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Regisseur Ersan Mondtag im Streit mit Stiftung "Flucht, Vertreibung..."

Keine Bühne bieten

6. Februar 2021. Zwischen dem Regisseur Ersan Mondtag und der "Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ist es zum Konflikt um eine Produktion zur Eröffnung des Dokumentationszentrums der Stiftung gekommen. Das berichten u.a. die Tageszeitungen Die Welt und die Süddeutsche Zeitung. Den Berichten zufolge hatte Mondtag den Auftrag, eine Performance zu inszenieren, aus der coronabedingt dann ein Film werden sollte. Nun sei das Projekt geplatzt, und der Regisseur bleibe auf Kosten in fünfstelliger Höhe sitzen, die im Kontext der Produktion entstanden seien. 

Im Zuge der Realisierung eines Projekts über Flucht und Vertreibung habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben, die schließlich zur Absage des Projektes führten. Mondtag, 1987 in Berlin geboren, und für seine ausdrucksstarken, radikal zuspitzenden Theaterabeiten bekannt, hat den Berichten zufolge bereits etwa 50.000 EUR für das Projekt ausgelegt.

Dazu sei es gekommen, weil Mondtag aus 'vergaberechtlichen Gründen' alle Verträge mit Schauspielern, Musikern, Licht- und Tontechnikern selbst hätte schließen sollen – so zumindest sah es den Medienberichten zufolge ein Vertragsentwurf vor. Da er hierdurch das unternehmerische Risiko jedoch auf sich allein abgewälzt sah, unterschrieb Mondtag den Vertrag nicht. Ohne Vertrag und im Vertrauen auf die Redlichkeit der Bundesstiftung sei er bei der Produktion in Vorleistung gegangen, so die SZ.

Eine Gegengründung

Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", deren Dokumentationszentrum Ersan Mondtags (auf einem Text von Olga Bach basierende) Arbeit im Sommer in Berlin eröffnen sollte, wurde 2005 auf Anregung des SPD-Politikers Peter Glotz ins Leben gerufen. Auslöser war das umstrittene Vorhaben des Bundes der Vertriebenen, ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, für das Glotz sich ebenfalls engagiert hatte. Der "Bund der Vertriebenen" ist der Dachverband diverser Verbände und Landmannschaften, in denen sogenannte Heimatvertriebene organisiert sind, also Menschen und ihre Nachkommen, die in deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Ostmitteleuropa lebten – Gebieten, die 1945 u.a. an Polen, die CSSR oder die Sowjetunion fielen. Der Plan für das "Zentrum gegen Vertreibungen", das das Schicksal der "Heimatvertriebenen" dokumentieren sollte, fiel 1999 in die Amtszeit der umstrittenen CDU-Politikerin Erika Steinbach als Verbandspräsidentin, die als Urheberin des Projekts gilt. Der Plan sorgte insbesondere in Polen für Empörung. Steinbach trat 2017 aus der CDU aus und begründete ihren Schritt mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Seitdem unterstützt Steinbach die AfD.

Das Dokumentationszentrum der 2005 gegründeten Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nun sollte das Thema Flucht und Vertreibung in einen größeren Kontext stellen. Damit sollte auch das Monopol von Vertriebenenverbänden auf das Thema gebrochen werden. Dem "Bund der Vertriebenen" oder einzelnen seiner Vertreter:innen wurde in der Vergangenheit immer wieder Nähe zu rechter Politik oder Geschichtsrevisionistismus vorgeworfen. Vertreter:innen dieser Verbände sorgten jedoch als Stiftungsräte weiterhin für Irritationen und Streit. 2010 ließ etwa der Zentralrat der Juden in Deutschland deshalb seine Mitgliedschaft im Stiftungrat ruhen

"Das Dokumentations- und Informationszentrum wird umfassende Einblicke in diese leidgeprägte Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen wie auch anderer Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts ermöglichen", so Bundeskanzlerin Angela Merkel 2013 in ihrer Rede zu Baubeginn des Zentrums. "An Flucht und Vertreibung der Deutschen zu erinnern, heißt gleichzeitig auch, nie zu vergessen, dass Flucht und Vertreibung von bis zu 14 Millionen Deutschen ohne den Nationalsozialismus nicht geschehen wären." Das künftige Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum werde im europäischen Geist auf Versöhnung hin ausgerichtet sein. "Flucht und Vertreibung sind gesamteuropäische Gewalterfahrungen."

Gestern und heute

"In einer Szene unseres Films zeigen wir, wie die Heimatvertriebenen beleidigt werden, wie heute Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan", zitiert die SZ den Regisseur Ersan Mondtag. Denn die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer schlesischen Heimat vertriebenen Deutschen seien von vielen ihrer westdeutschen Landsleute etwa so kaltherzig empfangen worden wie später andere Migranten. Der Streit zwischen Mondtag und Stiftungsdirektorin Gundula Bavendamm hat sich den Medienberichten zufolge vor allem daran entzündet, dass Mondtag und sein Team Zitate aus der berüchtigten Rede des AFD-Politikers Björn Höcke zur "geschichtspolitischen Wende um 180 Grad" verwenden wollten, um damit einen Fokus auf die Vereinnahmung des Themas "Flucht und Vertreibung" durch Rechts zu setzen. Die Stiftung aber "wollte diesem AfD-Politiker keine Bühne bieten", zitiert die SZ Gundula Baverdamm. 

