Kessel brodelt, Feuer zischt – die Emojis mischt!

von Christian Rakow

Nürnberg, 12. März 2021. Der Kurznachrichtendienst Telegram ist seit Beginn der Corona-Pandemie regelmäßig Online-Spielwiese für die ihrer Bühnenheimat beraubten Theater. Die Knobelenthusiasten von machina eX baten ihre Fans hier schon zu Krimiabenteuern (Lockdown, Homecoming). Die Performancegruppe Vorschlag:Hammer schuf mit Twin Speaks einen ironisch leichten Mystery-Thriller. Dabei bietet Telegram jedes Mal den Platz für den ganzen Reichtum an Multimediakunst: einen rhythmischen Wechsel aus getippten Chat-Einträgen samt Emojis, mündlichen Sprachnachrichten, Videoeinspielungen und Links ins World Wide Web.

Klassiker für die App?

Das Staatstheater Nürnberg testet nun mit "Macbeth. Ein Kurznachrichtentheater" aus, inwieweit Telegram klassikertauglich ist. Und um es kurz machen: Es geht gehörig schief. Knappe zwei Stunden folgt man einem in Nachrichtenhappen gegossenen Kondensat aus Shakespeares Königsmörderdrama in der Blankversübersetzung von Angela Schanelec. Aber was macht die sozialmediale Distanz-Kommunikation mit dem Stoff? Leider sehr wenig.

Bildmontage MacbethNürnbergMessengerMacbeth (Justus Pfankuch) und seine Lady (Lisa Mies) beim Abendmahl mit dem Geist von Banquo © Staatstheater Nürnberg

Macbeth (Justus Pfankuch) und seine Lady (Lisa Mies) plotten ihren Königsmord via Messenger, aber bleiben doch ganz der alten Geschichte und ihren Szenerien verhaftet, stehen wie bei Shakespeare ideell im selben Raum, greifen nach denselben blutigen Dolchen.

Gekreisch, Gewürge und Gewuchte

Der dramaturgischen Behauptung nach soll die Inszenierung einen Macbeth zeigen, der sich wie die Verschwörungsquerheinis unserer Tage über Fake News in Gewaltfantasien hineinsteigert. Aber um eine solche Lesart zu profilieren, hätte es einer durchdachteren Modernisierung bedurft, hätte man sich ein gutes Stück vom Originalwerk lösen oder zumindest den Rahmen klarer etablieren müssen, aus dem heraus gesendet wird.

Macbeth3 ScreenshotDas Messenger-Drama nimmt seinen blutigen Lauf | Screenshot

In ihrer unentschlossenen Übertragung wird die von Schauspielchef Jan Philipp Gloger verantwortete Inszenierung schnell unfreiwillig komisch. Die orakelnden Hexen irrlichtern mit humoresken Emojis. Die Protagonisten werfen sich in ihren Dialogen Kuss-Smileys zu, nur um im nächsten Augenblick im Video-Einspieler das ganze Gekreisch, Gewürge und Gewuchte vor die Kamera zu packen, das sich Lieschen Müller von einer deftigen Shakespeare-Tragödie erwartet.

Ach, das Neuland

Zwei verlorene Stunden am Bildschirm wären eigentlich einen Verriss wert. Aber es liegt mehr auf der Waage. Es wird experimentiert, das ist verdienstvoll. Und keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich in den Theaterlanden umblickt. Das Nürnberger Haus stemmt sich mit einem engagierten Digitalspielplan gegen die Corona-Schwere. Erst jüngst mit dem Theaterfilm Isola nach dem Stück von Philipp Löhle.

Knapp 700 Zuschauer*innen heute Abend in der Telegramgruppe (die Tickets waren kostenlos) beweisen, welches Potenzial das Haus hier auftut. Sieben Techniker*innen hinter den Kulissen, Justus Pfankuch als live tippender Macbeth-Darsteller, 32 Fotos, acht eingebettete und sechs verlinkte Videos, dazu Dutzende Sound- und Sprachnachrichten. Es wurden keine Mühen gescheut, um dem Theater Neuland zu erkämpfen. Also kein Verriss.

