"Als Männer noch Männer waren..."

von Steffen Becker

Karlsruhe / online, 09. Mai 2021. Ob Sibylle Berg das als Kompliment sieht? Im Nachgespräch zur digitalen Aufführung ihres Werks "In den Gärten oder Lysistrata 2" berichtet Schauspieler Jannek Petri, dass seine Beschäftigung mit ihrem Text über Geschlechterrollen ihn nun permanent seine Beziehung hinterfragen lasse. Es riecht nach "das nimmt kein gutes Ende". Schauspielerin Lucie Emons lobt in der gleichen Runde den bösen Witz des Werks und wie sie gleichzeitig die Leere und Einsamkeit angefallen habe, die dieser Witz offenlege. Spoiler: Sie hat Recht.

In den Gaerten Lysistrata1 560 Felix Gruenschloss uLuie Emons als Lysistrata im lasziven Rolling Stonesquen Erdbeermund © Felix GruenschlossAls Zuschauer*in egal welchen Geschlechts und sexueller Orientierung wird man sich nach dem Genuss der Karlsruher Inszenierung von Bergs Lysistrata–Überschreibung erschöpft und unwohl fühlen. Sibylle Berg gefällt das! Das darf man annehmen, entwirft ihr Text schließlich die Vorstellung eines Sturzes des Patriarchats, der für alle Seiten in Unbefriedigung endet.

Patriarchat im Museum

Die Bühne von Dominique Wiesbauer findet dafür ein einfaches wie subtiles Bild. Im Mittelpunkt steht ein Mund mit Riesenzunge (erinnert an ein bekanntes Rolling-Stones-Motiv). Doch die Farben sind matt, die Konstruktion wirkt wie im Verfall – und die Schauspieler rutschen über die Zunge wie man Spielgeräte eines aufgegebenen Freizeitparks benutzt. Das Sexsymbol Erdbeermund, vor dem "Lysistrata 2" stattfindet, ist eindeutig ein Relikt. Auf der Leinwand in seinem Gaumen spricht per Video ein frisch geschminkter Mund über vergangene Zeiten – als Männer noch Männer und Frauen noch Frauen waren.

In Bergs Stück sind Männer am Aussterben. Die schöne, neue Welt aus "body-unkonformen Personen" die sich in umweltfreundlichen Verkehrsmitteln bewegen, hat ihnen ein Museum gewidmet – dessen Abteilungen das Stück gliedern. Vom Vorspiel- über den Liebes- und Kindergarten geht es bis zum Friedgarten, in dem die letzten Männer ihrem Ende entgegendämmern. Vor dem Hintergrund des Erdbeermundes führen – in wechselnden Modeverballhornungen – eine Lysistrata und drei Männer namens Bernd die Geschlechterdramen der Vergangenheit auf (bzw. der Gegenwart der Zuschauer*innen): Tindern, schlechter Sex – aber gut gestöhnt von Lucie Emons und André Wagner – ungleiche Löhne und Macht. Kurz: es geht um all den modernen Gender-Stress.

Ungebrochene Dominanz

Die Regie (passend: Frau-Mann-Doppelspitze mit Nele Lindemann und Fabian Groß) geht einem dabei witzig und temporeich an die Nerven – etwa mit einem unverständlichen Mensplaining-Malstrom oder einem Video, das den feministischen Diskurs so in den Schnelldurchlauf zwängt, dass nur noch Stichwörter (Patriarchat, toxische Männlichkeit) zu verstehen sind. Die männliche Perspektive kurzgefasst: "Überall bewegten sich auf einmal Menschen, die uns nicht ähnelten. Mit ihren Stimmen und Körpern und Forderungen, den Klagen und dem kompletten Unverständnis für unseren Humor.“ Die weibliche dagegen: Femizide oder "Wie soll man sich auf Augenhöhe begegnen, wenn Männer, außer Mails mit Vergewaltigungswünschen zu senden, keine Form des Gesprächs mit uns suchen?“ Die Regie beweist dabei Gespür für die Realität der Gegenwart.

