Die Familie Schroffenstein - Heinrich von Kleists finsterer Erstling
Rappeln mit dem Brecht-Handwerkskasten
von Regine Müller
Düsseldorf, 18. Oktober 2008. Vorn an der Rampe sitzt ein Mann auf einem Stuhl und schaut unverwandt ins Publikum. Bekleidet ist er nur mit einer Unterhose, und sein Blick signalisiert besserwisserische Distanz. Er zündet sich eine Zigarette an, kramt aus einer Plastiktüte einen altertümlichen Kassettenrekorder hervor, wirft eine krächzende Musik an und greift schließlich zum Mikro. Christoph Müller gibt den Trauerspiel-Moderator und wird an diesem Abend noch viele Rollen spielen: Diener, Wanderer, Ritter, Domestiken aller Art und immer wieder den Conferencier.
Doch nicht nur in den Nebenrollen spart Regisseur Stephan Rottkamp Schauspielerpersonal: Wolfram Rupperti und Christiane Rossbach verkörpern sowohl Rupert aus dem Hause Rossitz und dessen Gattin Eustache, als auch das feindlich gegenüberstehende Paar Sylvester aus dem Hause Warwand und dessen Angetraute Gertrude, die Stiefschwester der Eustache. So schmilzt Kleists Quartett zum Duett.
Schwärzer als Shakespeare
Die Familien Rossitz und Warwand entstammen dem Geschlecht der Schroffensteins und befehden sich, weil einst durch einen Erbvertrag festgelegt wurde, dass beim Aussterben der einen Familie deren Besitz auf die andere übergehen solle. Seither ist das Klima zwischen den Clan-Parteien vergiftet, Misstrauen und Unterstellungen gären, ruhelos lauern die Familien aufeinander und vertiefen die Gräben durch Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Schließlich eskaliert die Situation und offene Gewalt bricht sich Bahn.
In dieser unseligen Lage verlieben sich Agnes und Ottokar, die Kinder der beiden feindlichen Geschlechter, unversehens und zunächst einander nicht erkennend. Eine Romeo-und-Julia-Konstellation, die bei Kleist jedoch eine noch fatalere Drehung nimmt. Ungleich schwärzer als Shakespeare sieht Kleist weder Ausweg noch Hoffnung: nur kurz blitzt die Utopie auf, die Spirale der Gewalt durch Liebe zu durchbrechen, doch nimmt die Tragödie mit eisiger Konsequenz ihren Lauf. Agnes und Ottokar vermählen sich heimlich und tauschen ihre Kleider, blind vor Hass verfolgen die Väter das unschuldige Paar und töten das jeweils eigene Blut.
Inwendig verriegeltes Glück
In Kleists erstem, anonym veröffentlichten Drama ist das Glück eben "inwendig verriegelt". Davon ist bei Stephan Rottkamp wenig zu spüren. Einmal mehr verläppert der Düsseldorfer Chefregisseur das Drama ins Halbgare, Hohle, Unentschiedene. Das schon zu Beginn aufdringliche Rappeln mit dem Brecht-Handwerkskasten will nicht enden, zudem bedient Rottkamp sich ziemlich scham-, aber leider auch witzlos bei Jürgen Goschs legendärem "Macbeth": Plastikwannen, Beutel mit Theaterblut und brauner Matsche kommen zum Einsatz, und Wasserflaschen helfen beim Urinieren. "Seht her, wir zeigen euch die Theatermittel", scheint Rottkamp unablässig zu rufen.
Das stößt schon deshalb sauer auf, weil es offenbar entschuldigen soll, dass die Figuren nur unscharfe Konturen entwickeln und der Abend insgesamt entsetzlich durchhängt. Man wird den Verdacht nicht los, dass Rottkamp dauernd nachbaut und nachstellt, was andernorts bereits erfolgreich war. Ein Puzzle aus dem aktuellen Theaterkonventionen-Baukasten.
Kein Halt, nirgends
Dabei bietet Robert Schweers Bühne ganz buchstäblich einen Rahmen, der Großes verspricht: ein riesiger schwarzer Vorhang im Hintergrund, der aus unendlich vielen Stoffstreifen besteht und eine Bühne auf der Bühne, die eigentlich nur ein Rahmen ist. Dieses Podium fährt immer wieder auf der Drehbühne herein, und fährt und dreht sich noch dazu um sich selbst. Kein Halt nirgends in dieser schwarzen Welt. Doch wird in der allgemeinen Ratlosigkeit das Drehen zum Selbstzweck und aus metaphysischem Taumel eine alberne Karussellfahrt, aufdringlich grundiert mit minimalistischem Streichergeschrubbe und hier und da Mozarts "Lacrimosa".
