Ausdrücken kann man sich anders

von Robert Schröpfer 

Berlin, 19. Mai 2007. Auf Talent muss man sich überhaupt nichts einbilden. Zumindest, wenn es nach Jonathan Meese geht. "Die Revolution der Kunst", so prophezeite der Anarcho-Künstler am Samstag Mittag per Videobotschaft im Haus der Berliner Festspiele, stehe kurz bevor, und wer dann nicht als versteinerte Skulptur enden wolle, müsse sich "aggressiv und demütig nach vorne stürzen", statt Ideen verwirklichen zu wollen.

Ausdrücken, so Meese, könne man sich mit Exkrementen, aber nicht in der Kunst, und sorgte so für Heiterkeit unter den Besuchern des tt-Talenteforums. Die Nachwuchs- und Kontaktbörse des Berliner Theatertreffens, die zum zweiten Mal ein dichtes Programm mit mehr als sechs Stunden Podiumsdiskussionen und Referaten, Informationsständen und Konzerten bot, wollte mit Statements wie diesem angehende und gestandene, deutsche und internationale Theatermacher ins Gespräch bringen. Das Schlagwort: Erfahrungen austauschen.

Das Internationale Forum, Veranstalter des Talentetreffens, wurde 1964 als Nachwuchssparte des Theatertreffens gegründet. Jedes Jahr kommen hier mehr als vier Dutzend Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseurinnen und Regisseure, Dramaturginnen und Dramaturgen unter 35 zusammen. Nicht nur, um die Gastspiele zu sehen, sondern vor allem, um mit den eingeladenen Inszenierungsteams zu diskutieren und in Workshops neue Arbeitsweisen zu erproben. Mit eigenen Veranstaltungen traten sie bis zum letzten Jahr nicht in Erscheinung. Denn anders als Nachwuchs-Dramatiker(innen) und -Kritiker(innen), die mit Festivalzeitung und Stückemarkt über eigene Podien verfügen, galt für das Forum das Grundprinzip, den Austausch prozessorientiert und ergebnisoffen zu halten – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die Geburt des Theaters aus der Potenz der Krise
Uwe Gössel, der das Forum 2006 vom langjährigen Leiter Manfred Linke übernahm, will dieses Missverhältnis von Potenzial und Außenwirkung nun ein Stück weit gerade rücken. Jeder der Teilnehmer bringe einen ganzen "Rucksack" eigener Erfahrungen mit, beschreibt er den Ansatz für das tt Talentetreffen. Die Idee sei, davon etwas nach draußen schwappen zu lassen, ohne den geschützten Raum aufzugeben.

Auch in diesem Jahr ging es deshalb vor allem darum, in kleinen Runden Anstöße für Debatten unter den Teilnehmern und Gästen zu geben. Wie mit dem Impulsreferat des Kieler Schriftstellers Feridun Zaimoglu, der halb ironisch von der eigenen "Verwandlung vom Salonraubtier zum geschätzten deutschen Romancier" berichtete und über Kontaktpfleger und Einzelkämpfer räsonnierte, um dann zu schließen, seinen Weg müsse jeder allein gehen. Wie mit dem Statement des irsraelischen Theatermachers Avishai Milstein, der die Geburt des Theaters aus der "Potenz der Krise" herleitete und den Nachwuchs aufforderte, neben dem Traum der Fantasie, auch das politische Träumen zu entdecken. Und selbst Meeses "Demut"-Botschaft kann als Plädoyer für inhaltliche Arbeit statt die Pflege von Eitelkeiten gedeutet werden.

Kritik heißt, den Ball aufzunehmen
Auch die Podiumsgespräche, im Ein-Stunden-Rhythmus äußerst knapp terminiert, hatten vor allem Appetizer-Charakter. So war in der generationsübergreifend besetzten Runde "Theaterkritiker im Spannungsfeld zwischen Idealismus und Pragmatismus" zu erfahren, dass Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung Idealismus braucht, um über Theater zu schreiben, während es Theater heute-Chefredakteur Franz Wille eher skeptisch stimmt, Schwärmerei unter Journalisten zu begegnen. Kritik, dies war Konsens, bedeute aber vor allem, den Ball aufzunehmen, ihn mal zur Bühne, mal ins Publikum zu spielen, am besten dialogisch (wie die Festivalzeitungsredakteure Jan Oberländer und Georg Kasch ergänzten), quasi "Ping-pong" (so Wille) oder (bemerkte Dössel mit Blick auf theatrale Schwergewichte) als "Medizinball-Werfen".

Und während im internationalen Quartett der Forumsteilnehmer Maricel Graciela Alvarez und Tatsuki Hayashi von der Finanzierung freien Theaters durch Tagesjobs in Buenos Aires beziehungsweise der Randständigkeit zeitgenössischen Theaters im No-Theater-dominierten Tokyo berichteten und so im Perspektivenwechsel die Nöte des alimentierten deutschen Stadt- wie freien Theaters in anderem Licht erschienen ließen, glichen in der Dramatikerrunde Thomas Freyer (Stückemarkt-Preisträger 2006) und Stipendiat Daniel Mezger ihre Erfahrungen mit Altstar Tankred Dorst ab: Zu seiner Zeit, erinnerte Dorst, habe es kein Bewusstsein dafür gegeben, dass es überhaupt so etwas wie junge Dramatiker gebe, geschweige denn Förderprogramme, während Freyer heute eher die Mechanismen einer Inflation wahrnimmt: Die Konkurrenz der Vielzahl von Wettbewerben katapultiere junge Autoren schnell an die Spitze, um sie kurze Zeit später wieder fallen zu lassen. Stipendiat Mezger ergänzte, er halte sich mit seinem "Brotberuf" über Wasser – als Schauspieler.

Flankiert wurde das Programm von Informationsständen im Parkettfoyer des Festspielhauses, an denen sich Interessenten bei 34 Ausstellern von der ZBF über Theaterverlage bis hin zur Kulturstiftung des Bundes in mehr als 350 jeweils 10-minütigen Einzelgesprächen über handfeste Fragestellungen von der Jobvermittlung bis hin zur Projektförderung informieren konnten. Und auch den Abschluss dominierte der Dialog mit der Jugend: Nach der Aufführung von Kriegensburgs "Drei Schwestern" traten nach Mitternacht die Bands von Berliner Schaubühne und Münchner Kammerspielen zum finnisch inspirierten Punkrock auf die Seitenbühne. Dazwischen: tanzende junge Menschen.

 

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