Land am Limit

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 26. August 2021. Der Himmel über Beirut dröhnt. Mit 55 Dezibel durchquert ein israelischer Kampfjet, Modell F-35, das Blau und mit ihm den libanesischen Luftraum. 50 bis 400 israelische Fluggeräte verletzen monatlich die Lufthoheit des fragilen libanesischen Staates, Raketen auf ihrem Weg nach Syrien, Drohnen, die die Aktivität der Hisbollah auskundschaften, Helikopter oder Tarnkappenbomber wie der F-35. Seit dem Lockdown im Frühjahr haben diese Flüge noch zugenommen. Ihr permanentes Dröhnen, über 500 Quadratkilometer weit zu hören, und ihre gewaltige Zerstörungskraft sollen das libanesische Volk terrorisieren und mürbe machen – da ist sich Lawrence Abu Hamdan sicher. In seiner Lecture-Performance "Air Pressure: A Diary Of The Sky" präsentiert der libanesische Künstler seine Ergebnisse einer akustischen, atmosphärischen Recherche. Monatelang hat er die Flugzeuge gefilmt, und nun begleiten ruckelnde Handyvideos und ihr ohrenbetäubender Lärm auch seine eigenen Worte, machen den Nachvollzug der scheinbar nüchtern präsentierten Daten bisweilen schwer und die Konzentration unmöglich.

Bankrottes Land, bedrohtes Leben

Hamdans Lecture eröffnete das Festival "This Is Not Lebanon" am Künstlerhaus Mousonturm, das bis zum 12. September Performances, Installationen, Bildende Kunst und Konzerte libanesischer Künstler:innen zeigt, flankiert von einem Diskurs-Programm. Kuratiert wird das Festival von Matthias Lilienthal, Ex-Intendant der Münchner Kammerspiele mit guter Verbindung zum Libanon, von dem renommierten libanesischen Künstler Rabih Mroué und von Anna Wagner, Dramaturgin des Mousonturms. Zwei Jahre Arbeit liegen hinter ihnen, eigentlich sollte das Festival bereits 2020 über die Bühne gehen.

AirPressure ThisisnotLibanon 600 Christian Schuller uLawrence Abu Hamdans Lecture-Performance "Air Pressure: A Diary Of The Sky" © Christian Schuller

Die Künstler:innen, das sei vorweggeschickt, zeichnen kein rosiges Bild vom Libanon. Das Land ist bankrott. Vor einem Jahr wurde es von einer gewaltigen Explosion im Beiruter Hafen erschüttert, deren Ursache noch immer nicht aufgeklärt ist. Noch immer hat sich keine handlungsfähige Regierung gebildet, während Pandemie und Inflation der Bevölkerung zusetzen, Lebensmittel, Medizin, Treibstoff und Trinkwasser knapp werden. Das Festival möchte nun Perspektiven aufzeigen und Künstler:innen eine Plattform geben, die häufig im Exil arbeiten, in Amsterdam, Dubai oder Berlin. Nicht zuletzt möchte es aber auch schlicht die Künstler:innen unterstützen, ihre Arbeit ermöglichen, damit ihre Stimmen nicht verstummen, und zeigt zahlreiche Uraufführungen.

Dunkle, dichte Geschichte

Bei den drei Eröffnungs-Arbeiten überwiegt dokumentarisches, autobiografisches Material, die übersprungshafte Verbindung komplexer Realitäten, und stets sind hier Solo-Künstler:innen am Werk. Lawrence Abu Hamdan, Mitglied der Gruppe Forensic Architecture, die Schauplätze von Gewalt erforscht, folgt den Spuren des Fluglärms weit in die libanesische Geschichte hinein und markiert ihn als eine Art psycho-physischer Kriegsführung, die langsam töte, durch die stete, omnipräsente Bedrohung. Eine Bedrohung, vor der der libanesische Staat seine Bevölkerung nicht zu schützen vermag – denn anstelle den Luftraum zu sichern, bietet das bankrotte Militär seit kurzem Zivilisten Rundflüge im Armee-Helikopter gegen Bezahlung an: Libanon von oben. Hamdans Lecture ist aufregend und klug, intensiv und verstörend – und so ohrenbetäubend, dass Ali Eyals stille, poetische Performance “Don’t let the beautiful colors fool you, who would draw Goofy inside the rooms of grownups?” danach ein wenig wegsackt.

