel © Tilo Baumgärtel
Von heute ist der Einsatz des Live-Films. Der nämlich zeigt eine Möglichkeit auf, was Theaterstreaming kann, wenn man erstens den nötigen Aufwand nicht scheut und zweitens Könner*innen an den Kameras hat: Toll, wie die Kameras zu eigenständigen Akteurinnen werden, toll, wie Bilder den verwaisten Zuschauerraum einfangen, toll, wie selbstverständlich Hinterbühne, Saal, Gänge zu Theaterorten werden.
Nicht zuletzt weckt der Filmeinsatz die Lust, den Abend ein weiteres mal zu sehen, nicht auf dem Bildschirm, sondern tatsächlich auf der Bühne, im Dezember oder wann auch immer. Hartmann kündigt an, dass die Bühnen-Inszenierung anders werde als die Filmarbeit, und da würde das Streaming dann tatsächlich einen Mehrwert generieren: als Inszenierung aus zwei Teilen, die sich im besten Falle ergänzen würden, hier die Filmversion, dort die Bühnenversion.
Der Zauberberg
nach Thomas Mann
Regie / Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musik: Samuel Wiese, Videoanimation: Tilo Baumgärtel, Licht: Lothar Baumgarte, Dramaturgie: Claus Caesar, Livestream Bildregie: Jan Speckenbach, Livestream Kamera: Marlene Blumert, Roman Kuskowski, Lennart Löttker, Dorian Sorg.
Mit: Elias Arens, Manuel Harder, Peter René Lüdicke, Markwart Müller-Elmau, Linda Pöppel, Birgit Unterweger, Cordelia Wege, Niklas Wetzel, Samuel Wiese (Live-Musik).
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Livestream-Premiere am 20. November 2020
geplante Live-Premiere am 13. Dezember 2020
www.deutschestheater.de
Patrick Wildermann berichtet im Tagesspiegel (22.11.2020) von einem "starken Abend über die Vergänglichkeit". Regisseur Sebastian Hartmann "schafft einen stürmenden Bildersog" mit "Überblendungen und Überbelichtungen, aus Animation und Projektion". Das DT beweise mit dieser digitalen Premiere, "dass Livestreaming weit mehr sein kann als nur die abgefilmte Vorstellung".
Hartmann sei "das Spiel mit den Räumen nun besonders gut gelungen, die sich dank mitlaufender Handkameras in mehrere öffnen und damit auch die Zuschauersicht erweitern", berichtet Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (21.11.2020). "Wechselblicke von der Bühne in den Zuschauerraum und zurück, Perspektiven von weit oben herab und aus den Seitenbühnen heraus, korrespondieren sogar noch pathetischer mit den verzweifelten Sinn- und Lebenssuchern auf der Bühne als im analogen Frontalraum. Nähe intensiviert sich und Verfremdung. Denn grafisch karikiert werden Gesichter überblendet und blitzartig durchleuchtet, dass Lust und Schrecken, Tod und seine medizinische Beherrschung immer gleich präsent bleiben." In diesem "Aufleuchten der Gegensätze bewegt sich der Abend eigentlich sehr nah an Manns" Roman.
Von "zwei Sternstunden wie aus einer anderen Zeit" spricht Ute Büsing auf rbb|24 (21.11.2020). "Der mit sechs Kameras und über Mikroports aufgenommene Livestream liefert einmalig ein ganz eigenes expressionistisch-düsteres Gesamtkunstwerk um den Krieg der Körper und die Vergänglichkeit der Zeit." Als "Zauberkunststück" hat die Kritikerin diesen Abend erlebt: "Die totale Verausgabung der großartigen Akteure und die kluge neue Mischform der technischen Elemente erzeugen einen unwiderstehlichen Sog beim Publikum am Bildschirm."
Ein "echt harter Brocken" ist dieser Abend für Peter Zander von der Berliner Morgenpost (21.11.2020 | hinter Paywall). "Hartmann fokussiert auf das, was für viele der eigentliche Reiz, für einige aber auch die Tortur des Buches ist: wenn der Roman das Narrativ verlässt und ins Philosophische ausschert. Und über die Welt und das Dasein sinniert, über das Wesen der Zeit und wie lang sie einem werden kann." Die "Textkonvolute" könnten einen "schier erschlagen". Zudem bot die Livestream-Premiere technische Probleme (Sperrung für Nutzer ohne YouTube-Account; Bild-Hänger, Ton-Wackler); von manchen könnte man "schon wieder annehmen", "Hartmann habe sie bewusst eingesetzt, um den technischen Akt des Abfilmens noch auf solche Art zu betonen".
