Spielzeuggewehre im Bühnennebel

von Anne Peter

Berlin, 15. Oktober 2008. Ziemlich plakativ, dieser Anfang. Ein oranges Transparent fällt knapp vor der ersten Zuschauerreihe von der Decke herab und verdeckt erstmal die komplette Sicht auf die Bühne. Auf ihm steht in blauen Lettern geschrieben: "Fremde, lasst uns nicht allein mit den Europäern". Buh huh!

Ein szenisches Ausrufezeichen sozusagen, und damit das bühnentechnische Äquivalent zum Ausrufezeichen im Titel von "Invasion!", dem derzeit mehrfach gespielten Stück des 1972 in Stockholm geborenen Jonas Hassen Khemiri, der einen tunesischen Vater und eine schwedische Mutter hat. Nach zwei Romanen hat er hiermit, als Auftragswerk für das Stockholmer Stadstheater, sein erstes Bühnenstück verfasst, eines mit Reizthema-Bonus, Stichwort: Identitäts-Verrückung und Terror-Paranoia.

Geburt der Angst aus dem Sog des Ungewissen

Das ist vom Autor nicht unklug gelöst, weil er sein Augenmerk auf die Mechanismen und Aberwitzigkeiten dieser Paranoia richtet, statt etwa ein spektakuläres Anschlagsszenarium auszumalen. Khemiri zeigt die Geburt der Angst aus dem Sog des Ungewissen, den die Gesichtslosigkeit des Feindes zu entwickeln vermag. Und der taucht hier quasi spielerisch aus dem Nichts der Fiktion auf.

Zur Chiffre für diese furchterregende Leerstelle auf der einen Seite sowie zum Identifikationsangebot auf der anderen wird bei Khemiri der Name "Abulkasem". Bei den "Forschern", die die Interludien des Stücks bestreiten, ist er Synonym für heutige Schreckensnamen à la Saddam oder Usama. Bei den jugendlichen Protagonisten hingegen ist er Heldenhülse, Insider-Wort, das für alles stehen kann – plötzlich ist da alles "koma abulkasem". Einer schnappt es beim Theater-Schulbesuch auf und erzählt von seinem Onkel im Libanon mit gleichem Namen. Der nächste benutzt ihn beim linkischen Theken-Flirt als Deckname, die Angebaggerte wiederum, um von ihrer Lieblingsregisseurin zu erzählen. Und schließlich hat ein ahnungsloser Asylbewerber, dessen Handy-Nummer dieselbe Dame per Zufallsprinzip auf eine Serviette kritzelte, um den lästigen Anmacher loszuwerden, lauter Anrufe von "Abulkasem" auf der Mailbox.

Sich überlagernde Identitätschichten

Das alles wird retrospektiv in vier Monologen vermittelt, deren Sprache mal in Slang verfällt und mal akzentelt. Die Kneipen-Begegnung wird aufschlussreich verschieden aus den beiden Beiteiligten-Positionen beleuchtet. Vier Schauspielern, die abwechselnd erzählen und in (insgesamt 16) Rollen schlüpfen, sich überdies gegenseitig als Dialog-Veranschaulicher betätigen. Angewiesen hat sie dabei Regisseur Neco Çelik, der als Kreuzberger Film- und Theatermacher "mit Migrationshintergrund" momentan ohnehin einer der gefragtesten Diskursbetreiber in Sachen Immigration ist.

Çelik verlegt den Stoff im HAU 3, der kleinsten Spielstätte des Berliner Off-Theaterkombinats, das den Kiez-Bezug zu einer seiner Grundlinien erkoren hat, explizit nach Berlin und codiert die Schweden-Verweise entsprechend um. Und er nimmt die Sache, wie gesagt, eher von ihrer plakativen Seite. Entsprechend ist die Bühne mit einer weißen Projektionsplakatwand bestückt – auch Sinnbild der sich überlagernden Identitätsschichten.

Deutliches Klischieren

Dabei teilt Çelik (teilweise Text-ergänzend) Seitenhiebe an überforderte, rassistisch auftrumpfende Problemschul-Lehrer ("Es is der Hammer, diese Araber, wenn die so weitermachen, kommen die von der Schule direkt in den Knast!") und pseudo-menschelnde, aber nicht minder rassistische Studi-Kumpels aus. Womit er weniger auf die Subtilitäten des Textes als auf dessen Plattitüden setzt und diese durch deutliches Klischieren noch verstärkt.

