Ich, Anthropos Tyrann

von Elena Philipp

Berlin, 28. August 2021. "Du bist dieses Lands ruchloser Schandfleck!" Früh schon ist bei Sophokles das Urteil gesprochen über den Verblendeten. Oedipus, dem seine Fähigkeit, der Sphinx Rätsel zu lösen, die Macht eingetragen hat, wird sie (und mehr) verlieren durch sein beharrliches Erforschen einer alten Schuld. In Theben wütet die Pest, und den Mörder des vorherigen König Lajos zu strafen, rät das delphische Orakel. Verbannt sei der Täter und verflucht, dekretiert Oedipus, der sich als Rächer geriert. Wer ist es?

Blutroter Röhrenmond

Aufrecht steht der DT-Schauspieler Manuel Harder da in seinem schwarzen Kleid, nicht willens, den um Aufklärung gebetenen Seher Tiresias antwortlos ziehen zu lassen. Wehklagend offenen Mundes, die Augen aufgerissen, sucht Kathleen Morgeneyer sich um die Aussage herumzuwinden, bis Harders Oedipus im Zorn ihr droht und sie beleidigt. Da wirft sie ihm entgegen (wie alle Rede ans Publikum adressiert): "Du."

oedipus2 600 Arno Declair uAlles Rede ans Publikum: Ensemble aus "Oedipus" © Arno Declair

"Ich" sagt Oedipus sonst oft. In Ulrich Rasches Inszenierung am Deutschen Theater deutlicher noch als in Sophokles' Tragödie. Ein Einzelner, im Kampf gegen die Götter und ihren Fluch, er werde seinen Vater töten und die Mutter ehelichen. Ein Individuum, das Schuld auf sich geladen hat und zunehmend gegen die agiert, die ihm anbefohlen sind. Blutrot wird der Kreis aus Leuchtröhren, der zuvor blau über der Bühne hing, als Oedipus seinen Schwager (und Onkel) Kreon angeht, ihn des Angriffs auf sein Amt gemeinsam mit Tiresias beschuldigt. Auf Kopfhöhe ist der Leuchtröhrenkreis heruntergefahren, zeigt, wie Manuel Harder seine Hand in Elias Arens' Nacken legt, ihm den Arm auf die Schulter drückt und ihn gewaltvoll zu sich umdreht. "Verklage nur aus dunkler Meinung mich nicht!", bittet der gekrümmte Arens. Doch Harder rast, und aus dem Orchestergraben dröhnen Paukenschläge: "Sterben sollst du." Oedipus von Sinnen.  

Leiber, ums Zwerchfell gebogen

Wieder hat Ulrich Rasche einen Text gewählt, der seinem Inszenierungsstil entgegenkommt. Brutal und blutig geht es zu bei Sophokles. Hoch ist die Spannung zwischen den Figuren. In ihre Körper hineingenommen haben sie die Schauspieler:innen. Vornübergebeugt stehen Toni Jessen, Linda Pöppel und Yannik Stöbener als Chor der Thebaner, die Leiber um ihr Zwerchfell gebogen, aus dem sich ihnen die von Hölderlin ins Deutsche übertragenen Sätze entringen. Der gedehnte, druckvolle Vortrag in hohem Ton verstärkt das Manische, Vorwärtsdrängende des antiken Textes, sein um Streit und Drohungen sich drehendes Geschehen. 

Große Fragen stellt die um 425 vor Christus entstandene "Oedipus"-Tragödie, an das Verhältnis von Herrscher und Polis, von Mensch und Göttern, vorgezeichnetem Schicksal und Freiheit der Lebenswahl. Mühelos lassen sich aktuelle Kontexte assoziieren, von der Pandemie als Krisentest für Regierungen bis zur Klimaschuld im Anthropozän. Im Programmheft werden sie formuliert, auf der Bühne sind sie mitdenkbar. Und bleiben doch schwach angebunden, weil die Produktion dem antiken Text treu bleibt. Spezifisch ist des Oedipus' Schicksal, nicht allgemein. Und seinem Leidensweg folgt die Inszenierung bis zum Ende, vom bildreich geschilderten Selbstmord der Mutter-Gattin Jokaste bis zur blutigen Blendung und Verbannung des Protagonisten. Nackt und stumm steht Manuel Harder zum Schluss auf der Bühne, angeklagt und betrauert vom Chor. Das exemplarische Individuum, ihm gilt der Abgesang.