Einen "überbordenden, offenen, vor allem ästhetisch visionären Abend" hat Eva Behrendt erlebt, wie sie in der taz (24.11.2020) schreibt. Hartmann brauche nur wenige Passagen aus Manns Tausendseiter. "Immer wieder brechen Technik und Humor den Selbstverausgabungsfuror der Spieler*innen, etwa, wenn in die aufwühlenden Existenzfragen plötzlich zwei profane Scherenhebebühnen einfahren oder Harder und Arens nach Monologschwerstarbeit Desinfektionsmittel aus dem Spender pumpen."
"The stagecraft, cinematography and editing combined to produce a disconcerting effect, like spending two hours in a snowstorm. With no discernible plot, the strange goings on — and shrill monologues — quickly grew tedious." So berichtet A.J. Goldmann in seinem Streamtheater-Überblicksartikel aus Deutschland für die New York Times (4.12.2020). "I was surprised by how poorly the excitement of live theater came across in the stream. All the elements that combined to make this a slick online viewing experience — the camerawork and editing effects — sapped it of its raw, immediate power."
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Da bin ich sehr froh, dass ich mir das erst gar nicht angeschaut habe, ich hätte an meine Mutter denken müssen und vor Zorn über diese arroganten Klischees, in denen sich das Theater suhlt, heulen-
Doch der „Zauberberg“-Live-Stream bleibt zum Glück nicht beim „Hartmann as usual“ stehen, dicke Roman-Wälzer zu durchpflügen und das Publikum mit Assoziationsgewittern zu beballern. Das Interessante an diesem Live-Stream-Abend aus dem Theater ist, dass er mehr und mehr zum Film wird, sich an Überschneidungen und Überbelichtungen berauscht, fröhlich mit filmischen Mitteln experimentiert und seinen Gimmicks spielt. Diese Lust am Ausprobieren macht neben den starken Spieler*innen den Reiz dieser Online-Premiere aus.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2020/11/20/der-zauberberg-sebastian-hartmann-deutsches-theater-berlin-kritik/
ich möchte Sie mit einiger Verwunderung fragen, ob es sich wohl bei Ihrer Einzelkritik eine Verwechslung zugetragen hat?? Ich habe die Schauspielerin Brigit Unterweger in besagter nackter Traurigkeit erleben dürfen, ein Moment, der mir sehr präsent in Erinnerung geblieben ist. Ohne der ebenfalls hervorragenden Leistung der Cordelia Wege Abbruch tun zu wollen, würde ich genanntes Attribut doch eher ersterer zuordnen. Zweitere gab ja eher in nackter Verzweiflung jenes Sammelsurium des deutschen Liedgutes zum Besten! Auf diesen Umstand mit einer Fragestellung hinweisend, wünsche ich Ihnen einen angenehmen Samstag und danke Ihnen für Ihre Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen,
D. Harnisch
nein, das ist schon so gemeint, mit Cordelia Wege. Aber gleichzeitig haben Sie auch recht: Man hätte auch Birgit Unterweger nennen können, als Beispiel für nackte Trauer. Warum ich es nicht gemacht habe? Tja - weil eine Kritik nicht allumfassend ist, sonst wäre sie eine Liste. Worauf ich allerdings großen Wert lege: dass Wege nicht aufs deutsche Liedgut reduziert wird, ich zumindest sah bei ihr auch viel Trauer.
Schönen Abend, Falk Schreiber
Leider haben Sie das Wort „Fatsuits“ verwendet, das mir nicht als Begriff für meinen Entwurf eingefallen wäre. Es sind Bodysuits. Wir hätten sogar mehr „dünne“ Bodysuits, wenn Peter René Lüdicke nicht ausgefallen wäre.
Ich wiederhole: der Begriff „Fatsuits entspricht nicht dem gesamten Konzept für „ der Zauberberg“. Es geht um Menschen und ihren Körper vor allem um deren Schönheit.
(Anm. Red. Eine Passage mit überzogener Polemik wurde aus diesem Kommentar entfernt.)