So bleibt alles blass und harmlos und die redlich sich mühende Schauspielerschar systematisch unterfordert. Christiane Rossbach als Eustache/Getrude-Spiegelpaar regt sich nur tantenhaft auf, und auch Wolfram Ruppertis (Rupert/Sylvester) Hass scheint unmotiviert und stumpf. Nassforsch das junge Glück von Janina Sachau (Agnes) und Milian Zerzawy (Ottokar), beachtlich dagegen Michele Cuciuffos Jeronimus und Denis Geyersbachs Johann. Ein fader Abend.
Die Familie Schroffenstein
von Heinrich von Kleist
Regie: Stephan Rottkamp, Bühne: Robert Schweer, Kostüme: Ulrike Schulze, Musik: Cornelius Borgolte, Licht: Jean-Mario Bessière.
Mit: Wolfram Rupperti, Christiane Rossbach, Milian Zerzawy, Denis Geyersbach, Anke Hartwig, Janina Sachau, Michele Cuciuffo, Marianne Hoika, Winfried Küppers, Christoph Müller.
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
Mehr lesen, nämlich wie man andernorts mit Kleists Familie Schroffenstein verfuhr? In den Münchner Kammerspielen hat im April 2007 Roger Vontobel Kleists Familiendrama inszeniert. Simon Solberg brachte das Stück im März 2007 auf die Bühne im Schauspiel Frankfurt.
Kritikenrundschau
Stephan Rottkamp schalte "dem wilden Treiben" der Schroffenstein'schen Familien-Fehde "einige Filter vor", so Hans-Christoph Zimmermann in der Westdeutschen Zeitung (20.10.). Christoph Müller setze als Zeremonienmeister das Theaterspiel erst in Gang. Dass beide Elternpaare von Wolfram Rupperti und Christiane Rossbach gespielt würden, rücke die Inszenierung "ins Parabelhafte", was Robert Schweers Mehrfach-Drehbühne noch potenziere: "Babuschka und Wetterhäuschen in einem". Der Regisseur zeige die "Nähe von Hass und Sexualität", wenn sich etwa die Eltern nach ihren Racheschwüren an die Wäsche gingen. Seine Inszenierung wolle allerdings "alles auf einmal, den Kleistschen Gefühlsrausch und die Parabel und entlarvt alles als Theaterspiel". Die Hexenszene verkümmere dabei "vollends zur Klamotte mit Fäkalienimitat" und das Schlussbild mit Kleidertausch und (versehentlichem) Kindermord "zum Vollzug ohne jede Dramatik". Fazit: "Weniger wäre an diesem Abend mehr gewesen".
"Eine Mischung aus Familiensaga des frühen 19. Jahrhunderts, Krimi und tragisch endender Lovestory" sieht Michael-Georg Müller von der Neuen Rhein-Zeitung (20.10.) in Rottkamps Inszenierung. Die "spielfreudigen Mimen mit markant unverwechselbaren Stimmen" schlüpften immer wieder in neue Rollen, "virtuos und schnell". Zu diesem "wer ist wer?" passe die "ewig kreisende Bühne auf der Bühne" "exzellent", bei der man sich ständig frage, wer vor, wer hinter dem Vorhang, wer Täter oder Opfer sei. Rottkamp verdichte den Stoff, streiche ein Drittel des Texts, "vertraut aber dem Original und verändert kein Jota an Kleists Sprache". So wirkten die heftigen Konflikte zwischen den Ehepartnern "schnörkellos, manchmal archaisch brutal". Die Doppel-Besetzung der Darsteller unterstreiche die Sinnlosigkeit des Rachefeldzug. Dem Regisseur gelinge "trotz einiger Längen" eine "spannende Story, die alle Schauspieler (...) körperbetont und intensiv über die Rampe bringen".
