Presseschau vom 4. Mai 2021 – Christoph Nix denkt über die Rolle der Intendanz in der FAZ nach

Theatralische Figuren

Theatralische Figuren

4. April 2021. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung greift Christoph Nix, Professor für Bühnenrecht an der Universität Bremen und Intendant der Volksschauspiele Tirol, die aktuelle Debatte um die Rolle der Theaterintendanz auf. Über Macht- und Strukturfragen innerhalb des Stadttheaterbetriebs denkt er dabei grundätzlich nach.

Der aktuelle Diskurs zeige viel Unverständnis hinsichtlich der Arbeitsstrukturen am Theater, findet Christoph Nix. Dem setzt der Autor einen Rückblick in die Historie entgegen. "Wer allein den Kopf des Intendanten fordert, bekommt den Missbrauch nicht in den Griff", schreibt er. Theaterleiter*innen seien im Nachkriegsdeutschland "Garant für Ausgleich" und – vor allem – "Verteidiger der Freiheit" (in künstlerischer Hinsicht) gegenüber politischen Machthabern gewesen. Nur so sei die Gesellschaftskritik beispielsweise eines Bertolt Brecht auf den Bühnen überhaupt möglich gemacht worden.

"Die Liste der beschützenden Intendanten ist länger als die der Machtbesessenen", schreibt er. Doch, führt Nix weiter aus: Die jüngsten rassistischen, sexistischen und demütigenden Vorfälle an Häusern lassen Fragen um Fehler im Theatersystem als virulent dastehen. Antworten in der "Liquidation" der Intendanz zu suchen, greife zu kurz. 
Für was plädiert Christoph Nix also in der komplizierten Gemengelage? Er führt die Begriffe "Demokratie", "Transparenz" und "demokratische Kontrolle", ins Feld, die am Theater ebenso wichtig seien wie in anderen Organisationen. Der zuletzt oft kritisierte "Normalvertrag Bühne" sei kein Unterdrückungsinstrument. Auch diese Art des Tarifvertrages biete den Arbeitnehmer*innen Schutz. Bei einer Kündigung "aus künstlerischen Gründen" müssen diese laut Nix ausreichend belegt werden (jedes Schiedsgericht verlange das), es gelte auch für einen großen Teil der Theatermitarbeiter*innen der TVÖD mitsamt Kündigungsschutz. Auch gebe es neben Betriebsräten Personalvertreter*innen bei den Künstler*innen-Gruppen.

"Sie dürfen nicht wegschauen", ist eine zentrale Forderung des Beitrags. Auch Aufsichtsräte, Verwaltungsräte und kommunale Kulturausschüsse seien kontrollausübende Instanzen. Doch die entscheidende Frage stellt und beantwortet der Autor selbst: "Aber genügt das? Offensichtlich nicht." Denn: Problematisch sei die konzentrierte Macht, beispielsweise in Form von Entscheidungen über Nichtverlängerungen und Veränderungen von Verträgen, die Intendanzen meist im Vier-Augen-Prinzip mit ihren kaufmännischen Direktor*innen treffen. "Ein wütender Fritz Kortner oder ein wütender Claus Peymann, die es unzweifelhaft gab, sind immer auch theatralische Figuren", schreibt Nix und bezieht sich auf Anreizstrukturen für Alleinherrschaft, die ein Stadttheater bieten kann. 

Was braucht es also, um den Problemen Herr zu werden? Laut Nix nicht die Abschaffung der klassischen Intendanz, denn: "(...) es stinkt eben auch von der Hinterbühne her." Grenzüberschreitungen gebe es an verschiedenen Stellen des Theaterbetriebes. Der Autor untermauert seine Position mit längeren Beispielen aus seiner eigenen Arbeitsbiographie als Theaterleiter. Die Intendanz müsse in solchen Fällen einschreiten und Konsequenz zeigen, denn: "Es gibt zum einen den inszenatorischen Prozess, der in erster Line vom Geheimnis lebt, und es gibt die Organisation des Theaterbetriebes, der transparent und demokratisch, strukturiert und machtbegrenzt sein muss."
Um Licht in das Dunkle zu werfen, dass missbräuchliche Strukturen begünstigt, braucht es laut Nix eine supervisorische Figur, die künstlerische Instanz ist, deren Macht aber durch demokratische Elemente und Kontrollinstanzen innerhalb der Häuser begrenzt und überwacht wird. "Reife" Persönlichkeiten an der Spitze setze dieses voraus. Gleichzeitig habe es in der Theatergeschichte schon Beispiele gegeben, von denen man lernen könne, führt Nix an und verweist auf "das Frankfurter Modell der Mitbestimmung am Schauspiel (1972 bis 1980), das der Kulturdezernent Hilmar Hoffmann mit Peter Palitzsch im März 1972 einführte". Modelle wie diese bieten seiner Ansicht nach Anschauungsmaterial für die Gegenwart.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung / sdre)

 

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