Lug und Krug

von Theresa Luise Gindlstrasser

Linz, 29. Mai 2021. Was die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie prominent als Apell formuliert, hat der Richter Adam dieses Abends indikativisch am Unterhemd stehen: "We are all feminists!". Dabei ist der übergriffige, dann sich wider Willen selbst richtenden Richter sicher nicht als Sympathieträger in Erinnerung. Andererseits ist wahrscheinlich der ganze "zerbrochene Krug" ein bisschen anders in Erinnerung. Am Landestheater Linz inszeniert Bérénice Hebenstreit, 2020 mit einem Nestroy ausgezeichnet, nämlich nicht die Happy-End-Fassung, sondern nach "Variant", also mehr so offenes Ende. Und außerdem mit einem brandnew Schlussmonolog von Carolyn Amann.

Falsches Mitleid

Schauspieler Klaus Müller-Beck, der zu Beginn und zur Einstimmung müd-marionettisch in den eigenen Knochen hängt, bekommt aber eh alsbald ein Hemd über's Unterhemd gezogen und dann geht das Gerichtsdrama los: Der Krug ist zerbrochen – wer war's? Die Aufmerksamkeit der Gerichtsversammlung von sich weg lenken wollend, hat er je nach Gegenüber stets ein anderes Manöver parat. In den Worten Heinrich von Kleists: "Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen".

ZerbrochneKrug 2 560 uDer Richter und das Corpus Delicti: Klaus Müller-Beck © Herwig Prammer

So gibt sich Richter Adam gegenüber Walter, in der Hebenstreitschen Fassung GerichtsrätIN, eloquent-kollegial, spendiert dem zu Unrecht beschuldigten Ruprecht großzügig falsches Mitleid, und zischt Eve, der er gegen gefügige Gegenleistung versprach, besagten Verlobten vom Militärdienst zu befreien, in Grund und Boden. Aber weil Kostümbildnerin Karoline Bierner in Übererfüllung der sprachlichen Vorlage dem wendigen Müller-Beck einen zu langen Mantel verpasst, kommt mit dem Manövrieren das tatsächliche Straucheln.

Klassenjustiz und Kapitalinteressen

Stufen führen vom Orchestergraben auf die Bühne, die sich hinten ins Dunkel verjüngt. Und während die titelgebenden Scherben prominent auf einem Podest ruhen, schaut es mit der sonstigen Bühnenausstattung eher trostlos aus. Es stehen so Objekte rum, menschenförmige Zielscheiben vielleicht, die viel Raum einnehmen, aber kaum was können. Das Ensemble, zwischen hoch aufragenden Figuren eingekesselt, versucht diese vor allem zu ignorieren. Oder jedenfalls sich auf die dynamisch orchestrierten Dialoge miteinander zu konzentrieren.

Gerichtsrätin Walter steht diesem Treiben um Krüge und Lügen skeptisch gegenüber. Da erhebt Schauspielerin Katharina Hofmann auch mal irritiert die Stimme, um die Gerichtsversammlung an Ordnung und Ehre zu mahnen. Aber wer so mächtig und machtbewusst ist, kann es sich leisten gut gelaunt zu bleiben, sitzt fest im Sattel, siegesgewiss.

ZerbrochneKrug 1 560 uDie Verhandlung: Markus Ransmayr, Theresa Palfi, Jakob Kajetan Hofabuer, Katharina Hofmann, Gunda Schanderer, Klaus Müller-Beck  © Herwig Prammer

Hofmann spielt so lässig souverän, bleibt für die anderen nur ja und Amen zu machen. Für den Variant-Schluss bietet Walter der detailliert über alle Geschehnisse Bericht erstattenden Eve einen Tauschhandel an, will mit 20 Gulden deren Vertrauen in die Justiz wiederherstellen also erkaufen. Schon bei Kleist wird daraus nichts. Und Autorin Amann biegt hier in Richtung Grundsatz-Kritik ab.

Reibungsloser Spannungsbogen

Theresa Palfi, die als Eve sonst nicht viel zu tun hat, liefert also einen Monolog, der Klassenjustiz und räuberische Kapitalinteressen anprangert, der in der Pointe gipfelt: Was einst Allmende war, wird nun von Frauenkörpern erwartet, nämlich Allgemeingut zu sein. Die vielen Worte blasen nuancenlos gen Publikum, was schade ist, weil's inhaltlich zwingend wär'. Der ganze Abend ist ein bisschen schade, funktioniert spannungsbögig reibungslos, aber ist ästhetisch müd und zufällig.

 

Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
In einer Fassung von von Bérénice Hebenstreit und mit einem neuen Schlussmonolog von Carolyn Amann
Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne: Mira König, Kostüme: Karoline Bierner, Musik: Boris Fiala, Autorin des Schlussmonologs: Carolyn Amann, Dramaturgie: Wiebke Melle.
Mit: Katharina Hofmann, Klaus Müller-Beck, Markus Ransmayr, Gunda Schanderer, Theresa Palfi, Jakob Kajetan Hofbauer, Eva-Maria Aichner.
Premiere am 29. Mai 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.landestheater-linz.at

 

Kritikenrundschau

Die "exegetisch ausgezeichnete Inszenierung" folge  "in feierlicher Strenge dem schönen alten Blankvers, den das Ensemble mit Urvertrauen eingeatmet hat – und ihn zugleich ganz heutig klingen lässt", schreibt Margarete Affenzeller in der Tageszeitung Der Standard (28.5.2021). Auf diese Weise gelingt aus Sicht der Kritikerin "der Brückenschlag eines kanonisierten, 200 Jahre alten Textes in die Gegenwart auf voller Strecke". Nichts gehe verloren, "höchstens ein paar verstaubte Damen-Seufzer". Der Lustspiel-Anteil des Dramas komme ebenso zu seinem Recht: "In einem Ensemble, das sich auch über den Bildschirm als hervorragend eingespielt und motiviert zeigt, fängt die Kamera exquisites, nie überdosiertes Minenspiel ein." Die Inszenierung einer exegetisch ausgezeichneten Inszenierung von Bérénice Hebenstreit, die den Text ausgehend von in ihm enthaltenen Hinweisen ein Stück weitergedreht hat in unsere Zeit.

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