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"Einmal mehr verläppert der Düsseldorfer Chefregisseur das Drama ins Halbgare, Hohle, Unentschiedene."
was hat der gute bisher denn so verbrochen? sie meinen doch nicht beispielsweise seine "hedda gabler", die - im gegensatz zur himmelhochjauchzend gerühmten ostermeier-grütze in berlin - durch ihre schauspieler bestach, durch eine grandiose bühne und vor allem ein durchgehaltenes und überhaupt vorhandenes konzept?
wenn das die halbgare regiesparflamme sein soll, mag ich mein essen wohl gerade so und werd mir den abend trotzdem anschauen, so ich gelegenheit dazu finde.
eine solch unfaire und vor allem unprofessionelle kritik!!! hinschauen, wirken lassen und dann urteilen und vor allem benennen und beschreiben können, das sollte doch das mindeste sein, was von kritikern zu erwarten ist.
der abend hat spannung, charme und ideen (eigenschaften die viele abende heute nicht mehr haben, weil der fokus mehr auf dem "wie" statt auf dem "was" beruht)! vielleicht sind einige kurven nicht gut gefahren, manche rollen zu unscharf (man kann aber auch nicht immer alles der regie in die schuhe schieben), aber manche situationen so liebevoll, klar und mit einer ruhe, die sehenswert ist: die hexenküchen-szene, die instanz des erzählers und der umgang mit kleists sprache (vorallem bei milian zerzawy).
ein fader abend? wenn man keine lust hat ins theater zu gehen, liebe kritiker, dann sollte man einfach auch mal daheim bleiben...
ihre kritik an der kritik der kritik hingegen ist alles andere als professionell. wo sind denn ihre gefühle, dass sie kleist als emotionslos betrachten können?
ganz nebenbei wundere ich mich, was sie denken macht, meinen geschmack auch nur annähernd bewerten und/oder einstufen zu können, aber das würde wohl doch zu weit führen.
(zwitscher, zwitscher)
wenn ihnen meine anrede an frau müller in meiner kritik "unfaire kritik" nicht gefällt, dann schreiben sie anstatt "(...)" doch zumindest "liebe kritiker" hin!!! ansonsten ist der satz inhaltlich nicht richtig zu verstehen!!! finde es zudem blöd, dass ich die kritikerin nicht persönlich kritisieren darf, sowas muss man auch mal einstecken können, zumal wenn man so gerne austeilt!!!
(Werte(r)xxx. Wir haben Ihre Anregung aufgegriffen, möchten Ihnen jedoch hier einmal klar sagen: wer jemanden persönlich und mit Namen ansprechen möchte, sollte doch bitte auch seinen eigenen Namen nennen. Die Kritikerin schreibt ja auch unter ihrem Namen und legt damit die Karten auf den Tisch, bekennt sich zu dem, was sie schreibt. Anders kann Kritik nicht funktionieren. Auch in diesem Forum nicht. Mfg, E. Slevogt)
irgendwie haben Sie alle Recht und es auch nicht, wie ich finde. Die Kritik von Frau Müller ist nicht gut, und das ist meine Meinung. Sie ist weder gut geschrieben, noch erzählt sie etwas über das Gesehene hinaus, was als inhaltliche Setzung der Inszenierung zu Grunde liegt und dergleichen, sondern vermittelt vielmehr eine Lust am Niedermachen, eine Lustlosigkeit am Theaterschauen, eine Pflicht. Es scheint auch so, daß Frau Müller grundsätzlich etwas an der Art des Theaters des Herrn Rottkamp nicht mag, und das soll ja auch so sein: es kann nicht jeder alles mögen. ABER: direkt mit Dieter Bohlen oder Rosamunde Pilcher zu kontern, finde ich extrem blöde! Ob Herr Bohlen professionell ist oder auch nicht, gehört doch eigentlich nicht an diesen Ort, oder? Frau Müller mochte es nicht, findet es einen faden Abend, und wieder andere sehen das genau andersherum- ist doch schön, wenn Theater so polarisiert! Im Übrigen: ich gehöre zu denen, die das sogar extrem geil fanden: Kleist im hier und jetzt, mit phantastischen Schauspielern, einem tollen Bühnenbild, noch besserer Musik (ich liebe Lacrimosa!) und sehr bedacht und um die Sache bemüht, mit viel Phantasie inszeniert. Hut ab!!!
sie haben völlig recht, wenn man persönlich kritisieren möchte muss man auch name bekennen, werde es mir in zukunft zu herzen nehmen. danke trotzdem für die änderung, es wäre sonst inhaltlich wirklich nicht korrekt. werde künftig allgemeiner bleiben. finde dieses forum aber wirklich gut, weil man unmittelbar kritik zur kritik nehmen kann!!!
schauspielhauses zuschauer klont? ... sehr seltsam, die kommentare hier. was wohl ein forensischer linguist dazu sagen würde.. am ende führt die spur in die dramaturgieetage am gustaf-gründgens-platz...
das glauben Sie aber nun nicht ernsthaft, daß die Dramaturgen des Ddorfer Schauspielhauses Ehrgeiz und Muße hätten, hier unter diversen Nicknames Kommentare zu hinterlassen??
