Teile (Hartes Brot) - Residenztheater München
Blendung und Erhellung
von Anna Landefeld
München, 15. Mai 2021. Es werde Licht! Und es ward Licht. – Da steht er oben, der, den alle nur den Lord nennen, auf der Empore mit noch höher emporgereckten Armen. Da sitzt man unten im pandemisch-ausgedünnten Zuschauerraum, blickt hinauf zu ihm. Man bestaunt: seinen schwer-goldbrokatenen, bodenlangen Mantel, seine Haut, die ein ganzkörperiger Anzug überzieht, piktogrammige Ornamentalik ziert ihn, seine Stimme, mehrfach verzerrt und flirrend wie die Videoprojektion, die sich über ihn und das Mauerwerk des Münchner Marstalls, der nun zum Tempel geworden ist, legt. Und dann predigt er uns auch noch einen Hymnus auf die Schönheit des Lichts und der kapitalistischen Ausbeutung. Wahrlich, was für ein erhellender Beginn.
Claudel bis aufs Gerippe
Für ein paar Minuten lässt man sich gerne blenden nach mehr als sechsmonatiger Theaterdunkelheit. Im Wortsinne erhellend ist dieser zweite Eröffnungsabend des Münchner Residenztheaters – zumindest ist es die Inszenierung von Hausregisseurin Julia Hölscher, die zwar ausschließlich mit Effekten hascht, sich aber so wenigstens ein bisschen auf die Seite des Publikums schlägt.
Autorin Anja Hillling tut es mit ihrem Auftragswerk "Teile (Hartes Brot)" nämlich nicht. Eine verkopfte Dramen-Spielerei ist ihre Überschreibung von Paul Claudels Teil "Das harte Brot". In der Theorie funktioniert das sogar hervorragend. Befreit hat sie den Mittelteil seiner Trilogie, an der er von 1908 bis 1916 schrieb, von allem was auch nur irgendwie historisch vergilbt sein könnte. So ist der ursprüngliche Claudel mehr als très français, ganz Fin de Siècle, sehr katholisch unterwegs mit Handlung und Figuren, die heute wahrscheinlich nur noch den wenigsten etwas mitteilen.
Weg also mit dem sich industrialisierenden Frankreich der 1840er-Jahre, Bürgerkönig, Papst, Adel und Opfertod. Hilling häutet Claudel bis aufs Gerippe, aber ohne ihn bloßzustellen. Inhaltlich zurück bleibt das Minimalste: Kapitalismus als Religion, inmitten der von Gott verlassene, der verlorene Mensch.
So weit, so Effekt.
Wobei, Allzumenschliches hat Hilling ihren vier Protagonist:innen nicht gelassen. Da ist der Lord, Turbokapitalist, Besitzer einer Fabrik, die Glühbirnen hergestellt und der sich einen Dreck darum schert, zu welchen Bedingungen das Metall für den Draht in den afrikanischen Minen abgebaut wird. Wie der Vater, so der ihm verhasste Sohn. Louis, das Bürschlein in Lederkorsage beutet direkt vor Ort der Minen aus. Für einen Pflichterbteil wird er seinen Vater in den Tod treiben. Den beiden männlichen, geldgläubigen Nihilisten stehen zwei weibliche Utopistinnen gegenüber, die sich verbünden werden. Sichel, die kleopatrische Geliebte des Lords, die später den Fabrik-Tempel übernimmt, und Lumir, Geliebte Louis‘ im schwarzen Kampfanzug und verschmiertem Rotmund. Sie glauben, kurz gesagt, an eine neue Welt. Aber weiter als bis zur Floskel kommt man nicht.
Julia Hölscher rettet, wo sie retten kann. Da kündet die Bühne von einer nicht allzu entfernten Zukunft mit ihren Plexiglasplattformen, mit ihren Metallstreben, mit ihrer überlangen, kaltweißleuchtenden Neonröhre, die mittig von Decke baumelt wie ein übergroßer Phallus. Da rekeln und winden sich Nicola Kirsch und Mareike Beykirch in beinschlitzigen Metallickleidern auf Keilabsätzen lasziv umher. Da bekriegen sich Nicola Mastroberardino und Beykirch mit Riesentaschenlampen, geißelt sich Valentino Dalle Mura doch tatsächlich den Rücken blutig. Und Mastroberardino nimmt eine Plastik-Tierhälfte aus. So weit, so Effekt. Doch was nützt das alles, wenn es nichts Sinnstiftendes beiträgt.
Die Wut der Konzepte
Wenn nicht vier sehr wütende Schauspieler:innen, sondern vier sehr wütende Ideenkonzepte auf der Bühne stehen, irgendwie eingebettet in diese Vatermords-Rache-Geschichte. Sie fliehen in die Über-Emotion, wo sie oft nichts zu suchen hätte und brüllen sich ihre Theoreme gegenseitig zu. So verirren sie sich in den kryptischen Monologen, suchen krampfhaft einen Sinn in Anja Hillings verkünstelter, verklausulierter und versakralter Sprache. So sorgfältig Anja Hilling damit dem Poeten und Dramatiker Paul Claudel hommagiert, dem Theaterabend tut sie keinen Gefallen. Am Ende gibt es keine Erleuchtung, bleibt nur das Gefühl, von Beginn an geblendet worden zu sein.
Teile (Hartes Brot)
von Anja Hilling nach "Das harte Brot" von Paul Claudel
Uraufführung
Inszenierung: Julia Hölscher, Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Janina Brinkmann, Musik: Friederike Bernhardt, Licht: Markus Schadel, Dramaturgie: Stefanie Hackl.
Mit: Mareike Beykirch, Nicola Kirch, Nicola Mastroberardino, Valentino Dalle Mura.
Premiere am 15. Mai 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.residenztheater.de
"Anja Hilling gilt als Expertin, wenn es um das Transponieren von Claudel in unsere Gegenwart geht", schreibt in der Abendzeitung München (17.5.2021). Auf der großbürgerlichen Plüsch der Epoche verzichte sie, "aber nicht auf den rohstoffgierigen Kolonialismus der Europäer". Der Neokolonialismus bleibe aber in der Inszenierung von Julia Hölscher ein "Hintergrundrauschen für das Sittengemälde einer ethisch verwahrlosten Gesellschaft von Superreichen". Die Regisseurin verzichte auf jeden Exzess, Sex scheine in dem Hause jedoch ein wichtiges Machtinstrument zu sein. "Aber das muss man sich ein wenig zurecht denken, denn das 'harte Brot' bleibt auch nach dem Aufbacken ein trockenes Thesenstück."
Anja Hillings "Teile (hartes Brot)" "ist ein in jeder Hinsicht hartes Endspiel, das Hausregisseurin Julia Hölscher auch ebenso inszeniert: als Dystopie ohne Sympathiegewinner", schreibt Teresa Grenzmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.5.2021). "Inmitten der spärlich bestuhlten, ebenerdigen Unmittelbarkeit der hohen, rohen, von verpixelnden Ornamenten überstrahlten Backsteinwände erlebt das Publikum gefühlskalte anderthalb Stunden voller enttäuschender Posen, sprachlich wie körperlich."
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