Aus dem Kulturstaatsministerium, in dessen Verantwortungsbereich die Stiftung fällt, wurde zwischenzeitlich laut SZ mitgeteilt "die Zahlung eines Betrages in Höhe von 20 000 Euro" an Ersan Mondtag sei veranlasst worden.

(Süddeutsche Zeitung / Die Welt / Wikipedia / sle)

 

Mehr dazu: In ihrer Kolumne rollt Esther Slevogt den Fall weiter auf. 

 

 

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Kommentare  
Ersan Mondtag: geschützte Werkstätte Stadttheater
Ein unerfreulicher Vorgang: Ersan Mondtag, ein üblicher Weise bestens bezahlter Regisseur aus der geschützten Werkstätte "Deutsches Stadttheater", kommt unverhofft in Berührung damit, wie es sich anfühlt, als selbstständige/r freie/r Künstler/in für ein Projekt finanziell und logistisch in Vorleistung zu gehen, ohne zu wissen, ob etwas daraus wird.
Es ist schlicht unzumutbar, jemand wie Mondtag mit so etwas zu konfrontieren, wo er sich doch ganz bewusst für eine Karriere in einem Betrieb entschieden hat, der zu hundert Prozent vom Geld der SteuerzahlerInnen alimentiert wird und ergo ohne jedes unternehmerische Risiko ist.
Wo kämen wir da hin, wenn so verantwortungsbewusst betriebene Lebensplanung hinterrücks bestraft würde.
Mama Merkel, Tante Grütters - please, help him!
Ersan Mondtag: Geschmäckle
Peter Truschner, vielleicht einfach mal persönliches Geschmäckle rausnehmen und objektiv qualitativ dazu beitragen.
Ersan Mondtag: krachen lassen
Was für ein peinliches Getöse. Alle Beteiligten hätten wissen können, worauf sie sich miteinander einlassen. Da wollte es wohl mal jemand richtig krachen lassen. Der Regisseur schadet sich hier selbst am meisten.
Ersan Mondtag: Nachrichtenwert
Jemand hat seinen Vertrag nicht unterschrieben und pocht jetzt auf Vertragserfüllung. Wo genau ist der Nachrichtenwert?
Ersan Mondtag: Bitte erläutern
Warum schadet sich der Regisseur am meisten? Das klingt nach Hintergrundwissen, das aber nur angedeutet wird. Also dann bitte erläutern.
Ersan Mondtag: diebische Freude?
@1"Peter Truschner gehört zu jener aussterbenden Künstlerspezies, die stets aufs Ganze gehen muss."
wenn man das als slogan für die eigene homepage hat, finde ich es extrem ärgerlich, wenn man gleichzeitig diebische freude zeigt, wenn andere aufs maul kriegen.
mondtag wird für seine arbeit bezahlt, die im moment extrem gut ankommt, da gibts keine unredlichkeit. und nichts davon hat mit dem vorgang zu tun, um den es geht...

ich hoffe alle kommen mit blauen augen aus dem ganzen
@3
wahrscheinlich stimmt das leider sogar, aber wenn alle immer alles besser wüssten, würde gar nichts mehr passieren. dass es so zum eklat kommt ist aber wirklich ziemlich ätzend.
Ersan Mondtag: normaler Vorgang
Jenseits alle Häme: Außerhalb des Theaterbetriebs ist das ein vollkommen normaler Vorgang. Architekten, Autoren, Filmproduzenten - die Liste lässt sich ewig fortsetzen - treten ständig in Vorleistung, schreiben Manuskripte, bauen Entwürfe, drehen Trailer etc. Oft zerschlagen sich Projekte, die Freiberufler verlieren Lebenszeit, meist auch Geld.
Diese Sache wäre niemandem eine Meldung wert, wäre sie nicht ausnahmsweise einem durch den Subventionsbetrieb vor jedem wirtschaftlichen Risiko geschützten Regisseur passisert - eine Anekdote mehr aus dem ungesund gespaltenen Kulturbetrieb.
Ersan Mondtag: hochsensibel
Ausgerechnet Ersan Mondtag, von dem jede(r), die sich im Theater auskennt, weiß, dass er sich in seinen Inszenierungen nicht im Geringsten um irgend einen belastbaren Bezug seiner Ästhetik zum Thema, zur Komplexität der Sachlage oder dem gesellschaftspolitischen Kontext schert, mit einer Produktion in diesem hochsensiblen Bereich zu betrauen, grenzt an grober Fahrlässigkeit der Engagierenden. Mehr Information im Vorfeld hätte das vermeiden können. Wer Ersan Mondtag bucht, bekommt Ersan Mondtag!
Ersan Mondtag: Verantwortung
Ersan Mondtag ist der falsche für ein solches Projekt, weil er stets vom Stadttheatersystem jede Verantwortung abgenommen bekam. Das sollte eine Figur aus der freien Szene machen, die sich auskennen und wissen, was es bedeutet, so zu arbeiten.
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