Sollten Sie aber tatsächlich dieser skurrilen Annahme anhängen, dann wirft das so gar kein gutes Licht auf Ihren kulturellen Bewegungsradius, weder den räumlichen, noch den intellektuellen.
Und das bei einem Rennschwein!!!! Schämen Sie sich!
Mit einem freundlichen Grunz!
:-)
Ansonsten finde ich die kontroverse Diskussion hier doch sehr interessant und insgesamt nicht nur aussagekräftiger, sondern auch anregender als diverse "professionelle" Kritiken zum Stück.
Da gibt's halt wie immer nur eins:
Selber hingehen, selber gucken, selber entscheiden!
Viel Spaß!!!!
falsch, falsch und nochmal falsch.
Das ist aber für ne (Fach???)Jury ein ganz, ganz schlechter Schnitt!!!
:-)
Aber warum vermut ich nur gerade, daß in DER Jury ein Rennschwein sitzt??
Wie auch immer...
Selber hingehen, selber gucken, selber entscheiden
ist auf jeden Fall ein guter Tip!
(Und bei Gelegenheit mal die Vorurteile überprüfen, kann auch nie schaden!!!)
:-)
ich bitte sie! so ein käse.
1.
Die Fassung des Textes ist so verdichtet, hat fast sämtliche Schnörkel und "Unwichtigkeiten" vertrieben, und schafft es so, das Wesentliche oder besser den Kern des Stückes zu zeigen.
2.
Auch auf dieser großen leeren Bühne, ohne eine eigentliche Dekoration, wird virtuos mit der Bühne umgegangen, Musik schafft Atmosphären, die einem das Geschehen an die persönliche Emotion bringt.
3.
Die Darsteller sind bei sich und somit bei Kleist- sehr einfach und gerade dadurch present und fallen in keinem Augenblick hinter dem Text und/oder der Bühnenästhetik zurück.
4.
Die Gedanken, die sich die Macher zu Kleist gemacht haben. Die Zweifachbesetzung von Wolfgang Rupperti und Christiane Rossbach funktioniert perfekt. Der Gedanke der Spiegelbildlichkeit. Es ist auf beiden Seiten alles gleich. Das nehmen Regie, Bühne, selbst Kostüm und Schauspieler sehr ernst. Es gibt zwischen den beiden Häusern keinen Unterschied, außer dem Namen. Und da es in dem Stück an jeder Ecke um den Namen geht, ist das ein Hauptthema, der zugespitzt wird.
5.
Theater auf dem Theater. Die Vorgänge werden offen und für mich als Zuschauerin immer sichtbar gezeigt. Das hat auch viel mit dem Wahrheitsbegriff zu tun, der dem Text als Prolog vorgesetzt wird. Das hat Humor, wenn z.B. eine Person niedergeschlagen wird, schwingt ein Darsteller den Arm in die Luft und ein Anderer gießt einen Becher voll Blut über den Geschlagenen. Überhaupt ist der Moderator, Spielleiter eine kluge Erfindung.
Das ist sicher alles nicht neu, aber muß es das sein? Die Gesamtkomposition des Stückes, das Raum-Lichtkonzept, die inhaltliche Ausleuchtung und wie Spiel, Bühne, Musik und Kostüm damit umgehen, scheint mir sehr nahe bei Kleist zu sein.
Zudem ist das alte Thema "Liebe und Krieg" und wie die Rache die Liebe zerstört, sinnlich und für meinen Begriff sehr schön erzählt. Verblendung, Eigensinn und Hoffnung auf Verbesserung enden in einer Tragödie, die im letzten Akt durch einen fulminanten Bühnenwechsel in der Höhle endet. Alle Schauspieler sind anwesend, in oder ausserhalb der Höhle, und der Tod der Kinder lässt die beiden Elternpaare zu einem zusammenschmelzen. Auf beiden Seiten ist alles gleich, auch die Trauer um das letzte tote Kind.