(Anm. Redaktion: Werte Hospitanz, die entsprechende Passage wollte das Gegenüber als ein bisschen doof darstellen, so meine Einschätzung als Redakteur. Und damit dient er nicht der Diskussion wie sachliche Rest des Kommentars. Mit freundlichen Grüßen, chr)
Insofern: dieser Zauberberg (der ja eher eine Auseinandersetzung mit dem Zauberberg ist, aber geschenkt) ist eine Wucht, die mich auch auf dem Sofa zu Hause voll trifft. Und das liegt an einem Format, das vollständig auf der Höhe der Zeit ist. Ich möchte sogar behaupten: so nah ist mir Hartmann im Theater noch nie gekommen.
Wenn ich teilweise lese: das möchte man jetzt gerne im Theater sehen, "in Echt sehen", dann entgegne ich: nein, so gut, so unmittelbar kann das dort gar nicht sein. Ich freue mich wenn hoffentlich das Ganze nochmal wieder live übertragen wird, auch weil es ganz sicher nochmal wieder größtenteils anders sein wird.
Mich würde nicht wundern, wenn sich dieser "Zauberberg" am Freitag sofort auf die shortlist für das Theatertreffen '21 katapultiert hat, denn dieses wird ja vermutlich sowieso mindestens teilweise online stattfinden und sich sowieso sehr mit den Fragen von Theater im Digitalen auseinandersetzen.
Wer es nicht gesehen hat, hat was verpasst.
Im Übrigen finde ich den Kommentar von "dabeigewesen" so interessant, dass ich ebenfalls dafür plädiere, das Format so zu belassen, wenn in ihm sich Sebastian Hartmann besser auszudrücken vermag, mitsamt Team, als im Analogen.
(Anm. Redaktion: Gestrichen wurde eine längere Passage mit Metakommunikation, durch die das Thema des Threads aus dem Blick gerät.)
Natürlich kann man alles mischen und an den Punkt gelangen, dass man eine Inszenierung nur noch deshalb gut oder bemerkenswert findet, weil es jedes Gesicht im Großformat gab oder eine Traum-Assoziation nur durch Überblendungen oder endlose Halleffekte entstand. Aber diese Techniken kommen aus dem Film und dort gehören sie auch hin. Dort ist man endlos weit weg von den realen Schauspielern und braucht diese "Hilfsmittel", um Anteil zu nehmen.
Aber doch nicht im Theater. Das funktioniert durch das reale Agieren der Darsteller. Im Stream muss man etwas "nachhelfen", aber bitte nicht eine ganze Inszenierung darauf abstellen.
Auch ich freue mich auf die Premiere des Zauberbergs. Dieses war eine andere Produktion für ein anderes Ziel. Anstrengend, aber spannend. Aber kein Theaterstück.
www.ardaudiothek.de/kultur-heute-beitraege/die-zeit-im-zauberberg-sebastian-hartmann-inszeniert-nach-thomas-mann-am-deutschen-theater-berlin/83408202
Abenteuer im Fleische und Geist,
die deine Einfachheit steigerten,
ließen dich im Geist überleben,
was du im Fleische
wohl kaum überleben sollst.
Augenblicke kamen, wo dir aus Tod und
Körperunzucht ahnungsvoll und regierungsweise
ein Traum von Liebe erwuchs.
Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch
aus der schlimmen Fieberbrunst,
die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet,
einmal die Liebe steigen?
FINIS OPERIS
Sind wir denn jetzt nicht ebenso in einem Corona Weltfest des Todes?
und schützen uns, die Vernünftigen von uns, so gut wir können?
Wird daraus einmal ein neues Leben steigen? - Man zweifelt daran,
was man hört. Und wird daraus einmal die Liebe steigen?
Es wäre zu wünschen. Endlich eine größere, spürbarere Liebe -
oder doch nur wieder der Traum von Liebe?
All diese Fragen bewegen sich sich in einem Zeit-Raum, in dem sie nichts mehr zu bedeuten scheinen und der doch der unsere ist. Mal schwenkt die Kamera auf eine andere und macht so das Konstruierte des Abends deutlich ebenso wie unsere Position als Zuschauende. Dann schwenkt sie in den Zuschauerraum – leer, abwesend, funktionsbefreit, aber im Kontrast der knallroten Bestuhlung zum gespenstischen Nebel-Weiß nicht wegzudiskutierend real, fast physisch greifbar. Diese Albtraumwelt verhandelt unsere, so genannte wirkliche. Unsere Menschlichkeit, unsere Vergänglichkeit, unser Menschsein. Wo ist dieses Mehr, dieses Jenseits der Adern und Knochen und Venen und Organe, das den Menschen zum Menschen macht? Denn dass das alles ist, darf, kann keine Option sein. Dieser Abend gibt keine Antwort, aber er macht sichtbar: die Vergänglichkeit, die Körperlichkeit, die Hybris der Selbstüberhöhung. Sie macht sie zu Ausgangspunkten weiterer Reflektion, einer Reflektion, die allein den Ausweg aus diesem Albtraum bieten kann. Denn, darauf weißt Manuel Harder am Ende dann doch hin, wir sind in einer ewigen Existenzkrise, die sich zuweilen als nicht zu leugnen manifestiert. Dies ist einer dieser Momente. Stapfen wir also durch den ewigen Schneesturm und versuchen wir ihn, sich, uns zu erzählen. Womöglich ist das ein Anfang. Wovon? Wer weiß?