oedipus3 600 Arno Declair hMutter und Sohn, Ehefrau und Gatte: Jokaste (Almut Zilcher), Ödipus (Manuel Harder) © Arno Declair

Wucht hat dieser Abgesang. Wie immer phantastisch synchron sprechen die von Toni Jessen trainierten Spieler:innen, die im Rhythmus von Text und Musik über die Drehbühne schreiten und ihre Körper im Raum in immer neue Figuren-Konstellationen arrangieren. Farbreiche Klanggebilde entwerfen der Komponist Nico van Wersch und die vier Live-Musiker:innen mit Streichinstrumenten, Schlagwerk und Synthesizern. Wellenartig steigert sich die Dynamik, schichtweise türmen sie tieftönende Bässe, gelassen bis nervös klöppelnde Mitten und sirenenhafte Höhen, um mit dem Szenenwechsel zu verklingen. Ein Hörerlebnis.

Vom Ich zum Uns

Visuell ansprechend ist der "Oedipus" auch. Die Drehbühne des DT kreist, auf maschinelle Aufbauten hat Rasche verzichtet. In monochrome Farbstimmungen taucht Cornelia Gloth die Bühne, mittels eines erstaunlich gleichmäßig dichten Nebels und der vier konzentrischen Leuchtringe, die die Götter und die drei Herrscher:innen Thebens symbolisieren könnten, Oedipus, Jokaste und Kreon. Als Oedipus mit Jokaste seine Schuld erkennt, stehen zwei der Ringe gelb gegen die Ringe von Stadt (Kreon) und Götter gekippt, um zum Schluss alle wieder konzentrisch blau am Bühnenhimmel zu glimmen. 

Großartig sind auch die Schauspieler:innen. Zum Beispiel Almut Zilcher, die den rhythmischen Schritten und hochtönenden Sätzen individuelle Schwingungen verleiht, auf ihrem frontal zum Publikum gerichteten Gesicht Momente von Schmerz, Erkenntnis, Schrecken vorüberziehen lässt.

Was fehlt? Verdichtung, zwei Stunden statt drei. Ein höherer Grad an Abstraktion, um vom Individuellen zum Allgemeinen zu gelangen. Oder Fremdtexte, denn "Oedipus" ist ein toller Theatertext, aber was er "uns heute" zu sagen hat, ist beschränkt. Ulrich Rasche möchte aber, orientiert man sich am Programmtext, grundlegende Fragen an die Demokratie richten. Dafür wäre, denkt man, ein vielstimmiges Textkonvolut vielleicht geeigneter? Um vom "Ich" und "Du" weg zu kommen und mehr Perspektiven zu einem "Wir / Sie / Uns" aufzufächern.

Oedipus
von Sophokles 
nach der Übertragung von Friedrich Hölderlin, eingerichtet von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Komposition und Musikalische Leitung: Nico van Wersch, Chorleitung: Toni Jessen, Mitarbeit Bühne: Leonie Wolf, Kostüme: Clemens Leander, Licht: Cornelia Gloth, Ton: Marcel Braun, Martin Person, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Elias Arens, Manuel Harder, Toni Jessen, Kathleen Morgeneyer, Linda Pöppel, Yannik Stöbener, Enno Trebs, Julia Windischbauer, Almut Zilcher. Live-Musik: Carsten Brocker, Katelyn King, Špela Mastnak, Thomsen Merkel.
Premiere am 28. August 2021
Dauer: 3 Stunden, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Obwohl Rasche und sein Ensemble keine platten Aktualitätsmarker setzen – etwa Pest gleich Pandemie – dringen sie doch zu einem Wesenskern des Dramas durch, der uns Heutige berührt", meint Ute Büsing im rbb (29.8.2021). Mitunter könnte das alles "eine Spur weniger dick aufgetragen sein", aber: "die soghafte Wirkung dieses Überwältigungstheaters funktioniert", so die Kritikerin.

