Soghafter Sprechflow

28. Mai 2021. Für seinen Stückentwurf "Coma" erhält der in Amsterdam lebende Autor, Hörspielmacher und Dramaturg Mazlum Nergiz das Hans-Gratzer-Stipendium 2021. Das teilte das Schauspielhaus Wien mit, das die Auszeichnung seit 2007 gemeinsam mit Literar mechana vergibt. Der Text wird im Laufe der kommenden Spielzeit am Schauspielhaus Wien uraufgeführt.

Dramatische Grenzauflösung

"Mazlum Nergiz schreibt offen und unprätentiös und entwaffnend direkt über Sexualität und Gewalt. Die sprachliche Dichte und Melodik erzeugen einen Lese- beziehungsweise Sprechflow, der einen großen Sog entwickelt", heißt es in der Jurybegründung. In "Coma" umkreise ein namenloser Erzähler in Erinnerungen, Märchen und Reflexionen sein Verhältnis zu sich und seiner queeren Sexualität, so die Pressemitteilung. In den Blick nehme Nergiz Zusammenhänge von Intimität und Gewalt und die Praxis des Cruisings, "die Suche nach gelegentlichem Sex, zwischen Sichtbarkeit und Verborgenheit". Der Text sei "abstoßend und gleichzeitig erregend, es geht um Grenzauflösung und gleichzeitig um Grenzüberschreitungen, mitunter erzwungene", so die Jury. Dabei gebe "Coma" keine einfachen, eindimensionalen Antworten, sondern es bleibe immer den Leser*innen überlassen, aus der eigenen Perspektive die Situation zu interpretieren.

Ausgewählt wurde der Preisträger von den Jurymitgliedern Edith Draxl, Leiterin DRAMA FORUM von uniT Graz, Lucie Ortmann, Leitende Dramaturgin Schauspielhaus Wien, und Tomas Schweigen, Künstlerischer Leiter Schauspielhaus Wien. Mit beratender Stimme dabei war Necati Öziri, Autor, Dramaturg und Mentor des Hans-Gratzer-Stipendiums. Dotiert ist das Stipendium mit einem Werkauftrag in Höhe von 7.000 Euro.

Alles in Ordnung in Milano

Erstmals wurde in Kooperation mit dem Radiosender Ö1 beim Hans-Gratzer-Stipendium auch ein Publikumspreis vergeben. Im Online-Voting gingen 1944 Stimmen ein. Die Hörer:innen wählten von den fünf zehnminütigen Hörstücken, die in Zusammenarbeit mit dem Max Reinhardt Seminar entstanden, mit 37,8 Prozent der Stimmen Annalisa Cantini zur Gewinnerin. In "A Milano tutto apposto / In Mailand alles in Ordnung" schreibt sie über die Aushöhlung demokratischer Strukturen in Italien. Die Regie des Gewinnerstücks führte Bianca Thomas.

Gestiftet vom österreichischen VG-Wort-Pendant Literar-Mechana, ist das Autor*innenstipendium nach dem österreichischen Schauspieler und Regisseur Hans Gratzer (1941-2005) benannt. 1978 gründete er das Wiener Schauspielhaus als Ur- und Erstaufführungsbühne und leitete es von 1978 bis 1986 sowie von 1991 bis 2001.

Preisträger*innen der Vorjahre waren u.a. Enis Maci, Miroslava Svolikova und Wilke Weermann.

(Schauspielhaus Wien / eph)

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Kommentare  
Hans-Gratzer-Stipendium: neugierig
Schade, dass der Text von Antigone Akgüuen untergegangen ist. Für mich die beste Hörspielfassung mit einem Thema, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Wäre sehr neugierig das ganze Stück mal zu lesen oder zu sehen.
Hans-Gratzer-Stipendium: mehr davon
@Miri Stimme Ihnen zu, hoffentlich kommen mehr Stimmen über nicht normative Körper zum Sprechen
Hans-Gratzer-Stipendium: Künstlerinnen
Wieder mal ein Mann! Dabei hätte, mit Verlaub, der großartige Text der hochbegabten Akgün gewinnen müssen! Aber wir sind noch nicht soweit die Wichtigkeit von nichtnormativen Künstlerinnen wert zu schätzen, die ein so persönliches Thema preisgeben! Hut ab vor dieser großartigen Autorin!
Hans-Gratzer-Stipendium: Antigone Akgün
Stimme allen VorrednerInnen zu. Der Text von Antigone Akgün war auffallend vielversprechend! Irritierend, dass sie nicht gewonnen hat. Schade. Aber da die Autorin wirklich etwas zu sagen hat, wird man hoffentlich an anderer Stelle von ihr lesen! Ich bin sehr gespannt.
Hans-Gratzer-Stipendium: vor die Hunde
Uiuiui ... Was steckt wohl hinten den letzten teilweise unfairen, normativen (seltsame Normen schreibenden), taktischen und Unterstellungen verbreitenden Kommentaren??