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2021/03/08/im-ewigen-schneesturm/
und niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange das noch dauern wird.
Martin Heidegger und buddhistischer Mönch.
Mönch:
Sollte man Religion und Philosophie abschaffen, weil sie trotz ihres vieltausendjährigen Bestehens niemals so auf das menschliche Leben einwirken konnten wie sie es beanspruchten, und weil zudem Religion und
Philosophie einander widerstreiten.
Heidegger:
Man kann und darf das Denken und das Glauben nicht abschaffen, weil sie in einer langen Geschichte nicht das erreicht haben was sie anstrebten, und man kann deshalb dieses Denken und das Glauben nicht abschaffen, weil das Wesen des Menschen endlich ist, weil der Mensch seinem Wesen nach immer zu neuen Versuchen genötigt ist. Und gerade in der jetzigen Zeit, würde ich meinen, dass die Besinnung darauf, was und wer der Mensch sei, nötig ist, heute, wo die Gefahr besteht, dass der Mensch ganz der Technik ausgeliefert wird, und eines Tages zu einer gesteuerten Maschine gemacht wird. Sie haben noch eine andere Bemerkung, wo Sie auf Ihr eigenes Land Bezug nehmen, und sagen dass Ihr Land und ihr Volk zu den unterentwickelten Völkern gehören. Wenn man von unterentwickelt spricht, muss man immer fragen, welches Ziel ist gedacht für die Entwicklung. Nach der heutigen Auffassung der europäischen und amerikanischen, bedeutet Entwicklung, das heißt zunächst zu einer modernen technischen Welt. Von diesem Gesichtspunkt aus, würde ich sagen, dass Ihr Land aufgrund seiner alten und ständigen Überlieferung hochwickelt ist, dem gegenüber die Amerikaner mit ihrer Technik und ihren Atombomben unterentwickelt sind.
Mönch:
Gibt es einen Weg die Menschen zu Eintracht zu bringen. Und könnte man diesen Weg übertragen auf eine konkrete Weltsituation, wie zum Beispiel
in West- und Ostberlin?
Heidegger:
Diese Frage ist natürlich so allgemein gestellt, dass man zunächst unter-
scheiden muss, zwischen den politischen Bedingungen für eine mögliche
Einigung und den seelisch-menschlichen Bedingungen, für das Zusammen- kommen der Menschen.
Für beide Bedingungen würde ich sagen, dass aufgrund unserer ganzen
geschichtlichen Lage, und aufgrund der Zersplitterung der Menschen in
verschiedene Philosophien, in verschiedenen Verhältnissen zur Wissenschaft, kein gemeinsamer Boden heute besteht, um sich unmittelbar und einfach zu verständigen. Sie müssen, glaube ich, hier einen großen Unterschied ins Auge fassen, der besteht, in einem solchen europäischen Land, mit dieser Geschichte und Vergangenheit, und, einem Land, in dem Sie Ihre Heimat haben.
Was ich hier sagen müsste - wenn überhaupt hier in absehbarer Zeit, eine
mögliche Verständigung sich vorbereitet, dann kann sie nur geschehen, mal von den politischen Bedingungen abgesehen, durch eine Selbstbesinnung der
Menschen auf allen Seiten. Aber diese Selbstbesinnung ist eben dadurch erschwert, dass wir heute, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa
überhaupt, kein eindeutiges, gemeinsames, einfaches Verhältnis zur Wirklichkeit und uns selbst haben. Das ist der große Mangel, in der die westliche Welt steht, und ist mit ein Grund der Verwirrung der Meinungen
in den verschiedenen Bereichen.
Martin Heidegger is interviewed in 1963 or 1964 by a Thai Monk named
Bhikku Maha Mani. Das vollständige Interview ist zu finden in YouTube:
Martin Heidegger Interview with a Monk.)