Eine schrecklich deutsche Familie

von Cornelia Fiedler

Osnabrück, 22. Mai 2021. Schwiegereltern! Der Erstkontakt mit dieser Spezies ist ein Lieblingsmotiv für romantische Komödien. Sie entpuppen sich wahlweise als kiffende Hippies, als spießig bis zum Abwinken oder als Rassist*innen und Religionskrieger*innen von nebenan – die dann aber durch komische Verwicklungen und durch die knuffige Kraft der Liebe bekehrt werden können. Oder auch nicht. Dann allerdings steht dringend ein Genrewechsel an: in den Horror zum Beispiel. Diesen Weg wählt Rebekka Kricheldorf in ihrem neuen Stück "Das Waldhaus", uraufgeführt als klaustrophober Theaterfilm von Dominique Schnizer am Theater Osnabrück.

Zwischen dem kurzen Verdacht auf Familienkomödie, circa fünf Minuten zu Beginn, und dem blanken Horror, circa 20 Minuten am Ende, platziert Kricheldorf etwas überraschend ein ausgedehntes Polit-Konversationsstück. Die Besetzung: Gerhard und Lorna, langhaarige Öko-Eltern in weißen Sackleinen-Gewändern, ein verhuschter Sohn ohne Profil namens Marek – und Nadine, die kirchlich engagierte Schwiegertochter in spe. Das Setting: ein spärlich beleuchtetes Aussteiger*innen-Haus plus stilisierter Wald auf einer Drehbühne. Waldhaus1 600 MariaKoltschinIm düsteren Aussteiger*innen-Haus: Mick Riesbeck, Katharina Kessler, Ronald Funke, Cornelia Kempers, Philippe Thelen © Maria Koltschin

Bereits auf den ersten Kamerablick offenbart sich Dubioses: Ritterkram, Esoterik, Jagd-Trophäen, irritierende FKK-Fotos in Schwarz-Weiß und viel braunes Holz. Wenig überraschend sind die Schwiegereltern mehr als seltsam, Gerhard (Ronald Funke) wirft bildungshuberisch mit Zitaten in Latein und Mittelhochdeutsch um sich. Beide schwärmen von biodynamischer Landwirtschaft fernab vom "Moloch" Großstadt. Cornelia Kempers Lorna übt sich mit zunehmendem Alkoholkonsum in misogynen Äußerungen über gebärfähige versus alternde Frauenkörper.

Ein fieses Gebräu

Schnell wird klar, dass die beiden in einem selbst errichteten Kosmos aus ehemals linkem, nun auf Rechts gedrehtem Antikapitalismus leben – Pate könnten hier Figuren wie Jürgen Elsässer oder Horst Mahler gestanden haben. Vor allem die Verbindungslinien zwischen Esoterik, Anthroposophie und rechtem Denken zeigt Kricheldorf eingängig auf. Allerdings sind dafür lange, oft hölzerne Streitgespräche zwischen den beiden und Nadine nötig. Darin vermischt sich rechte Propaganda aus verschiedenen Ecken zu einem fiesen brauen Gebräu: vom "Querdenken"-Hass auf Medien, Wissenschaft und Politik über den Verschwörungsmythos vom "großen Austausch" bis hin zum Konzept des "Ethnopluralismus", der rechts-intellektuellen Formulierung für rassistische und antisemitische Reinheitsphantasien.