Wenn der Autor selbst sein eigenes Werk als schlecht empfindet, dann spricht das schon ganze Bände. Nur überflüssiger Dramaturgen-Hype hat dieses Stück (zu Unrecht!) auf die Bühnen zurückgeholt - oder weil man die anderen Stücke von Kleist nicht mehr sehen wollte? Keine Ahung. Ich halte "Romeo & Julia" für das bessere, ergreifendere Stück: es hat Humor (ganz ohne groteske Absichten!), Poesie und ist wesentlich plastischer herausgearbeitet. Kleist orientierte sich ja an Shakespeare, als er die "Schroffensteins" schuf - er hätte es bleiben lassen sollen. Denn schon der Autor selbst haderte mit seinen Schroffensteins: zuerst in Spanien beheimat, ließ er die Sippe dann in einer späteren Fassung nach Deutschland umsiedeln - gebracht hat das nichts. Für dieses Stück würde ich als Theatermacher nicht mal den kleinen Finger krumm machen, an dem dieses mäßige Stück aufgehängt ist. Wer einen guten, tragischen Kleist sehen will, sollte den "Prinz von Homburg" spielen oder die "Penthesilea" - aber nicht diese "elende Scharteke"!
Der Herr Coppelius
Viele Grüße, S. Wendner
ich möchte zwar keineswegs in dasselbe Horn stoßen, wie Frau Wendner (weil ein "Klassiker" - sind die Schroffensteins einer? - nicht per se gut sein muss), aber doch zu bedenken geben, dass der Autor unter gar keinen Umständen die gültigsten Urteile über seine Werke zu fällen in der Lage ist. Kafka, der alles verbrennen lassen wollte, als einen von vielen hier anzuführen, grenzt ja schon an Banalität. Das Publikum soll sagen, was es gut findet und was nicht.
Sicher: Erstlingswerke sind in der Tat meist unausgereifter, das ist logisch. Und ich will keinen Klassiker von der Bühne vertreiben. Und sicher liegt es auch an der Aufführung, wie sehr ein solches Erstlingswerk aufpoliert werden kann und wie nicht. Ich habe "Die Familie Schroffenstein" in den letzten 10 Jahren in drei ganz verschiedenen Aufführungen gesehen und nach jeder Vorstellung habe ich mich gefragt, warum man dieses Stück immer wieder auf die Spielpläne setzt, wo gerade die sperrigeren (und dramaturgisch und sprachlich interessanteren Stücke Kleists) so gut wie nie auf den Spielplänen auftauchen. Wie kann es sein, dass dieses schwache Erstlingswerk entlang der Rheinschiene in den letzten Jahren satte 4 mal zu sehen war (2 x in Bonn, 1 x in Köln und nun in Düsseldorf)? Ich persönlich habe die beiden Bonner Aufführungen gesehen (die erste immerhin toll produziert von Dietrich Hilsdorf - mit Johanna Wokalek und Bernhard Minetti in Kleinstrollen verschwenderisch besetzt! Da war die Inszenierung raffinierter als das Stück selbst) und die Kölner "Anrichtung" von Michael Thalheimer (immerhin war's recht kurz) und mir blieb bislang die Qualität des Werks verschlossen.
Selbst die Begründung, es sei "Schulstoff", gilt für Kleists Erstling nicht - warum wird es dann immer wieder hervorgekramt? Ideenlosigkeit der Theater? Oder will man sich doch eher ständig einreden, dass das Stück mehr wert ist, als der Autor selbst dachte? Oder sind die bekannteren (besseren) Stücke Kleists schon zu oft durchgenudelt worden?
Jeder mag diese Frage für sich beantworten und bewerten und vielleicht trägt die Düsseldorfer Aufführung (die ich mir nicht ansehe werde - aller schlechten Dinge sind drei!) auch erhellend zu dieser Diskussion bei?! Dann hätte der Abend mit Sicherheit seinen Wert - genau wie dieses Forum.
Vielleicht mag der Autor selbst kein guter Richter seiner Werke sein - wenn ein Autor von der unumstrittenen Qualität eines Heinrich von Kleists, der viel bessere Stücke als "Die Familie Schroffenstein" geschrieben hat und sich in seinem Schaffen weiterentwickelte, ist es mir immer noch nicht klar, warum man diesem Erstlingswerk plötzlich so viel Aufmerksamkeit widmet. Die Rezeptionsgeschichte ist eine sehr kurze, das Stück erlebte erst in den letzten 10 Jahren eine Renaissance. Warum? Sicher, Ausgrabungen können lohnenswert sein und sind auch wichtig - selbst wenn dabei entlarvt wird, dass ein solches "Erstlingswerk" sicher eine historische Bedeutung hat - eine künstlerische Qualität sich aber leider (zumindest für mich persönlich) nicht finden läßt.
Mir hat keine der von mir besuchten Produktionen verdeutlichen können, warum man dieses Stück heute noch spielt. Außer, dass es von Kleist ist.