 

Macbeth. Ein Kurznachrichtentheater
nach William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec
Regie: Jan Philipp Gloger, Dramaturgie: Fabian Schmidtlein, Ausstattung: Tanja Berndt, Grafiken: Greta Schmidt, Musik und Sounddesign: Vera Mohrs, Licht: Florian Kenner, Produktionsleitung: Greta Schmidt.
Mit: Justus Pfankuch, Lisa Mies, Sascha Tuxhorn, Ksch. Adeline Schebesch, Yascha Finn Nolting, Maximilian Pulst, Anna Klimovitskaya, Ksch. Pius Maria Cüppers, Süheyla Ünlü, Fabian Schmidtlein, Nicolas Frederick Djuren.
Premiere am 12. März 2021
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

staatstheater-nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

Manches holpere dramaturgisch gewaltig. "Man muss seinen Shakespeare gut kennen, um sich hier zurückzufinden", so Barbara Behrendt vom RBB (13.3.2021). Doch es sei nunmal ein Fehlschluss zu meinen, das Projekt wolle theaterfernen Jugendlichen Macbeth-Nachhilfe geben. Als Theater-Experiment bleibe die Arbeit gleichwohl unbefriedigend, es zeige Sprache, aber keine Figuren.

Die Krux sei, dass man eben lese und auf Telegram zu lesen, sei auch kein großer Unterschied dazu, ein Reclamheft zu lesen, so Christoph Leibold auf Deutschlandfunk Kultur (13.3.2021). Immerhin: Die Audio- und Videodateien seien sehr clever in die Handlung eingebaut.

Auch Wolf Ebersberger von den Nürnberger Nachrichten (15.3.2021) beklagt, dass das meiste an diesem Shakespeare eben selbst gelesen werden muss. "Ist ja witzig gemeint. Selbst seinen persönlichen Senf dazugeben, der Reiz allen Chattens, fällt aber weg: Man kann nur, fast zwei Stunden lang, den andern beim Plappern zusehen und ein bisschen klicken.“ Und weiter: „Der arme Shakespeare reiht sich, seiner Bühne beraubt, doch reichlich hilflos ein in die medialen Banalitäten unserer Zeit: Häppchen ohne Drama und ohne Poesie, am Ende ziemlich blutverschmiert. Ach, es wird dringend Zeit für richtiges Theater!"

"Das Ganze ist ein so interessantes wie streckenweise amüsantes, wenn auch schnell ermüdendes Theater-Experiment. Noch unausgegoren und ohne inhaltliche Tiefe, eher so eine Art digitiale Hardboiled-Comic-Version, leider auch ohne dass darin die Schauspieler groß zum Zug kämen (weshalb man bald anfängt, nebenher anderes zu tun – und das bei einer so schwarzen Tragödie)“, schreibt Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (15.3.2021). "Aber immerhin: Wie das Nürnberger Schauspiel im leidigen Lockdown das Handy hier zur Bühne macht und auf der Folie eines Klassikers einen Blick wirft auf die Art, wie wir heutzutage kommunizieren, ist aufgeweckt und verdient alle Achtung."

 

Kommentare  
Macbeth, Nürnberg: handwerklich souverän
"Unfreiwillig komisch" fand ich es nicht, sondern handwerklich souverän. Der Shakespeare-Klassiker strebt zielstrebig seinem bekannten blutigen Finale entgegen. Die Inszenierung nutzt aber das Format nicht.

Diesem Experiment ist doch in jedem Moment deutlich anzumerken, dass es aus der Not des Lockdowns heraus geboren ist. Die Collage aus Sprach- und Textnachrichten und kleinen Icons testet einen neuen Kanal, die Spieler*innen und ihre Körper treten völlig dahinter zurück, so dass dieses Kurznachrichtentheater trotz aller Blutrünstigkeit des Stoffs recht blutleer bleibt. Diesem anerkennenswerten „Macbeth“-Versuch fehlt die Virtuosität, mit der zu Beginn des 2. Lockdowns die Gruppe „Freies digitales Theater“ in „werther.live“ (frei nach Goethe) verschiedene Social Media-Kanäle ausprobierte und dies sehr gekonnt damit verknüpfte, dass die Spieler*innen auch in kleinen Zoom-Szenen mit einander direkter in Kontakt traten.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/03/13/macbeth-ein-kurznachrichtentheater/
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