In den Gaerten Lysistrata2 560 Felix Gruenschloss uLysistrata "wahlweise umkreist, umworben oder links liegen gelassen" © Felix Gruenschloss

Es ist ein Spiegel der ungebrochenen Dominanz von Männern, dass Lindemann und Groß ihren Bernd auf gleich drei Körper und Typen verteilen. André Wagner gibt den von der Emanzipation persönlich beleidigten grauen Business-Mann. Leander Senghas verstört mit Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien. Jannek Petri verkörpert die Erschütterung des Phlegmatikers, dass Bier, Brüste und Barbecue nicht mehr alles im Männerleben sein dürfen sollen.

135 Jahre

Lucie Emons als Lysistrata, die von dieser Runde wahlweise umkreist, umworben oder links liegen gelassen wird, hat es dagegen anfangs schwer. Sie bleibt auf der Bühne zu oft beschränkt auf die Klischeedarstellung des naiven Mädchens. Sie blüht auf vor der Kamera. Videokünstlerin Julia Patey vervielfältigt sie zu einer ohne Männer beeindruckend passiv-aggressiven Frauenrunde, morpht sie zu Prismen und lässt sie zu Schleim zerfließen (aus Anlass einer Wassergeburt). Das fokussierte Spiel vor der Kamera kommt der Inszenierung und Emons entgegen. In diesen Szenen erinnert ihr Typus an eine Caroline Kebekus in Hochform.
Dennoch wirkt "In den Gärten oder Lysistrata 2" zum Ende hin aus der Zeit gefallen. Schon vor Corona hatte es etwas verzweifelt Bemühtes – die Utopie von Männern, die den Ansprüchen und der Power von Frauen einen Sexstreik entgegensetzen, den Frauen nicht mal bemerken und sich dann in ihr Schicksal fügen. Nachdem die Pandemie klassische Rollenverteilungen im Nu reaktiviert hat und der Gender Gap Report die Gleichstellung von Frau und Mann erst in 135 Jahren sieht (statt zuvor in 99), wirkt selbst der bittere Witz einer Sibylle Berg überholt. Sie muss damit leben, dass die Realität noch schlechtere Laune bereitet als ihr Versuch,  schlechte Laune zu verbreiten. Auf ihrer Haben-Seite verbleibt womöglich nur, dass der "Lysistrata"-Text die Beziehung von Schauspieler Jannek Petri ruiniert. Aber das ist ja auch nicht Nichts. Im Chat des Nachgesprächs freuen sich die Zuschauer*innen jedenfalls auf die im Herbst geplante Live-Inszenierung.

In den Gärten Oder Lysistrata 2
von Sibylle Berg
Regie: Nele Lindemann, Fabian Groß
Bühne: Dominique Wiesbauer
Video: Julia Patey
Dramaturgie: Anna Haas
Mit: Lucie Emons, Jannek Petri, Leander Senghas, André Wagner.
Online-Premiere am 9. Mai 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.karlsruhe.de

 

Kritikenrundschau

"Nele Lindemann und Fabian Gross beweisen, dass eine Inszenierung auch ohne allmächtigen Chef- Ansager nicht Gefahr laufen muss, sich zu verzetteln", schreibt Andreas Jüttner in den Badischen Neuesten Nachrichten (11.5.2021). "Diese Aufführung kommt auf den Punkt. Das ist insofern wörtlich gemeint, als der Text etliche Pointen anbietet", das "überzeugende Ensemble" schlage daraus "dank hoch präziser Albernheit komische Funken, die sogar über die unpersönliche Vermittlung des Videostreams zünden", so Jüttner. "Letzteres ist wohl auch der gelungenen Schnitt-Dramaturgie von Julia Patey zu verdanken, die den Aufführungs-Mitschnitt zu einem veritablen Theaterfilm gemacht hat."

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