Legende aus spielerischer Klugheit

3. Dezember 2020. Jutta Lampe ist in der vergangenen Nacht am 3. Dezember 2020 im Alter von 82 Jahren in Berlin verstorben, wie aus dem privaten Umfeld bekannt wurde. Lampe war eine der herausragenden Schauspielerinnen der bundesdeutschen Theatergeschichte und eine der Protagonistinnen der Berliner Schaubühne bei Intendant Peter Stein, die das Theater der 70er und 80er Jahre prägte.

JuttaLampe 280h RuthWalz hJutta Lampe (1937-2020) © Ruth Walz Lampe, geboren 1937 in Flensburg, studierte Schauspiel in Hamburg und erhielt ihr erstes Engagement am Staatstheater Wiesbaden. Nach einer Station am Nationaltheater Mannheim wechselte sie ans Theater Bremen, wo sie in den 1960ern unter Intendant Kurt Hübner mit den Regisseuren Peter Zadek und Peter Stein sowie dem Bühnenbildner Wilfried Minks den "Bremer Stil" entwickelte, der die kommenden Jahrzehnte der Theatergeschichte entscheidend beeinflusste. Hier wurde eine junge Form Regietheater entwickelt, das klassische Stoffe dezidiert auf zeitgenössische Kontexte etwa der Studentenbewegung hin interpretierte.

Mit Peter Stein ging Jutta Lampe 1970 an die neu gegründete Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer. Sie spielte 30 Jahre lang an der Schaubühne und arbeitete dabei mit den führenden Theaterregisseuren der Ära wie Klaus Michael Grüber, Luc Bondy oder Robert Wilson zusammen.

Sie war "immer die Mädchenhafte, die Zarte, auch zuletzt noch, als wunderbar entrückte Andromache in Luk Percevals Schaubühnen-Inszenierung 2003 (was für ein Besetzungscoup!)", schreibt Georg Kasch in seiner nachtkritik-Gratulation zum 80. Geburtstag 2017. "Von einem durchaus mal koketten, aber nie divenhaften Charme, etwa als Winnie in 'Glückliche Tage' am Wiener Akademietheater und am Berliner Ensemble 2002. Von einer spielerischen Klugheit, die sie zu einer Theaterlegende machte, deren Name selbst Nachgeborenen ein Begriff ist."

Jutta Lampe war eine der wenigen Schauspielerinnen, die ihre Kunst nahezu ausschließlich der Bühne widmete. Im Film trat sie nur gelegentlich auf, vor allem bei der Regisseurin Margarete von Trotta, etwa in "Die bleierne Zeit", wo sie die Schwester von Gudrun Ensslin verkörperte. Zu den zahlreichen Auszeichnungen von Jutta Lampe zählen das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1989), der Gertrud-Eysoldt-Ring (1998) und das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern (1999).

(chr)

 

Lesen Sie hier den nachtkritik-Nachruf von Barbara Villiger Heilig auf Jutta Lampe: Das Glück des Theaters.

Hier finden Sie die Presseschau mit weiteren Nachrufen auf Jutta Lampe.