"Ulrich Rasche will keine einfachen Rückkopplungen von antiker Tragödie und aktueller Politik. Er erzählt den Oedipus, im ritualhaft verlangsamtem Larghissimo als Oratorium, als Gesamtkunstwerk aus Poesie, von Hell-Dunkel-Malerei inspiriertem Bildrausch und Klangraum", sagt Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (29.8.2021). "Und doch haftet diesem grandiosen Kunstwerk ein theatraler Makel an: Mit seiner auf drei Stunden zerdehnten Spiellänge und seiner die Syntax sprengenden Langsamkeit wirkt jeder Moment, jeder Move, jeder Satz wie autistisch auf sich selbst bezogen und herausgelöst aus dem tragischen Wirkungszusammenhang. Es ist immer schön, aber es ist immer auch nur gerade jetzt: Ein Theater als Kunst des bewegten Stillstandes."

Zu Ulrich Rasches Abenden pilgerten manche Menschen ja "wie andere in einen guten Technoclub", schreibt Anna Fastabend in der Süddeutschen Zeitung (30.8.2021). "Weil sie sich von seinem Maschinentheater in einen tranceartigen Zustand versetzen lassen und so an tiefere Bewusstseinsschichten herankommen wollen, als es in unserem hyperfragmentierten Alltag möglich wäre." Rasches Inszenierung des Oedipus nun wirke "seltsam zeitlos in einer Zeit, in der die Welt mal wieder unterzugehen scheint, und diese Zeitlosigkeit ist auch ihre Stärke", so Fastabend. "Denn so wie Rasche den Urstoff präsentiert, ist man ganz auf seinen Kern zurückgeworfen, auf einen Menschen, der seinem Schicksal nicht entfliehen kann, egal wie sehr er sich bemüht."

"Selten sah man an Rasche-Abenden Figuren einander derart konkret im Nacken sitzen wie hier", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (30.8.2021). "Der Abend erfordert die große Schauspielkunst, aus den Figuren zwar einerseits markante Charaktere herauszudestillieren, sie dabei aber andererseits nicht (küchen-)psychologisch herunterzudividieren oder pathetisch zu verkitschen." Dieses "Changieren zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten, zwischen Prinzip und Figur sieht man in dieser Genauigkeit wirklich selten", so Wahl. Fürs Gesamtgelingen des Abends ebenso entscheidend mitverantwortlich seien die Kompositionen Nico van Werschs, "die ebenso traumwandlerisch wie die Schauspieler der Versuchung zur platten Textillustration widerstehen. Vielmehr erzeugt van Wersch eine komplexe Klangebene als zusätzliche Reibungs- und Kommentarspur, die von den Live-Musikerinnen und Musikern kongenial interpretiert wird."

"Ulrich Rasche ist diesmal so etwas wie Rammstein unter den Theatermachern", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (30.8.2021). Bild für Bild baue sich in der die Inszenierung dominierenden Musik von Nico van Wersch aus erst leisen Tönen ein emotionsgeladener, treibender Sound auf, "bis zu einem Kulminationspunkt, an dem er plötzlich abstürzt", so Müller: "Der Rhythmus sitzt den Gehenden im Nacken, das bedrohliche Schwellen der Klangflächen hält die Spielenden im Griff. Die Inszenierung macht sie zu Marionetten."

