Kolumne Queer Royal – Georg Kasch klickt sich durch die Mediatheken von ARD und ZDF
All you need? All you get!
von Georg Kasch
18. Mai 2021. Es gibt eine Szene in der kleinen, wunderbaren Serie MaPa, die viel sagt übers deutsche Fernsehen jenseits von 3sat und Arte. Metin, die Hauptfigur, arbeitet im Writersroom einer Soap-Produktion. Vor einigen Wochen ist seine Freundin Emma gestorben, völlig unerwartet – Hirnaneurysma. Seitdem schlägt er sich alleine rum mit seiner Trauer, seiner Wut, seiner Liebe und seiner sechs Monate alten Tochter Lene. Wir haben ihn scheitern sehen zwischen Brei, Handy und Müdigkeit, haben erlebt, wie er sich an der übergriffigen Hilfsbereitschaft seiner Mutter und der hilflosen seiner Freunde abarbeitet. Das alles hinreißend realistisch, mit Dialogen wie in diesem Moment erdacht.
Jetzt, in Folge 5, versucht er, wieder in den Beruf einzusteigen. Und muss feststellen, dass die Kolleg:innen seine Situation als Seifenopernplott ausgeschlachtet haben. In der Mittagspause schauen sie gemeinsam das Ergebnis: Da windet sich ein greinender Schauspieler pathetisch um eine hässliche Urne auf dem Couchtisch, während im Hintergrund das Baby brüllt. Es ist unerträglich! Im Gesicht des großartigen Schauspielers Max Mauff spiegeln sich Irritation und Unglauben: Ist das euer Ernst?
Knuddelige Schwule, toughe Lesben
Das deutschsprachige TV-Film- und Serienwesen ist in weiten Teilen ein Trauerspiel (Ausnahmen bestätigen die Regel – bitte unten in die Kommentare). Ich hatte es lange links liegen gelassen, keine Zeit. Zu den Erkenntnissen der Corona-Lockdowns (und der Antwort auf die Frage, warum Netflix, Amazon Prime und Co so erfolgreich sind) gehört, dass es in all den Jahren, in denen ich kaum etwas gesehen habe, nicht besser geworden ist. Gilt leider auch für queere Inhalte. Gut, LGBTQ-Menschen sind nicht mehr per se bedauernswerte Opfer oder gestörte Psychopathen beim "Tatort", ist ja schon was. Dafür sind Schwule knuddelig, Lesben tough, Trans-Menschen unsichtbar oder ein Problem. Und Bisexuelle? Sorgen auf allen Seiten für Liebeskummer.
Weihnachten etwa gab es eine schlimme Folge der als Comedy gelabelten ZDF-Serie Liebe. Jetzt! mit Daniel Zillmann und David Brizzi. Ein schwules Paar, das beinahe daran zerbricht, dass der eine reserviert auf den Heiratsantrag des anderen reagiert. Alles ist hier gelogen: Jede Liebesgeste, jeder Verzweiflungsausbruch zwischen den (an sich tollen) Spielern. Der ganze Konflikt stinkt zum Himmel, ebenso seine Zuckergusslösung. Auch nicht besser: Das reizende schwule Sidekick-Paar (Jochen Schropp und Lucas Reiber) in der ZDF-Herzkino-Ausgabe Schneewittchen am See, das ebenso sonnenverstrahlt in die Märchenkulisse blinzelt wie der Rest des Casts.
War ja nur aus Liebe...
Wer denkt sich solchen Mist aus? Fast hat man den Eindruck, in den Redaktionen der Fernseh-Anstalten sitzen Menschen, die sich ganz fest vorgenommen haben, das Programm jetzt auch mal ein bisschen diverser zu machen. Aber bitte, bitte so, dass Oma Erna und Opa Heinz nicht vom Sessel fallen, wenn sich Emma und Mia küssen. Im #actout-Manifest vom Februar heißt es: "Es gibt weitaus mehr Geschichten und Perspektiven als nur die des heterosexuellen weißen Mittelstands, die angeschaut und gefeiert werden. Diversität ist in Deutschland längst gesellschaftlich gelebte Realität. Dieser Fakt spiegelt sich aber noch zu wenig in unseren kulturellen Narrativen wider. Unsere Gesellschaft ist längst bereit. Die Zuschauer*innen sind bereit." Nur die Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen nicht, wie's scheint.
Dabei bemühen sie sich: Gerade gibt's die erste "queere Serie" (O-Ton ARD) im Öffentlich-Rechtlichen. "Schwule Serie" wäre für All you need treffender. Traut sich nur keiner zu sagen. Fast alle Hauptrollen sind schwul, dazu gibt's eine beste Freundin, die hin und wieder zum Prosecco auftaucht. Really? 2021? Auch die Konflikte stammen aus der Mottenkiste deutscher Abendunterhaltung: Vince (na klar: knuffig, aber Benito Bause vom Resi München spielt das wenigstens mit Würde) verknallt sich in Robbie, der – so stellt es sich heraus – seinem Ex wegen eines Seitensprungs die Nase einschlug und deshalb Müll sammeln muss. Blöd nur, dass man beim immer so lieb guckenden Frédéric Bossier schnell den Eindruck bekommt: War ja nur aus Liebe! (Nein, häusliche Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen.)
