Virus und Verwandlungskünstler

von Anina Valle Thiele

Luxemburg, 9. März 2021. Die Luxemburger gehen ihren Weg in der Pandemie. Restaurants und Kneipen haben noch immer geschlossen, doch die Kulturhäuser durften Anfang des Jahres wieder öffnen. – Unter strengen Auflagen: Sicherheitsabstände und Maskenpflicht. An Verweisen auf die Pandemie fehlt(e) es in den jüngsten Theaterproduktionen nicht. Anfang Februar überraschte das Schauspielhaus Mainz mit einer selbstironischen Werther-Produktion im Escher Theater. Mit FFP2-Maske stapfte Lotte durch eine rosarote Wolke, während Werther und Albert auf einer Schaukel schmachteten und das Bühnenbild bauten. Neuerfindung in der Krise scheint die Devise!

Unternehmensberater in Jogginghose

Albert Ostermaiers Monolog "Superspreader" (den Nora Schlocker am Münchner Residenztheater bereits als Video-Premiere zeigte) mutet im Ankündigungstext freilich etwas plakativ an. Die Story eines um die Welt jettenden Unternehmensberaters, der das (bei Ostermaier: den) Virus durch die Welt trägt, wirkt wenig tiefsinnig. Bei aller Skepsis, was die Story angeht, vermag die Inszenierung von Rafael Sanchez dann aber doch mitzureißen. Die kleine Bühne im Théâtre National du Luxembourg füllt Peter Lohmeyer mit einer starken Präsenz. Leger in Jogginghose mit Polo-Jacke wirkt Lohmeyer als Marcel zunächst mehr wie ein Fußballtrainer aus dem Ruhrpott denn wie ein schnöseliger Unternehmensberater.

Superspreader1 600 ThomasRabschMit fortschreitendem Wahnsinn wird die Polojacke gegen einen Bademantel ausgetauscht. © Thomas Rabsch

Das Bühnenbild ist karg: eine schwarze Mauer, vor der eine Art Staffelei hängt, bemalt mit einer Skizze eines Schattens. Die Konturen der Kohlezeichnung wirken verzerrt. Bei näherem Hinsehen verstärkt sich der Zerreffekt. "'Verwisch Deine Spuren!' riet mir einer – fatal in Zeiten von Corona", wird es später heißen.

Ans Publikum gewandt fordert der (Anti-)Held nun: "Applaudieren Sie dem Helden!" Und mahnt: "Haben Sie Ihre Hände desinfiziert?" Sogar Eis am Stil schmecke nur noch nach Seife, lamentiert er, und beschreibt aber auch das volle Ausmaß der Katastrophe: "Ein leerer Friedhof. Notbestattung. Kein Wort zu viel; Beerdigung to go. Kein Häufchen Erde für das Häuflein Elend darunter. Ich kann gar nicht auf alle Beerdigungen gehen. Die Massengräber. Warum verbrennt man sie nicht alle?"

Virus ausgehaucht

Ostermaiers Text beklemmt, Lohmeyers Auftritt unterhält – mal stakst er verloren im weißen Bademantel über die Bühne wie Bill Murray in "Lost in Translation", mal tanzt er zu den abgedroschenen Beats von Bob Marley: "Get up, stand up, stand up for your rights." Dann erklingt der Soundtrack zum Zombie-Film "28 Days Later", Lohmeyer besteigt den Schreibtisch und faucht: "Ich bin der Impfstoff gegen Insolvenzen." – Ein erfolgreiches Unternehmen lasse sich als Fieberkurve darstellen. Das Schöne an den Zahlen: Minimaler Aufwand; maximaler Profit! Die Textauszüge über die am kapitalistischen Finanzwesen krankende Welt wirken etwas schal – zumal in Luxemburg.

