Peinliche Wühler

von Michael Bartsch

8. April 2021. Im Jahr 2021 stehen weitere wichtige Wahlen an, und in diesem Frühjahr werden in Kommunen und Ländern teils verspätet coronagestresste Krisenhaushalte beschlossen. Die AfD und die vielerorts schon zu ihrer Light-Version mutierten Freien Wähler nutzen die "Gunst" knapper Kassen, erneut gegen ideologisch missliebige "linksextreme" Vereine und Institutionen Attacken zu reiten, auch gegen große Bühnen. Getarnt werden diese Streichungsanträge mit der "Verantwortung", die schrumpfenden Einnahmen im Interesse aller nach neuen Prioriäten zu verteilen. Im Klartext läuft dieses Ansinnen auf ein Ausspielen der Kultur gegen Gewerbe und Soziales hinaus.

Dresden: Blockadetaktik im Kulturkampf

Dresden zeigt wieder einmal, wie es geht, um einen Pegida-Slogan zu gebrauchen. Statt sich über abgewendete Kulturkürzungen bei der Verabschiedung des Stadthaushaltes mitzufreuen, blockierten AfD und Freie Wähler kurz vor Weihnachten im Kulturausschuss die Freigabe der kommunalen Kulturförderung. Mit ihrer Sperrminorität von einem Viertel der Ausschussmitglieder konnten sie verlangen, dass Ende Januar erneut das Stadtratsplenum beschließen musste. 77 Prozent der Stadträte bestätigten dann auch, was als Routineangelegenheit im Ausschuss längst hätte abgehakt werden können. Die Zuwendungsempfänger mussten zu Jahresbeginn eben nur sechs Wochen länger warten.

Urlaub in Deutschland Theaterhaus Jena 600 Joachim Dette u"Urlaub in Deutschland" am Theaterhaus Jena © Joachim Dette

"Reine Schikane" nannte Linken-Stadtrat Magnus Hecht dieses Verhalten von AfD und Freien Wählern. Er bezeichnete die versuchte Blockade als "kulturkämpferischen Ärger", mit dem die Rechte "ihr Mütchen kühlen" wolle. "Hier geht es einzig und allein um den rechten Kulturkampf. Dieser hat längst begonnen", schrieb nicht etwa die Antifa, sondern überraschend auch CDU-Stadtrat Mario Schmidt. Hat dieser Kulturkampf, eigentlich ein Begriff aus der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Bismarck und der Katholischen Kirche, wirklich schon begonnen und gegen wen richtet er sich?

Jena und Leipzig: Angriff auf die Kulturfinanzierung

"Wir befinden uns zweifellos in einem Kulturkampf", äußerte sich der kulturpolitische Sprecher der AfD im Bundestag Marc Jongen zuletzt diesem Januar und stellte damit zugleich klar, wer sich in der Offensive wähnt. Umso mehr, als Jongen schon vor einiger Zeit die "Entsiffung des Kulturbetriebes" propagierte.

Hasko Weber 800 Candy Welz uHasko Weber, Intendant am Deutschen Nationaltheater Weimar © Candy WelzHasko Weber, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, beobachtet zwar derzeit an den Bühnen ein Abflauen der Welle von Störungen und Übergriffen (nicht zu vergessen: Auch am Dresdner Traditionskabarett "Die Herkuleskeule" flogen noch 2020 Bierseidel auf die Bühne). Entwarnung gibt Hasko Weber deshalb noch lange nicht. Er warnt vielmehr vor Angriffen vor allem in den Kommunalparlamenten auf die Kulturfinanzierung in den Krisenhaushalten.

Genau das ist nicht nur in Dresden, sondern auch in Jena geschehen. Im Januar sorgte dort das krisenbedingte Haushaltkonsolidierungskonzept für Aufruhr. Ein breites Bündnis von Künstler:innen und Kulturinstitutionen formierte sich dagegen. Die AfD aber setzte noch eins drauf. Sie stellte im Stadtrat den Antrag, dem Theaterhaus Jena den kompletten städtischen Zuschuss von einer reichlichen Million Euro zu streichen.

