Berlin: Christian Spuck wird Intendant des Staatsballetts
Stabile Exzellenz
15. Juni 2021. Ab der Spielzeit 2023/24 wird der Choreograf Christian Spuck neuer Intendant des Staatsballetts Berlin. Das gab die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa heute in einer Pressemitteilung bekannt.
Der Choreograf, der derzeit das Ballett Zürich leitet, folgt auf das Intendanz-Duo Johannes Öhman und Sasha Waltz. Im Juli 2020 beendeten die beiden vorzeitig ihre Intendanz, nachdem Öhman bereits im Januar seinen Wechsel ans Stockholmer Dansens Hus bekannt gab. Seither ist die Leitung von Deutschlands größter Ballettkompanie kommissarisch besetzt, mit der Ballett-Dramaturgin, Betriebsdirektorin und langjährige Stellvertretende Intendantin am Staatsballett Christiane Theobald.
Bereits in der Spielzeit 2022/23 wird Christian Spuck dem Staatsballett Berlin künstlerisch beratend zur Seite stehen.
Christian Spuck, geboren 1969, erhielt seine Ausbildung an der John Cranko Schule in Stuttgart und tanzte im Anschluss in Jan Lauwers Needcompany und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble Rosas. 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts. Als erste Uraufführung für die Kompanie entstand 1998 die Choreografie "Passacaglia". 2001 wurde Christian Spuck zum Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts ernannt. 2006 war er für eine Spielzeit Resident Choreographer der Hubbard Street Dance 2 Chicago Kompanie und erhielt den Deutschen Tanzpreis "Zukunft" für Choreografie. Seit Beginn der Saison 2012/13 ist Christian Spuck Direktor des Balletts Zürich. 2020 zeichneten die Kritiker*innen der Fachzeitschrift Tanz das Ballett Zürich als "Kompanie des Jahres" aus und wählten Spucks Choreografie "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" zur "Produktion des Jahres". Im März 2021 hatte die Ballett-Inszenierung des Virginia Woolf-Klassikers "Orlando" am Bolschoi Theater in Moskau Weltpremiere.
Weiterentwickeln soll der Choreograf am Staatsballett Berlin das künstlerische Profil, das von klassischem über neoklassischem zu zeitgenössischem Ballett reichen soll. Diese Entwicklung hatte unter den vorherigen Intendant*innen bereits begonnen.
Nach dem verfrühten Intendanzende von Öhmann und Waltz und einem auch öffentlich verhandelten Rassismus-Vorfall lag der Fokus bei der Berufung laut Senatskulturverwaltung "auf einer modernen Führung, die Stabilität, Kontinuität und Zusammengehörigkeit im Ensemble schafft, über Diversity-Kompetenzen verfügt, teamfähig ist und die individuelle Entwicklung der Tänzer*innen des Ensembles sowie des Personals im Blick hat".
Beraten hat den Kultursenator Klaus Lederer bei der Entscheidung ein Expert*innengremium, besetzt mit Janine Dijkmejer, Künstlerische Leiterin der The New Zealand Dance Company, der Tanzjournalistin Dorion Weickmann, Ted Brandsen, Künstlerischer Leiter des Dutch National Ballet, und dem ehemaligen Direktor des Bayerischen Staatsballetts, Ivan Liška.
(Senatsverwaltung für Kultur und Europa / eph)
Kommentar zum Rücktritt von Johannes Öhman und Sasha Waltz
"Diese ordentliche Personalie verspricht immerhin wieder eine Rückkehr zu einem Normalbetrieb", kommentiert Manuel Brug in der Welt (15.6.2021). "Mit einem Choreografen an der Spitze, der für klassische Moderne steht, der für kreativen Input sorgen wird und selbst eine beachtliche Werkliste abendfüllender Stücke wie abstrakter Ballette mitbringen wird. Und der einen sehr breiten kuratorischen Horizont hat, um das Publikum mit einer Vielfalt von fremden Handschriften, Stücken von der Romantik bis in die Jetztzeit nicht nur zu unterhalten, sondern auch ästhetisch zu bilden." Spuck sei ein "dramaturgisch versierter Tanzerzähler, wirklich distinguiert oder besonders ist er als Choreograf nicht". Dass ein "größerer Erneuerer des klassischen Tanzes, der Russe und frühere Bolschoi-Ballettchef Alexei Radmansky, nicht zu gewinnen war", bedauert Brug.