Stark hingegen jene Passagen, in denen Lohmeyer das Virus förmlich aushaucht: "Die Welt liegt in meinem Rachen. Mein Rachen ist meine Rache. Ich brauche keinen Selbstmordgürtel, ich mache nur den Mund auf und es knallt." Im Schneidersitz meditierend, dann eingehüllt in ein Handtuch ergibt Lohmeyers Schauspiel einen regelrechten Totentanz. "Der Virus ist ein Verwandlungskünstler, man muss ihm zuvorkommen. Ich habe mich immer verwandelt. Ohne dass es je jemand gemerkt hätte", warnt er und mäandert gekonnt zwischen müdem, abgeklärten Unternehmensberater und tödlichem Virus.

"Ich bin ein Opfer!"

In einer Passage werden die aufgeblähten Management-Diskurse als leere Worthülsen entlarvt: "Was heißt hier asapst aufgleisen? Ist doch vom EV noch gar nicht gegreenlighted." In einer weiteren reflektiert er mit dem Rücken zum Publikum sitzend zu den Klängen einer Spieluhr seine Kindheit und sinniert darüber, was er wohl wieder ausgefressen haben könnte, um den Zorn seiner Mutter zu entfachen. – Eine Episode, die etwas bedeutungsschwanger daherkommt, zumal, wenn er den Satz "Ich hätte Dich abtreiben sollen" seiner Mutter selbstzerstörerisch in den Raum wirft. Das Fabulieren von der Sehnsucht nach der nicht ausgelebten Zwischengeschlechtlichkeit ist im Text Ostermaiers dann eindeutig zu dick aufgetragen, der Bogen vom *Trans-Menschen zum Superspreader ist überspannt.

Superspreader3 600 ThomasRabschPeter Lohmeyer in "Superspreader" © Thomas Rabsch

Im Verlauf der Inszenierung verändert sich die Kohlezeichnung auf der Bühne und wird von Lohmeyer selbst erweitert: ein eindrucksvoller Regie-Einfall von Rafael Sanchez, der ansonsten ohne unnötiges Klimbim Lohmeyer den Text sprechen lässt. Der lässt seine Figur in den Wahnsinn abgleiten, bis der "Alles-in-mich-Hinein-Fresser" aggressiv den Flachmann aus der Reisetasche herausreißt, Wodka in sich hineinschüttet und sich die Kleider vom Leib reißt um in rosa Boxershorts tänzelnd wie Rumpelstilzchen zu rufen: "Ich bin nicht Schuld und bin ein Opfer!"

Am Ende steht ein Angst-Diskurs und ein dreifacher Schatten: Das Selbstbildnis aus Kohle springt förmlich aus den Fugen. Rafael Sanchez' Inszenierung im TNL überzeugt durch ein mitreißendes Schauspiel Peter Lohmeyers, das den morbiden Superspreader-Text zum Leben erweckt, bevor die Zuschauer gleichermaßen beklemmt wie berauscht den Saal verlassen.

Superspreader
von Albert Ostermaier
Regie: Rafael Sanchez, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Peter Lohmeyer.
Premiere am 9. März 2021 im Théâtre National de Luxembourg
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.tnl.lu

 

Kritikenrundschau

"In seinem Monolog verzahnt Albert Ostermaier Kapitalismuskritik und Pandemie-Paranoia und verleiht einer an sich ausgelaugten Metapher – der Kapitalismus als Virus – neue Bedeutungsebenen", schreibt Jeff Schinker im Tageblatt Letzeburg (12.3.2021). "Superspreader" sei sehr wohl, aber eben nicht nur ein Pandemietext, der zeige wie Entfremdung einen traurigen und fast logischen Höhepunkt in der Pandemie findet. "Peter Lohmeyer, dessen Zeichnungen nicht nur die Textfassung begleiten, sondern auch ein Eigenleben auf der Bühne entfalten, verkörpert den 'Verwandlungskünstler' Marcel während einer intensiven, beeindruckenden Performance." Rafael Sanchez’ Regie komme ohne große Effekte aus und stehe ganz im Interesse des starken Textes und der ebenso starken schauspielerischen Leistung, deren Qualität Sanchez durch subtile Einfälle betont.