Ich habe keinen der Texte gelesen, finde aber diese Art Kommentieren sehr befremdlich.

Liebste Nachtkritik: Schafft das Kommentieren ab, oder verlangt bitte Aufrichtigkeit. Und handelt öfter. Die Debattenkultur geht vor die Hunde!
Hans-Gratzer-Stipendium: Glückwunsch!
Ich freue mich sehr über die Wahl von Mazlum Nergiz - sein Stück klingt sehr spannend, im Übrigen auch wenig normativ, wenn queere Sexualität thematisiert wird. Komisch, dass man nach kurzen Hörstücken zu wissen glaubt, welches Stück gewinnen muss. Und einen Publikumspreis gab es zudem auch noch.
Hans-Gratzer-Stipendium: lediglich
Ich habe nicht behauptet zu wissen wer gewinnen muss sondern hoffe lediglich dass ein so thematisch seltsamer/neuartiger Text wie von Agkün nicht komplett in Vergessenheit kommt. Hoffentlich werden diese Texte auch die der anderen Stipendiaten auf anderem Wege aufgefangen.

Natürlich freue ich mich auf die Uraufführung von Mazlum Nergiz!!!
Hans-Gratzer-Stipendium: gut + richtig
(...) Nehmen wir es an wie es ist: Mazlum Nergis hat starkes Potential und ein besonderes Thema. Es ist gut und richtig entschieden worden. Punkt aus.
Hans-Gratzer-Stipendium: mehr Loben!
Ach, ihr Lieben, was ist das denn jetzt für eine "Diskussion" wenn man schon für's Loben abgelatscht wird! Es tut gut, wenn man ein lobendes Wort hört/liest, auch wenn man nicht gewonnen hat. Im Übrigen habe ich in alle Stücke reingehört, bzw. sie ganz gehört. Ich fand den Text von A. Akgün einfach am Besten, das setzt doch die anderen Texte mitnichten herab. Lasst uns bitte weiterhin die Loben, die wir gut finden! Solange dies niemanden aktiv herabsetzt kann man doch jungen KünstlerInnen nicht genug Zuspruch geben, finde ich. Den Siegertext finde ich auch sehr gut. Aber der hat schon Anerkennung erhalten durch das Stipendium. Und ich Gene ihnen recht, Luci, sie haben das nicht behauptet.
Hans-Gratzer-Stipendium: respektvoll
Angeregt durch die Kommentare hier habe ich mir den Hörspielausschnitt von A.Akguen angehört und möchte mich, ganz frei vom Thema des Gewinns um das es hier auch jetzt nicht mehr gehen sollte, den lobenden Stimmen anschließen. Respekt, mit welcher Sensibilität ein so fragiles Thema behandelt wird durch diese Autorin. Bleibt zu hoffen, dass die Lebensrealität adipöser Menschen tatsächlich Einzug in die Theater findet, wenn diese denn auch wirklich ein Abbild unserer Gesellschaft sein möchten.
Hans-Gratzer-Stipendium: Antigone Aküzen
@10
Ich stimme da voll und ganz zu! Es ist eine großartige Arbeit von einer hochbegabten Autorin! Davon brauchen wir mehr und solche Menschen wollen wir sehen!
Großartig! Und danke für den Kommentar!
Hans-Gratzer-Stipendium: Akgün first
@10 und @11 Ich bin da ganz mit Ihnen. A.Akgüenz ist eine sehr begabte Person meiner Meinung nach. Ihr Text im Wettbewerb war exorbitant ausgefeilt schon und von einer Schreibfähigkeit, die ihresgleichen sucht. Natürlich waren die anderen wohl auch ok, aber man sollte sagen dürfen wenn man jemanden richtig gut findet. Es ist auch eine Frage der Exzellenz - diese vermissen wir ja so oft am Theater. Daher würde ich, liebe Theaterwelt, da nochmal genau hinsehen.
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