Stellwände teilen die Studiobühne des Mousonturms in vier Winkel. In einem dieser Winkel steht ein helles Sofa, bemalt mit Gesichtern, mit einem Gebäude, einem rotgelben Himmel. Es sind, sagt die gebeugte Gestalt, die mit dem Rücken zu uns vor dem Sofa sitzt, Menschen, die gewaltsam getötet wurden. Ihre Gesichter habe er in einem Racheakt auf die Hauswände des Mörders gezeichnet, auf dass sie ihn verfolgen und heimsuchen, ihn mit seinen eigenen Taten foltern. Ali Eyal liest, wie Hamdan zuvor, seinen Text vollständig ab. Jedoch auf Arabisch, mit englischen Übertiteln – und dem Publikum abgewandt, sichtbar und unsichtbar zugleich. Es ist eine dunkle, dichte Geschichte von Leichen, die die Erde düngen, von unschuldig Inhaftierten, von verlorenem Land und dem Wert der Bilder. Wo bei Hamdan das Verstehen absichtlich erschwert wurde, legen bei Eyal die spröde Situation und die Haltung des Künstlers, der an seinem eigenen Verschwinden zu arbeiten scheint, der Rezipientin manchen Stein in den Weg.

Sprunghafte Assoziationen und Gedankenstränge

Marwa Arsanios "Who Is Afraid Of Ideology? Part 4 – A Letter inside a Letter" macht es der Zuschauerin immerhin mit Sitzsäcken bequem. Die Künstlerin und Filmemacherin untersucht in ihrem Video-Essay die Stabilität von Strukturen und die Grenzen der Liquidität. Stabile Strukturen wie beispielsweise Ikonografien, Bilder, die wir uns von der Realität machen, und die doch nie so zuverlässig sind, wie wir es meinen. Oder Eigentumsrechte, gerade an Grund und Boden, die Arsanios radikal infrage stellt: Solle die Erde nicht allen gehören – allen voran aber jenen, die sie hegen und pflegen? Schließlich hat auch die Liquidität, des Geldes wie des Wassers, ihre Grenzen. Mitunter ist es schwierig, den assoziativen Übersprüngen der Künstlerin zu folgen, mitunter wirken Assoziationen und Gedankenstränge hochverdichtet.

Whoistafraid1 600 ThisisnotLebanon Marwa Arsanios uWem gehören Grund und Boden? Marwa Arsanios "Who Is Afraid Of Ideology? © This Is Not Lebanon / Marwa Arsanios

Alle drei Eröffnungsinszenierungen gehen mit einem großen Willen zur Deutung unserer vielschichtigen Gegenwart den Spuren von Gewalt und Trauma nach und sind mitunter schwer kommensurabel. In ihren stärksten Momenten eröffnen sie diverse Bedeutungsebenen, zeigen auch die Unschärfen und Widersprüche der eigenen Recherche, der eigenen Perspektive auf. Und machen, das ist gewiss, hungrig auf mehr. Sorgen für ein der desolaten Situation des Libanon und seiner Einwohner:innen angemessenes Dröhnen im Kopf.

 

This Is Not Lebanon. Festival for Visual Arts, Performance, Music and Talks

Air Pressure: A Diary Of The Sky (Uraufführung)
von Lawrence Abu Hamdan
Konzept, Performance: Lawrence Abu Hamdan. Audiovisuelle Live-Übertragung: Mohammad Choucair. Research und Produktion: Ahmad Beydoun, Nabla Yahya
Premiere am 2. August 2021
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten

Don’t let the beautiful colors fool you, who would draw Goofy inside the rooms of grownups? (Uraufführung)
von Ali Eyal
Konzept, Installation, Performance: Ali Eyal. Stickerei und Schneiderei: Diana Cantarey
Premiere am 2. August 2021
Dauer: 45 Min.

Who is Afraid of Ideology? Part 3 – Micro Resistencias & Part 4 – A Letter Inside a Letter
von Marwa Arsanios
Konzept, Installation: Marwa Arsanios, Kamera: Mazem Hachem, Schnitt und Sounddesign: Katrin Ebersohn, Juma Hamdo.
Premiere am 2. August 2021
Dauer: 30 Minuten

www.mousonturm.de

 

Kritikenrundschau

"Der Staat ist sowohl auf der Straße als auch im Himmel kolla­biert", sage Lawrence Abu Hamdan auf der Bühne, schreibt Kevin Hansch­ke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.8.2021). Hamdan hat ein Jahr lang illegale Flugbewegungen gefilmt. Für ihn sei der Lärm­ter­ror "atmo­sphä­ri­sche Gewalt" und ein Symbol für den Zusam­men­bruch des Liba­nons. "Jeden Tag über­mit­telt das liba­ne­si­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um die Anzahl von einge­drun­ge­nen Fremd­flugkörpern an die Verein­ten Natio­nen." Das zweite Eröff­nungs­stück, "Don't let the beautiful colors fool you", setze sich "tieftraurig", mit den Wurzeln der eige­nen Fami­lie ausein­an­der.

 

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