"Rasches postmodernes Dionysientheater ist vor allem ein Blendungsspiel, das großes, hohles Pathos in seine vibrierenden Sprechakte legt, aber den Grund dafür selbst nicht mehr kennt", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (30.8.2021)

Simon Strauss kommt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (online 30.8.2021, 16:48 Uhr) zu folgendem Fazit: "Trotz großer Anstrengung der Gewerke, von Licht, Bühne und Ton", gelinge es Rasche diesmal nicht, "seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden". Das Ensemble schwitze und keuche vergebens. Es bleibe eine "unbedingte Treue zum Text und ein ungebrochener Wille zur ästhetischen Wirkung". Beides sei "außergewöhnlich" in dieser Zeit "und darf daher eine besondere Geltung behaupten". Aber um ein so schwieriges Stück wie "Oedipus" "wirkungsvoll zu inszenieren", brauche es "nicht nur von außen, sondern von innen bewegte Menschen".

Kommentare  
Oedipus, Berlin: Faszination & Zwischentöne
Die letzte Inszenierung von U. Rasche am DT, "4.48 Psychose", war für mich ein Reinfall. Dieser "Oedipus" ist keiner. Der Anfang schien zwar zunächst meine niedrigen Erwartungen zu bestätigen: hoher, gezwängter Ton, teilweise verwaschen (Oh, Tremolo!) gesprochen, die bekannten Versatzstücke in Kostüm und Bewegung.
Aber nach ca. 20 Minuten, ich hatte mir bereits eine bequeme Theaterschlaf-Haltung gesucht, begannen die Elemente, die anfänglich schon da waren, ihre Wirkung zu entfalten: das (ungeheuer aufwändige, aber dennoch) minimalistische, variantenreiche, spannende Bühnenbild aus Licht und Nebel; die nie erlahmende Drehscheibe (was für eine Wohltat gegenüber den teils gigantomanischen Laufband-Konstruktionen anderer Rasche-Produktionen); die Livemusik aus dem Orchestergraben, die eine Sogwirkung entwickelt (großes Kompliment!); die Körper-Choreografien, in denen klug Fokus gesetzt wird, die die SpielerInnen in immer neuen Formationen, Ballungen, Konstellationen aus dem Nebel erscheinen und in ihm verschwinden lassen. Ja, und dann hört man auch plötzlich dem Text wirklich zu. Dies auch, weil aus dem anfänglich aufgetischten, pathetischen Jammerklage-Brei, die individuelle Qualität der DT-SchauspielerInnen hervorscheint. Weil sie sich gegen die strenge Form, die natürlich die Faszination des Abends ausmacht, stemmen; weil auch (Danke, Danke) Zwischentöne möglich werden.

Das Ganze ist natürlich komplett humorlos, pathetisch, Gottesdienst-ähnlich, eher Musiktheater oder Oper, aber dann doch dem Text und dem verhandelten Stoff (der selbstverständlich keine Fremdtexte oder behaupteten Aktualitätsbezug braucht) angemessen.
Der schwache Anfang ist absolut verschmerzbar, das verunglückte Ende leider nicht. Auf einen grandiosen Abschlusschor mit selten gehörter Wucht folgt der Auftritt des nackten Ödipus... und dann geht leider das Timing baden, und die an sich gute Idee eines leisen Tons zum Schluss gleich mit. Etwas schade, aber angesichts dessen, was drei Stunden lang vorher passiert, auch egal.
Oedipus, Berlin: Light-Version
Auf Aktualisierungen wie Pest in der Antike und Corona heute hat Ulrich Rasche natürlich verzichtet, und das ist auch gut so.

Der Abend lebt von den Konfrontationen des Oedipus (Manuel Harder) mit dem Seher Teiresias, den Kathleen Morgeneyer im Kontrast zu der Alphatypen-Pose des Herrschers sehr zart, fast schon zerbrechlich spielt, mit Kreon (Elias Arens) oder mit seiner Gattin und Mutter Iokaste, die Almut Zilcher mit großer Eleganz in den Abgrund gleiten lässt. Bei diesen Zweier-Begegnungen, in denen Oedipus Schritt für Schritt seine Verblendung klar wird, schwillt der Klang-Teppich zu voller Lautstärke an. Wie Untote schleicht das Ensemble durch eine Geisterwelt im Zwielicht, oft sind sie nur Schemenhaft unter den Röhren zu erkennen, bevor sie wieder im schwarzen Hintergrund verschwinden.