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Kommentare  
Jutta Lampe: das lebendige Theater
Es sind Schauspielerinnen wie sie, die die Behauptung, das lebendige Theater ließe sich durch irgendetwas Digitales ersetzen, als Blasphemie erscheinen lassen. Bedauernswert, wer sie nie auf der Bühne erlebt hat. Und: ja, es gibt auch andere große Schauspielerinnen, exzentrischere, schrillere. Aber so wie sie ist keine. Sie war einzigartig. In jeder Rolle. Als erstes aber fällt mir doch ihre Phädra (in der Regie von Luc Bondy) ein. Ich kann mir diese literarische Figur anders nicht vorstellen als eben in der Person von Jutta Lampe. Die üblichen Phrasen für Nachrufe können dieser Ausnahmekünstlerin nicht gerecht werden.
Jutta Lampe: Innenleben
Jutta Lampe war als Schauspielerin immer klar und nie korrumpierbar. Sie hatte etwas, das im Zeitalter der austauschbaren Performance-Oberflächlichkeit der (digitalen) Theatermacher selten geworden ist: eine große künstlerische Persönlichkeit, die von innen nach außen strahlen konnte. Das intensive Innenleben ihrer Figuren wusste sie klug, oft zärtlich, mit bewusst gesetzten Mitteln scheinbar leicht zu zeigen. Es war ein Erlebnis, sie auf der Bühne zu sehen. Alles Gute für die letzte Reise!
Jutta Lampe: Verzauberung
„Vor dem Lokal eines Italieners sah er beim Vorbeifahren eine Schauspielerin an einem der Tische sitzen, die er verehrt hatte wie keine andere. Die Unberührbare hatte ihre Stimme beim Spielen mit einer Sehnsucht nach der Verzauberung aufgeladen, die auf Erden nicht zu erfüllen war. Die neuen Frivolen, die das Theater für ein Spektakel entfesselter Körper hielten, konnten ihren Gesängen nichts Schönes mehr abgewinnen, und hatten sie abserviert. Seither glitt sie, als wolle sie sich den Schmerz des Begreifens ersparen, in die Demenz ab. Mit ihrem vom Flackern des Windlichts belebten rostroten Lockenhaupt saß sie über ein Gesangbuch gebeugt vor dem Lokal wie eine antike Statue, die in einem Stausee, in dem langsam das Wasser steigt, auf ihr Verschwinden wartet.“ (Michael Eberth)
Jutta Lampe: Korrektur PHÄDRA
ZU #1: Die Inszenierung war von Peter Stein
Jutta Lampe: Perlen
Ich erinnere mich, dass ich während des Theaterwissenschaftsstudiums sämtliche Inszenierungen der Stein-Ära auf Video angesehen habe. Eigentlich war mir das immer zuwider, Theater auf dem Bildschirm zu gucken. Aber Jutta Lampe hat mich jedes Mal vergessen lassen, dass ich nicht im Zuschauerraum sitze. Mehr noch als von ihrem Spiel war ich von ihrer Sprache verzaubert. Wie die Wörter geradezu von ihren Lippen perlten, so elegant, so exakt und so zerbrechlich, fasziniert mich bis heute und immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich Schauspielerinnen mit ihr vergleiche. Keine ist wie sie. Es ist so unendlich schade, dass ich sie nicht mehr auf der Bühne erleben konnte.
Jutta Lampe: dankbar und in Demut
Wie schön eure Texte zu lesen, ihr wunderbaren alten Männer, eure Sehnsucht zu spüren, nach der Verschwundenen und nach Ihrer Zeit, selbst da noch, muss der Eine den Anderen korrigieren und tut s doch der Geschichte wegen, nicht weil er Oberlehrer wäre und der Andere könnte dankbar sein: schade, dass ich ein fast nachgeborener Theaterfremdling bin, der aber gerne den Späteren, von der Unberührbaren berichten wird: dankbar und in Demut.
Jutta Lampe: vom Beruf enttäuscht?
Ich hatte das Glück 2003 mit Jutta Lampe im TV Film „Familienkreise“ von Stefan Krohmer zusammenarbeiten zu dürfen. Eine unvergessliche Erfahrung für mich. Bei bei einem privaten Abendessen mit ihren zwei Filmsöhnen, Tobias Oertel und mir, hat sie in einem Gespräch über Ihr Leben damals unvermittelt gesagt: „Ich habe meinem Beruf alles gegeben und nichts zurückbekommen “
Wir zwei „Greenhorns“ waren plötzlich sehr desillusioniert.
Sicher muss man eine solche Aussage in ihrem Zusammenhang sehen aber sie beschreibt auch einen Teil der Realität dieser grossen Schauspierin! Ruhe in Frieden, Jutta.
Jutta Lampe: nie und nimmer
Noch als Schülerin der letzten Oberschulklassen sah ich im "Tasso" Jutta Lampe das erste Mal. Und dann fast jede Inszenierung der Schaubühne in jenen Jahren. Wie so viele, die ich kannte. Und ich dachte voller Naivität : so ist Theater - und verwunderte mich etwas, als ein älterer Bekannter zu mir sagte (Im Bezug auf die "Orestie"): "So etwas wirst du in deinem Leben nicht mehr zu sehen bekommen." Wie wahr! Wer damals ins Theater ging, der entwickelte Ansprüche, die später nur noch gelegentlich erfüllt werden konnten. Somit bin ich unfreiwillig ein Teil des "abwesenden Publikums" geworden.
Dass Jutta Lampe nach dem Ende der Ära Stein nicht mehr auf der Berliner Bühne zu sehen war, sagt sehr viel über das Niveau der tätigen Theatermacher aus. Am Publikum lag es gewiß nicht! Das muß sie verletzt haben. In anderen Epochen wäre eine solche Darstellerin nie und nimmer ohne Beschäftigung geblieben.
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