Waldhaus5 600 MariaKoltschinAm Rande der Verzweiflung: Katharina Kessler als Nadine © Maria Koltschin

Dazwischen gibt es Abendessen, gehen die Figuren mehrmals ins Bett, treffen aber doch wieder zu nächtlichen Diskussionen zusammen, taucht ein totgeschwiegener Bruder mit nicht näher benannter Behinderung auf und entwickelt Nadine erste Fluchtreflexe. Zurecht. Zu später Stunde wird von ihr verlangt, in einen "Neutempler"-Ritterorden einzutreten, dem, oh Schreck, neben den irren Schwiegereltern auch Marek und Nadines beste Freundin angehören. Es handelt sich um ein fiktives, weit verzweigtes geheimes Nazi-Netzwerk, inspiriert von dem realen rechten Hochstapler Lanz von Liebenfels. Dieses erinnert einerseits an existierende rechte Strukturen in Deutschland: Wehrsport- und Preppergruppen, NSU, rechte Netzwerke in Polizei und Verfassungsschutz, sowie an völkische Siedlungsbewegungen wie Anastasia.

Das Grauen der Anderen

Andererseits baut Kricheldorf den "Orden" zu einer Lebensborn-Phantasie aus, für die Nadine aufgrund ihrer "reinen" Gene von einem "Erzprior" vergewaltigt werden soll. Nun ziehen Dominique Brunner und sein Kamerateam alle Register der Edgar-Wallace-Effekte: flackerndes Licht, Nadines geknebeltes Gesicht in heller Panik, grauenhafte Choräle-singende Kapuzenmenschen, eine verzweifelte Verfolgungsjagd, blutige Notwehr und ein düster-offenes Ende. "Das Waldhaus" stellt sich in die Tradition von Horror-Erzählungen, die jenes Grauen in den Blick nehmen, das einer Gesellschaft bereits innewohnt. So wird Frauenverachtung eingeordnet als Teil eines gut verwurzelten, rechten, menschenfeindlichen Weltbilds. Allerdings wirkt der gesamte Verschwörungs-Plot mit seinen langen Erklärpassagen sehr konstruiert. Auch der Filmrealismus schafft hier mehr Distanz als Nähe. So packt das Grauen eine*n nicht wirklich, es bleibt eines der Anderen.

 

Das Waldhaus
von Rebekka Kricheldorf
Uraufführung
Regie: Dominique Schnizer, Dramaturgie: Jens Peters, Bühne und Kostüme: Christin Treunert, Musik: Ernst Bechert, Tondesign: Jan van Triest, Licht: Sina Hammann, Kamera Nicolai Alexander Michalek, Viktor Windus, Schnitt: Celina Rabanus
Mit: Katharina Kessler, Philippe Thelen, Magdalena Kosch, Ronald Funke, Cornelia Kempers, Mick Riesbeck
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten

www.theater-osnabrueck.de

 

In unserer Video-Interview-Reihe Neue Dramatik in zwölf Positionen spricht Rebekka Kricheldorf über ihre Poetik und über Komik als Widerstand 

 

Kritikenrundschau

Überzeugend gespielt findet Hanns Butterhof von den Westfälischen Nachrichten (25.5.2021) diesen Theaterfilm, dessen Steigerungskurve von "sympathisch skurril über menschenfeindlich bis hin zu gefährlich fesselnd" ihn ebenfalls überzeugt. Allerdings werde auch viel von der politischen Botschaft des Stücks von der Inszenierung auf dem "Altar der Unterhaltsamkeit" geopfert.

Von einer "blitzgescheiten wie raffiniert erzählten Melange aus Öko-Esoterik, Kapitalismus-Kritik, aktuellem Verschwörungsgeschwurbel und völkischem Rassenwahn", spricht Christine Adam in der Osnabrücker Zeitung (22.5.2021). Auch die filmischen, musikalischen uns aschauspielerischen Mittel, mit denen die Inszenierung "das Netz des Psychothrillers" weben, überzeugen die Kritikerin.

Bei Christiane Lutz von der Süddeutschen Zeitung (24.5.2021) will der Grusel nicht ganz zünden. Zu aufdringlich schwelt für ihren Geschmack die Musik, zu aufdringlich hängt das Kruzifix in der Ecke. "Die Übersetzung der Horrormeinungen in Horrorhandlungen" wirkt auf die Kritikerin zu gewollt, "eher unfreiwillig komisch". 

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