Das Regie-Konzept von Rasche lässt jeder Figur aber auch erstaunlich viel Raum. Vor allem Morgeneyer und Zilcher geben dem Abend eine eigene Note: leise, fragile Töne, die mit den marschierenden Jungmänner-Truppen, die sich über gewaltige, den gesamten Bühnenraum füllende Maschinen-Kolosse brüllen und seufzend schleppten, wenig gemeinsam haben.

Mit seinem Namensvetter Ulrich Khuon hat Rasche vereinbart, für die drei Inszenierungen auf kleinere Formate umzusteigen. Das Bühnenbild hat bei weitem nicht mehr die aus München oder Dresden gewohnten Ausmaße, die die Bühnentechniker – wie man hörte – an den Rand der Verzweiflung brachten. Stattdessen wird das minimalistische Bühnenbild, in dem schon kurz vor den Corona-Lockdowns „4.48 Psychose“ von Sarah Kane Premiere hatte, wieder verwendet.

Der gewaltige Sog, die Überwältigungseffekte, die Ulrich Rasche bekannt machten und ihm vor einigen Jahren drei Theatertreffen-Einladungen in Folge einbrachten, fehlen dieser „Oedipus“-Tragödie.

Alle bekannten Stilmittel des Rasche-Sounds sind auch in dieser Light-Version ohne den gigantischen Maschinen-Aufwand noch vorhanden. Seine volle Kraft wird der „Oedipus“ vor allem bei denen entfalten, die Rasches Arbeiten noch nicht kennen. Für Theatertreffen-Stammgäste wirkt die neue Inszenierung wie die konsequente Fortschreibung und Corona-konforme Light-Version einer Theater-Marke, die nicht mehr so atemberaubend wie die stilprägenden Großproduktionen wirkt. Aber auch diese Light-Version ist immer noch ein sehenswerter Theater-Abend zum Spielzeit-Auftakt am DT Berlin.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/08/29/oedipus-ulrich-rasche-deutsches-theater-berlin-kritik/
Oedipus, Berlin: Einladung
Sehr geehrte Frau Phillip!
Sie schreiben, die Aufführung lasse mühelos aktuelle Assoziationen und Gedanken zu, und schreiben gleich danach, sie halte sich an den originale Text (also Hölderlin) - und das klingt wie die Beschreibung eines Mangels.
Ich lese das mit Vergnügen und als eine Einladung zum Vorstellungsbesuch.
Sie wünschen sich mehr Abstraktion, aber von einem großen Formbewusstsein ist auch die Rede.
Die Geschichte des Theaters und des Dramas ist voll von Belegen dafür, dass die Wirkung der darstellenden Künste auf der Darstellung einzelner Schicksale beruht. Und verlässt sich zu den besten Zeiten darauf, dass der Zuschauer seine Kenntnis der Wirklichkeit, also auch seine Erfahrungen mit einem demokratischen Staatsgefüge mitbringt ins Theater.
Wozu also der Vorschlag, fremde Texte in das Drama zu montieren? Weil das Mode ist? (Ich stelle mir vor, jemand käme auf die Idee, in ein Drama von Tschechow fremde Texte einzu"arbeiten", damit der Zuschauer etwas erführe
über das russische Zarenreich....) Oder weil der Regisseur wünscht, seine ganz subjektiven Lebenserfahrungen, die mit dem Stück nur sehr vermittelt zu tun haben, mitzuteilen?
Wenn ich etwas erfahren will über die Geschichte und die aktuelle Wirkung demokratischer Staatsformen, dann kann ich einen Hörsaal besuchen und eine Vorlesung hören. Aber die Bühne sei davor bewahrt, dass aus dem Theater
ein Katheder werde (worüber man sehr gut bei Brecht nachlesen kann).
Die Kunst des Schauspielers diene dem Vergnügen des Zuschauers; wobei das Denken eine der vorzüglichsten Vergnügungen des Menschen ist (auch bei Brecht).