Checkliste der politischen Bildung
Überhaupt, die Treue – als ob das echt ein drängendes Thema wäre in der queeren Community. Macht eher den Eindruck, als wolle Autorregisseur Benjamin Gutsche unbedingt suggerieren: Keine Angst, wir Homos sind auch nicht anders als ihr Heteros. Vielleicht ist ihm aber auch nichts anderes eingefallen, was man in einer Dramedy-Serie erzählen könnte. Jedenfalls spielt Treue auch zwischen Robbies Ex-Mitbewohner Levo und dessem verklemmten Spießerfreund Tom im Villenviertel eine große Rolle. Was in Hysterie und Zoff mündet pünktlich zum großen Staffelfinale.
All you need? Eher: All you get – und zwar in unzähligen anderen harmlosen Serien in den ARD/ZDF-Mediatheken. Jeder Satz hier wirkt wahlweise wie eine Papierleiche oder ein Comedy-Gag, jede Situation wie ein Häkchen in der Checkliste der politischen Bildung, jeder Charakter wie ein Klischee. Dagegen erscheint selbst das Stadttheater heute wie ein Ort der seligen Queerness (Gegenbeispiele bitte in den Kommentaren). Beim Surfen durch die Mediatheken dachte ich: Höchste Zeit, dass die Bühnen wieder öffnen!
Get over it!
Einer der wenigen Lichtblicke dort war MaPa. So unaufdringlich, wie sie generell erzählte, legte die Serie übrigens auch queere Spuren. Einmal versucht Metins bester Freund Tom (Bastian Reiber von der Schaubühne) Metin dazu zu überreden, Emmas hinterlassenes Handy zu durchsuchen – nach Spuren eines Doppellebens zum Beispiel. Anders als sonst platzt hier keine Bombe. Metin findet nichts, was er nicht schon wüsste. Emmas beste Freundin Matha (Maryam Zaree) ist von seiner Suche irritiert, weil sie es übergriffig auch allen anderen Menschen gegenüber findet, die von dieser Suchaktion betroffen sind. Emma und Matha hatten mal was miteinander, Metin weiß das. Und wir wissen, dass Metin bei der Weihnachtsfeier beinahe mit der Kollegin abgestürzt wäre. Beides ist kein Drama. Imperfekte Beziehungen, Begehren jenseits von Zweierbeziehungen gehören zum Leben. Get over it!
Dass das deutschsprachige Serienwesen ein Trauerspiel ist, zeigt sich auch daran, dass "MaPa" nach nur wenigen Wochen schon wieder aus der ARD-Mediathek verschwunden ist – und dass der Koproduktionspartner Joyn die Serie nicht verlängern will. Über mangelnde Einschaltquoten wurde schon in Metins Writersroom gewitzelt. Keine Pointe.
Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt
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Ich sehe außerordentlich selten TV-Sendungen oder Serien.
Aber warum ist das so, wie es beschrieben wird?
Belauschtes Zuschauergespräch in einer Theaterpause bei einer guten Aufführung in einem "Provinztheater":
"Das ist ja eine Komödie. Das muß man ja mitdenken. Das müssen wir uns nicht antun - " und gingen.
Die Fernsehkanäle können sich nicht leisten, daß die Zuschauer gehen also abschalten. Es muß sich "rechnen"!
Und möglicherweise ist indessen das Freisein von jedem Gedanken das höchste Ziel des heutzutage obwaltenden Freiheitsbegriffs.
Und - ohne jemanden beleidigen zu wollen - ich bin sehr unsicher, ob eine Schauspielerin oder ein Schauspieler, die an minderwertigen Aufführungen
mitwirken, als "gut" bezeichnet werden können. Ich weiß wohl, daß es schwer ist, wenn man in solcher Weise verwickelt ist, das zu erwartende
Ergebnis zu beurteilen -
und es gibt auch noch andere Gründe, eine Sache zu tun oder zu lassen.
Aber: Was ist zu tun, damit sich das gute Niveau der Schauspielkunst in Deutschland mehr und öfter (um nicht zu sagen: ständig) in entsprechenden
Aufführungen, womit besonders TV-Ausstrahlungen gemeint sind, ausdrücken kann? Das ist sicher nicht nur eine Frage des guten Willens...
Mit freundlichen Grüßen
an Herrn Kasch
und an weitere Diskutanten
Peter Ibrik
Berlin-Pankow