Presseschau vom 30. Januar 2021 – Von gravierenden finanziellen Corona-Folgen für die Kultur berichten Matthias Hornschuh und Nina George in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bröckelndes Fundament
Bröckelndes Fundament
30. Januar 2021. Gravierend sind einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young ("Rebuilding Europe") zufolge die finanziellen Folgen der Corona-Lockdowns für die Kultur: "Neunzig Prozent Verluste für die Bühnenkünste, 76 Prozent in der Musik, 56 Prozent in der bildenden Kunst, dreißig Prozent in der Buchbranche. Das einzig gewachsene Segment: Games." Das schreiben der Filmkomponist Matthias Hornschuh, Vorsitzender des Berufsverbands mediamusic und Mitglied im Aufsichtsrat der Gema, und die Schriftstellerin Nina George, die Präsidentin des European Writers' Council, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Vom Wirtschaftssektor zur Verlustbranche?
Zu Beginn des Kulturlockdowns sei die Kreativwirtschaft einer der drei stärksten Wirtschaftssektoren in Deutschland und als Standort- und Innovationsfaktor ein globales Aushängeschild gewesen. Bereits Ende März 2020 habe die Bundesregierung den zu erwartenden Verlust in der Kulturbranche Deutschlands auf 28 Milliarden Euro beziffert. Nun werde deutlich, dass sich "das Fundament der Kultur und die Basis jeder mit ihr verbundenen Wertschöpfung" auflöse.
"'Jedem wird geholfen!', hieß es. Doch wer in die Grundsicherung geht, darf nicht dazuverdienen, wird also vom Einkommens- zum Arbeitslosen gemacht. Wer sich einen nichtkünstlerischen Nebenjob im Impfzentrum sucht, fliegt aus der Künstlersozialkasse (KSK). Wer Länderhilfen beantragt, sollte im Kleingedruckten nachschauen, ob er sie nur für Betriebskosten oder auch für Miete und Brot verwenden darf", so die Autor:innen.
Gleichbehandlung gefordert
Statt ineffizienter Hilfen fordern Matthias Hornschuh und Nina George "Gleichbehandlung mit den Empfängern von Kurzarbeitergeld und Rettungsschirm-Millionen": "Seit einem Jahr ziert sich der Staat, den 'Lebenskünstlern' (Zitat Bundeswirtschaftsministerium) den Schaden zu ersetzen, den er ihnen zufügt."
Es gelte, eine Gerechtigkeitslücke zu schließen und die Soloselbständigen zu retten. Denkbar wäre eine Pauschalentschädigung von 1180 Euro für jeden Pandemiemonat oder ein achtzigprozentiges Kurzarbeitergeld-Äquivalent auf Basis der letzten drei Jahresumsätze, wie von der Kulturinitiative 21 vorgeschlagen. Beides könne als Ausfallkompensation oder Liquiditätshilfe über Finanzämter administriert werden, so Hornschuh und George.
Faire Vergütung nötig – und ein Bundeskulturministerium
Spürbar werde jetzt auch, dass es der Staat seit mehr als zwei Dekaden versäumt habe, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung zu gestalten. "Es fehlen rechtlich erprobte, praktisch umgesetzte Mechanismen, die für all die gestreamten Lesungen, Theateraufführungen, Opern oder Vorträge eine Vergütung generieren. Es ist unklar, wer für was zahlungspflichtig ist." Lediglich für "die marktbeherrschenden Riesen, seien es Digitalplattformen, Major Labels oder Superstars", lohne es sich, ein digitales Angebot zu machen.
"Die Antwort auf die zentralen Fragen liegt in einer Vergütungspflicht. Anders gesagt, in einem starken und durchsetzbaren Urheberrecht." Flatrates wie Spotify oder Kindle Unlimited oder die All-inclusive-Vereinbarungen in der "Onleihe" der öffentlichen Bibliotheken hätten eine faire Vergügung der Nutzung längst verwässert.
Im Wissen um die Kulturhoheit der Länder fordern die Autor:innen: "Es ist an der Zeit für ein Bundeskulturministerium, welches neben der Kultur auch Kreativwirtschaft und Medien verantwortet, idealerweise auch das Digitale." Davor gelte es, die Kulturschaffenden vor der Privatinsolvenz zu retten und eine gerechte Vergütung zu erwirken: "Denn das Brot des Künstlers ist Brot. Und nicht Applaus."
(Frankfurter Allgemeinen Zeitung / eph)
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