Das Haus weise keine überregionale Präsenz auf, und außerdem gäbe es ja auch noch die nahen Bühnen Weimar oder Gera, begründete die AfD zum Schein ihr Ansinnen. Darüber kann der aus den Niederlanden stammende künstlerische Leiter Walter Bart nur laut lachen. "Alle unsere Stücke werden auch in Holland gespielt! Peinlich, die haben echt keine Ahnung!" Man hat sich ruhig verhalten, und mit dem Haushaltkonsolidierungskonzept fiel dann auch der Jenaer AfD-Antrag unter den Tisch.

Auch die AfD in Leipzig scheint dieses Drehbuch kopiert zu haben. Anfang März spitzte sich die Auseinandersetzung um ihre Forderung zu, statt soziokultureller Projekte eher den Einzelhandel zu fördern. Es ging um solche seit vielen Jahren etablierten Vereine wie Conne Island, die naTo oder die Kulturfabrik. Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) sah in dem Umverteilungsansinnen den Versuch, "Kulturförderung bei unliebsamen Projekten in Frage zu stellen". "Wir fördern nicht, weil uns etwas politisch gefällt, sondern wir fördern Kunst und Kultur", bekannte sie sich zur Kunstfreiheit.

Dresden: "Wühlarbeit" gegen Hellerau

In einigen Städten setzen sich also die Angriffe fort, die 2019 in Berlin gegen das Deutsche Theater, das Gorki-Theater oder in Cottbus gegen das "Piccolo"-Jugendtheater einen ersten Höhepunkt erreicht hatten.

Walter Bart 800 Cornelia Stephan uWalter Bart, Künstlerischer Leiter am Theaterhaus Jena © Cornelia StephanZurück nach Dresden. Spätestens seit dem Wahljahr 2019 schießt sich die Vergangenheitspartei AfD auf das den zeitgenössischen Künsten verpflichtete Europäische Zentrum der Künste Hellerau ein. Im Kommunalwahlprogramm las man eine Mischung aus Chuzpe und Ahnungslosigkeit. "Kultureinrichtungen müssen vom Bürgerinteresse getragen sein", schimmerte die potenzielle Intellektuellen- und Kunstfeindlichkeit durch. Genau dieses breiteren Interesses auch bei künstlerischen Wagnissen und Experimenten kann sich das Festspielhaus aber erfreuen. "Wir sind kein reines Szenehaus", betont Intendantin Carena Schlewitt und verweist auf das im Durchschnitt zwar junge, aber breit gefächerte und sich teils mit den Dresdner Traditionsspielstätten überschneidende Publikum.

So sehr sie sich auch darüber ärgert, dass an der AfD-Ignoranz weder ein Besuch in deren Stadtratsfraktion noch eine Führung des Kulturausschusses durch das Festspielhaus etwas geändert hat, so amüsiert reagiert sie auf völlige Unkenntnis. Denn es gibt gar kein festes hauseigenes Ensemble, das nach Meinung der AfD "keinerlei Publikumsrelevanz erreicht hat und daher aufgelöst werden sollte". Die so genannte Alternative scheint auch den Widerspruch nicht zu bemerken, einerseits die Entpolitisierung von Kunst und Kultur zu fordern, andererseits die nun wahrlich hochpolitisierte DDR-Kunst ausstellen zu wollen. Mehr davon hatte die AfD in ihrem Kommunalwahlprogramm gefordert.

"Mit anderen Ästhetiken ist auch ein anderes Gesellschafts- und Politikverständnis verknüpft", erklärt Carena Schlewitt die hartnäckige "Wühlarbeit" gegen Hellerau. Die jüngste Attacke kam im Februar vom kulturpolitischen Sprecher der AfD-Stadtratsfraktion Matthias Rentzsch. Unter der Überschrift "Wofür Steuerzahler tief in die Tasche greifen" regte er sich darüber auf, dass die Dresden Frankfurt Dance Company in bewegungsarmen Corona-Zeiten Videos zum Hometraining und zur eigenen Körperwahrnehmung produzierte. Bei einer Leipziger Diskussion musste Carena Schlewitt von einem AfD-Teilnehmer hören, dass sie sich wohl derzeit noch keine Sorgen machen müsse. Aber in der nächsten Legislaturperiode wäre Hellerau "als erstes dran".