Ich bitte um Entschuldigung, wenn sich das wie eine Belehrung liest -
es soll eine Entgegnung sein.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Ibrik
Berlin-Pankow
Oedipus, Berlin: Luftwaffen-Rasche
der übliche Kanon des wild gewordenen Bildungsbürgers: noch mehr Sensation, noch ehr nackte Männer, noch mehr Männer in Kleidern - gääähn
Oedipus, Berlin: Kunstgewerbe
KUNSTGEWERBE. BEHAUPTET VIEL, TUT NICHT WEH.
Oedipus, Berlin: eitle Masche
Ich habe die Vorstellung am 29. September besucht.
Ich hatte den Eindruck, ich wohnte einer terrorisierenden Veranstaltung bei. (Fremdwörterbuch: terrorisieren - einschüchtern, vergewaltigen).
Ich erwarte, wenn ich ins Theater gehe (was ich oft tue), daß ich etwas über Menschen und deren Zusammenleben erfahre, und ich erwarte, daß meine Gedanken mindestens angeregt und meine Gefühle mindestens aufgewühlt, im besten Falle erschüttert werden. Das ist möglicherweise "altmodisch" - aber unlängst hat mir jemand auf diesem Kanal gesagt, altmodisch sein doch nichts Schlechtes.

Was habe ich gesehen?
Aus einer dunklen Nebelwolke taucht eine Gruppe von Menschen auf - der Anfang einer Geschichte aus grauer Vorzeit. Gut und verständlich. Aber dann werden die Hölderlinschen Verse gesprochen und in kleinste Partikelchen zerlegt: Mir war es kaum noch möglich, einen Sinnzusammenhang zu erfassen. Das wurde im weiteren Verlaufe immer schwieriger, weil die Schauspielerinnen und Schauspieler angehalten waren, den Text ohne sich anzusehen in den Zuschauerraum zu rufen oder zu schreien. Ihre Körper waren gezwungen im Gleichschritt auf der ständig rotierenden Drehscheibe zu marschieren, und meist gerieten sie im modischen Bühnennebel und in
andauernd schwachem Licht in die Unschärfe. Zugespitzt: Die Schauspielerinnen und Schauspieler waren ihrer Ausdrucksmittel beraubt -
mit- und gegeneinander handeln war kaum noch möglich, Vorgänge und Ereignisse ausgelöst durch Konfrontationen und unterschiedlichen Handlungsabsichten waren nicht herstellbar. Und wenn es den erfahrenen Darstellerinnen und Darstellern gelang, dem Text punktuell eine Erregung
beizugeben, so konnte ich nicht umhin zu denken, Theater kann auch sehr verlogen sein. "Halten zu Gnaden!"
Ich räume ein: Ich war nicht bereit, mich überwältigen zu lassen, und ich finde auch, das ist nicht die Aufgabe von Theater. Eine kathartische Wirkung, die der Tragödie immer noch angemessen ist, ist keine Überwältigung.
Ich bin sicher, die alte und starke Geschichte vom Oedipus ist auch heute
noch stark genug, um auf dem Theater zur Wirkung zu kommen, und Mittel der Darstellungskunst und des Theaters gibt es vielfältige - die angewendeten
Mittel halte ich für unbrauchbar, solche Aufführungen vernichten das Theater und die Schauspielkunst. "Halten zu Gnaden!"
Und das vorliegende Drama braucht keine Fremdtexte - der Zuschauer ist nicht so blöde, daß er Erklärungen braucht, er hat seine Erfahrungen und seine Fantasie, und beides bringt er mit ins Theater.