Die stärkste, weil berührende Szene gehört mit dem letzten Monolog dem jungen Younes Hussein, wenn er mit Schock-Stock-Pausen davon berichtet, wie der vom Abulkasem-Anrufer mittlerweile bis in die Alpträume verfolgte Asylsuchende sich auf einer rotglühenden Herdplatte mit den Fingerabdrücken die eigene Identität wegbrennt. Ansonsten lässt Çelik die Teenies mit ausladenden Großhandgesten, Stinkefinger- und Schimpfwortattacken auf prollig machen, dichtet das Forscherquartett zur pädagogisch angelegten Schultheatergruppe um, die allerdings das Lernziel – nämlich die Erkenntnis, dass Abulkasem der böse Terrorist ist – verfehlt.

Entsprechend wutgeladen ballern die Zöglinge in Kampfanzügen und mit Spielzeuggewehren durch Bühnennebelwallen lautstark ins Publikum. Der Rassismus gebiert die Ungeheuer, die er als Teufel an die Wand malt, überhaupt erst. Und schon wieder soll der Europäer im Publikum gar keine andere Wahl haben, als sich mächtig angesprochen zu fühlen. Bloß stolpert Çelik mit derartigen Deutlichkeiten durch ziemlich offene Türen. Wo es wirklich knarzt und klemmt, ist auf diese Weise kaum auszumachen.


Invasion!
von Jonas Hassen Khemiri
Aus dem Schwedischen von Jana Hallberg
Regie: Neco Çelik, Ausstattung: Neco Çelik/York Landgraf.
Mit: Melek Erenay, Vlad Chiriac, Younes Hussein, Ingolf Müller-Beck.

www.hebbel-am-ufer.de

 

Mehr lesen? Invasion! wurde 2006 Stockholm uraufgeführt. Jorinde Dröse präsentierte im März 2008 eine gefeierte Deutschsprachige Erstaufführung beim Festival Doing Identity – Bastard München. Egill Heidar Pálsson brachte das Stück Anfang Oktober 2008 im Mannheimer Nationaltheater heraus.

 

Kritikenrundschau

Das Stück "Invasion!" von Jonas Hassen Khemiri komme, zumindest in der Inszenierung von Neco Çelik, "über das lustige Vorspielen geballter Klischees kaum hinaus", meint Christiane Kühl in der taz Berlin (17.10.). Auch wenn es mit der Reflexion über die "Begriffskarriere" von "Abulkasem", deren "Sprengkraft in ihrer lustvollen Uneindeutigkeit" liege, "durchaus vielversprechend" beginne. Die "abwegige, aber nicht auszuschließende Entwicklung eines Kinderspiels zu einer Frage der nationalen Sicherheit" sei das Herzstück von Khemiris Drama, das der Regisseur leider "außer Acht" lasse. Er inszeniere die seriösen Talkshows nämlich "als disziplinarische Jugendtheaterproben mit ebenjenen testosteronüberschüssigen Kids, die den Begriff erfunden haben". Während es ihnen im Stück gelinge, "ein Land in Aufruhr zu versetzen", wandele sich "Abulkasem" hier "als Sozialpädagogenkeule gegen sie", womit die "politische Dimension des Stücks" seiner "Utopie beraubt und auf Stereotype reduziert" werde: "voll krasse türkische Jungs und ihre milchgesichtigen deutschen Gegenspieler". Çelik mache "nicht einmal vor Slow-Mo-Anbagger-Pantomime im Rotlicht halt". Fazit: "ein bisschen mehr Komplexität verträgt die Hauptstadt schon".

"Invasion!", dessen verschachtelte Geschichten "voll diffuser Figuren" seien und "doch eng am Thema" blieben, sei mehrdeutig, meine das "massenhafte Übersiedeln von Ausländern in die Alte Welt ebenso wie all das, was auf sie in der Fremde einstürmt, sie entwurzelt, aber nicht assimiliert", stellt Volkmar Draeger im Neuen Deutschland (17.10.) fest. Wie hinterhältig ein Lehrer hier allerdings ausländische Schüler trieze und von ihnen verbal attackiert werde, bediene "jedoch mehr ein Klischee, als dass es erhellend sein könnte". In verschiedene Episoden werde "die Angst vor dem Anderen geschürt", Menschen kämen nicht zusammen, "weil das Gespenst jenes ewigen Abulkasem umgeht". Çelik habe wie schon bei seinen "Schwarzen Jungfrauen" "aufmerken lassen" und imponiere wiederum "mit turbulentem Spiel". Die vier Akteure schlüpften "agil in Identitäten beider Seiten" und zeichneten "nachdenklich die Charaktere".

 

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