Strategie oder nur Bauchgefühle?

Steckt hinter solchen Drohungen eine Strategie? Womit muss man nach einer "Machtergreifung" rechnen? "Systeme verändern sich", hatte die durch die "Charta 2017" bekannt gewordene Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen im Stadtrat orakelt. Mit ihrem Mandat der Freien Wähler war sie an der Blockade der Kommunalen Kulturförderung beteiligt. Die AfD wollte sie ursprünglich komplett streichen.

Carena Schlewitt 1200 Stephan Floss uCarena Schlewitt, Intendantin Hellerau © Stephan FlossDie Hellerauer Intendantin fühlt sich bei solchen Schikanen an autoritär regierte osteuropäische Staaten erinnert. "Zahlen- und Krisenargumente sind ein vorgeschobenes Mittel, um bestimmte Initiativen zu schließen." Eine Strategie kann CDU-Stadtrat Mario Schmidt dahinter aber nicht erkennen und spricht von einer "gefühlten Ablehnung gegen Vereine".

Eine konsistente Kulturpolitik ist bei den Rechtsparteien in der Tat nicht erkennbar. Die Vision einer irgendwie sortenreinen Nationalkultur ohne irritierende Einflüsse des vermeintlich Fremden oder "Entarteten" wird als Alternative nicht klar formuliert. Offen fordert niemand eine neue Reichskulturkammer. Indizien auf kommunaler und auf Landesebene aber alarmieren. Seit die AfD hier in die Parlamente einzog, ist der ehemals parteiübergreifende Konsens in Grundfragen der Kulturpolitik aufgekündigt worden.

Forderung nach "positivem Heimatbezug"

Bereits in ihrem Landtagswahlprogramm 2016 zeigte die AfD Sachsen-Anhalt, was sie von der Kunstfreiheit des Artikels fünf im Grundgesetz hält. "Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern", hieß es damals. 2018 hatte sächsische AfD-Landtagsfraktion eine Streichiste aller soziokulturellen und antirassistischen Einrichtungen, Initiativen und Vereine präsentiert, hinter denen sie den altbösen kommunistischen Feind wittert. Deren aktueller kulturpolitischer Sprecher Thomas Kirste will "politisch nicht neutralen" Theatern die "Subventionen" streichen. "Die Darstellungen werden oft politisch missbraucht und sind vulgär und verroht", macht er sein Geschmacksurteil zum Maßstab.

HomeAway 560 Fang Yun Lo uSzenenfoto aus Home Away From Home - Ein deutsch-vietnamesisch-taiwanesischer Theaterfilm, der in Hellerau während des pandemiebedingten Theater-Lockdowns entstand © Fang Yun Lo

Übertroffen wird er noch vom Freiberger AfD-Stadtrat Markus Gehrke, der das Theater an sich in Frage stellt. "Ich selber habe dazu keinen Bezug, für mich ist jeder Cent, mit dem das Theater gefördert wird, ein Cent zuviel! Wer sonst nichts im Leben kann und daher als abgehalfterter Schauspieler sein Dasein fristen muss, aber glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, sollte erstmal sehen, was er ohne Zuschüsse von staatlicher oder kommunaler Hand wäre, NICHTS!" Auf dieses Niveau also müsste sich Deutschland einstellen, würde die AfD auch nur mitregieren.

 

Michael Bartsch, geboren 1953 in Meiningen, freier Journalist und Autor. Nach der Wende Landeskorrespondent der Leipziger Volkszeitung in Dresden. Seit 1993 freiberuflich tätig für verschiedene Printmedien und den Hörfunk, Schwerpunkte Landespolitik und Kultur, speziell Theater und Musik.


Mehr zum kulturpolitischen Agieren der AfD:

Flausen Bundeskongress 2019 – Die Freie Szene diskutiert Strategien gegen Angriffe von Rechts (Februar 2019)

Interview mit Bianca Klose, Geschäftsführerin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, über ihre Broschüre "Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts" (März 2019)

Am Beispiel Freiberg – Wie die AfD in Sachsen in die Gestaltungsfreiheit von Theatern hineinzuregieren versucht (Juni 2019)

 

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