Was ich gesehen habe, scheint mir die eitle Masche und Manier eines Regisseurs zu sein, der bereits darauf verzichtet hat, sich dem Zuschauer verständlich zu machen - aber Theaterkunst braucht mehr als alle anderen Künste das Miteinander von Zuschauern und Machern.
Der Applaus war sehr zurückhaltend und mit einigen "Buhs" durchsetzt (wenn ich es richtig gehört habe), und die Pause, bevor er überhaupt einsetzte,
war nicht auf eine denkbare Erschütterung zurückzuführen, denn die war auch nur mit äußerlichen Effekten erzwungen , sondern eher auf eine Unsicherheit, ob denn hier zu applaudieren sei.
Was ich aber unfähig bin zu begreifen , ist die Tatsache : Dieser Regisseur wird mit seiner zuschauerfeindlichen Manier an den ersten Häusern des Landes herumgereicht. Was versprechen sich die Intendanten davon? Diesmal ohne: "Halten zu Gnaden!"

Ich lege wert auf die Anmerkung , bei dem vorstehenden Text handelt es sich um eine ganz subjektive Meinung. Niemand muß sie teilen, aber Widerspruch würde mich interessieren.

Mit freundlichen Grüßen
aus Berlin-Pankow
Peter Ibrik
Oedipus, Berlin: Nichts verstanden
Ich stimme Peter Ibriks Feststellungen vollinhaltlich zu. Habe mehrere Rasche-Inszenierungen gesehen und nichts verstanden, selbst wenn ich die Stücke kannte. Schauspiel ist anders. Und schade um den großen Aufwand und die großen Leistungen der Schauspieler, die hier richtiggehend verheizt wurden und noch werden.
Oedipus, Berlin: was Anke Engelke sagt
Anke Engelke war auch im Ödipus im DT! Hier der absolut hörenswerte Podcast zusammen mit Christian Thees bei SWR3. Allein die Zusammenfassung der Handlung ist Comedy at its best!

https://www.ardaudiothek.de/episode/anke-engelke-und-kristian-thees-wie-war-der-tag-liebling/kw-41-do-theater-und-teebeutel/swr3/93732194
Oedipus, Berlin: Die Rätsel
Damit entging Oedipus als einziger dem Ungeheuer, welches sich
aus Scham und Verzweiflung in den Tod stürzte.
Für seine Befreiung Thebens von der Sphinx bekam er Iokaste,
die Witwe des Königs Laios, zur Gemahlin und herrschte mit ihr
über Theben - ohne zu wissen, dass es sich bei Iokaste um seine
eigene Mutter und bei dem toten König um seinen von ihm selbst
vor Jahren im Streit getöteten Vater handelte.
So in dieser Weise erkannte Oedipus zwar das Rätsel der Sphinx,
das eigentliche Rätsel seiner eigenen Existenz (das wichtigste)
jedoch blieb ihm verborgen, wie es der Seher Teiresias in Sophokles`
Drama König Oedipus ihm vorwirft:
Du schaust umher und siehst nicht, wo du stehst im Üblen,
nicht wo du wohnst und nicht mit wem du lebst -
(Einwurf: Mit welcher Frau leben wir? Wer ist diese Frau?)
Weißt du, von wem du bist?

Das eigentliche Rätsel der eigenen Existenz bleibt den meisten Menschen
verborgen . . .
Woher kommen wir wer sind wir wohin gehen wir?
Oedipus, Berlin: Evolution
Zu Kommentar 9
Woher kommen wir? Fragen wir wie Oedipus, der Rätsel-Löser.
Angeblich haben wir bereits vor dem Urknall existiert, in Form von Information,
die in allem steckt. Auch die Evolution ist kein Zufall, sondern stets darauf ausgerichtet, alles Leben und damit auch die Menschheit auf eine höhere
Ebene zu stellen.
Wer wir sind, zeigt uns eindringlich die Tragödie des Sophokles.
Wohin gehen wir? Langsam gehen wir empor zu einer höheren Ebene.
So langsam gehen wir, dass wir es gar nicht merken . . .
Momentan ist unsere Aufmerksamkeit auf die Tragödie des Krieges
in der Ukraine gerichtet . . .
Kommentar schreiben