"Drastisch ausgedrückt, ist der eben von Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) berufene Choreograph Christian Spuck so geeignet, das Staatsballett Berlin zu führen, wie Justin Bieber, das Amt des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker auszufüllen. Bieber kann Noten lesen. Spuck kann Fragmente des bildungsbürgerlichen Kanons so in seine repetitive, oberflächliche, robert-wilson-bloß-schneller-hafte postmodern schicke Ästhetik verpacken, dass, wer nicht genau hinguckt, das für zeitgenössischen Tanz hält", poltert Wiebke Hüster in der FAZ (17.6.2021). Es sei ein Problem, wenn ein Ballettdirektor das entsprechende Repertoire selbst kaum kennt. "Spuck hat nur bei Jan Lauwers, Anne Teresa de Keersmaeker und dem Stuttgarter Ballett nach John Cranko getanzt, hat kaum an Häusern, mit Ballerinen und Choreographen gearbeitet, die ihn mit unterschiedlichsten historischen Stilen und Techniken hätten vertraut werden lassen. Man kann sich das aber nicht eben so draufschaffen. Man muss sich sein ganzes Tänzer- und Direktorenleben brennend dafür interessieren und sich damit beschäftigen. Nichts in Spucks Biographie deutet darauf hin."
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Er wird auch den klassischen Leiten das richtige Leder und Aussehen geben..es gibt eben noch mehr als dies ....jede Kompanie könnte sich auf seinen Schuhschrank freuen....Berlin darf ihn bald öffnen!
Das Wissen als Ballettkritikerin kann man sich schon draufschaffen, liebe Frau Hüster, selbst wenn man nie in Zürich war, um etwas von Spuck anzuschauen. Und warum hätten Sie (in einem FAZ-Artikel zwei Tage später) gern Sidi Larbi Cherkaoui in Berlin gesehen, unbestritten ein besserer Choreograf als Spuck, aber ohne jede Kenntnis des klassischen Repertoires und ohne klassische Ausbildung? Was ist denn das für eine Argumentation?
Problematisch ist er nämlich aus mehreren Gründen: Er lässt nicht nur jeden Respekt gegenüber dem Menschen Christian Spuck vermissen, der immerhin noch nicht die geringste Gelegenheit hatte, der Öffentlichkeit seine Pläne für Berlin vorzustellen, und der hier somit ohne wirkliche Anhaltspunkte vorverurteilt wird. Es findet in dem Kommentar auch eine bedenkliche Verallgemeinerung und scheinbare Objektivierung von Wiebke Hüsters persönlichem Kunstbegriff statt. Man muss Spucks Art und Weise zu choreografieren und seine Vorstellungen von Repertoire nicht teilen, ihm aber ein 'falsches' Verständnis von Tanz zu unterstellen und sich zugleich selbst in eine Position zu versetzen, der man ein absolut und unfehlbar richtiges Verständnis von der Materie zuschreibt, spricht von einer erschreckenden Intoleranz gegenüber anderen künstlerischen Positionen. Äußerst bedenklich erscheinen mir außerdem Formulierungen wie "robert-wilson-bloß-schneller-hafte postmodern schicke Ästhetik" oder der Vergleich mit Justin Bieber, da aus ihnen eine äußerst elitäre Verachtung populärer Ästhetiken spricht. Egal wie man zu der Arbeit Robert Wilsons steht – ihm gelingt es, was nur noch den wenigsten Theatermacher*innen gelingt, denn immerhin ziehen seine Abende auch Menschen ins Theater, die man dort sonst nie antrifft, da sie nicht Teil jener intellektuellen Akademikerblase sind, aus der sich das Publikum der deutschen Stadttheater primär zusammensetzt. Auch Spucks Arbeit scheint mir dieses Potenzial zu besitzen, Menschen in einer ungewöhnlichen Breite zu erreichen. Dass Wiebke Hüster diese Popularität so schockiert, trägt deutliche Züge einer ziemlich elitären Massenverachtung.
All dies (der aggressive, persönlich verletzende Tonfall, die Intoleranz bezüglich des Kunstverständnisses und der bedenkliche Elitismus) wäre in anderen Kontexten sofort beanstandet worden. Umso schockierender erscheint mir, dass es in der deutschen Berufskritik unwidersprochen einen derart prominenten Platz bekommt. Nach all den Diskussionen über Umgangsformen und Machtstrukturen, die langsam aber sicher in den Produkionsstätten von Theater zu bitter nötigen Veränderungen führen, wäre es nun an der Zeit dieselben Debatten auch in Bezug auf die Kritik zu führen. Denn auch hier konzentriert sich unhinterfragte Macht, auch hier können Karrieren durch wenige Zeilen zerstört werden, auch hier werden gesellschaftliche Hirarchisierungen insgeheim gefestigt, wie Wiebke Hüsters Angriffe auf 'anspruchslose Massenkunst' zeigen, denen ein klassistischer Unterton schwer abzusprechen ist. Dabei geht es selbstverständlich nicht nur um den Kommentar einer einzelnen Kritikerin. Vielmehr geht es um ein strukturelles Problem, das sich im vorliegenden Fall besonders deutlich zeigt und das – im Gegensatz zu anderen Problemen – noch auf eine umfassende Aufarbeitung wartet.