Riß im Weltgebäude

11. September 2021. Die Dramaturgin Gabriele Groenewold ist tot. Das wurde aus ihrem privaten Umfeld bekannt. Zwischen 1972 und 2000 arbeitete sie nach Anfängen im Theater Bremen an maßgeblichen Theatern wie dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und dem Schauspielhaus Bochum, wo sie von 1986 bis 1995 Chefdramaturgin war. Von 1995 bis 2000 war sie Dramaturgin in der Schaubühne am Lehniner Platz.

Die 1947 in Osterwieck / Sachsen-Anhalt geborene promovierte Philosophin gehörte zu den wenigen Frauen ihrer Generation in diesem Beruf, die in Leitungspositionen gelangten. Von 1982 bis 1986 war sie mit dem Rechtsanwalt Kurt Groenewold verheiratet, der u.a. als Verteidiger von Andreas Baader bekannt geworden ist.

"Es ist den Menschen gelungen, den Widerstand zu brechen, den die Welt ihrer Abnutzung entgegensetzt", schrieb Gabriele Groenewold für das Programmheft von Frank-Patrick Steckels Bochumer Inszenierung "Timon aus Athen", die 1991 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. "Der Riß im Weltgebäude, in dem man gemeint hatte, sich einrichten zu können, klafft als Abgrund. (...) Nirgends ist mehr ein Mittelpunkt, überall ist nur noch Peripherie, also ist überall nirgends. Und ist nirgends Welt. So hatte man in den Krater gestarrt, der Atlantis verschlungen hatte."

Am 29. Juli 2021 ist Gabriele Groenewold, wie erst jetzt bekannt geworden ist, in Berlin gestorben.

(sle)

 

Hier der Nachruf von Frank-Patrick Steckel, in dem er auch grundsätzlich über den Dramaturg:innenberuf und seinen gegenwärtigen Stand in den Theatern und der Gesellschaft nachdenkt. 

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Kommentare  
Gabriele Groenewold: Gewissen des Spiels
Liebe Gabriele:

"O wie einsam steht
nach dem Pflaumenblütenfall
jetzt die Weide da!"

Buson (1715-1783)

Am Schauspielhaus Bochum warst Du das Gewissen meines Spiels.
Gabriele Groenewold: unvergleichlich
Gabriele war sowohl in Bochum wie an der Schaubühne über einige Jahre meine Chefin. Das Wort passt so gar nicht zu ihr. Sie vertraute und inspirierte.
Gabriele Groenewold war unvergleichlich. Eine Besessene. Nicht nur in vielen Sprachen belesen, sie war lebensklug, ungemein witzig, eine, die wenn das Theater in Not war, im Nachtflug mal eben den „Sturm“ übersetzte; was herauskam, war keine Notübersetzung, sondern ein sprachliches Feuerwerk, das alle Töne zum Klingen brachte, alle Höhen und Tiefen auslotete.
Sie konnte unerhört gut erzählen, mit großem Charme und voller Esprit vortragen, die Dinge auf den Punkt bringen. Wenn man sie dazu ermunterte, sie einlud. In der Vordergrund gespielt hat sie sich nie. Sie konnte ebenso gut zuhören. Und nicht zu vergessen, sie war eine Kochkünstlerin, die für ihre Lieben Büffets zauberte.
Leider war sie für diese Theater/Welt zu fein, zu leise, zu empathisch. Ihr Faible für die letzten Dinge, für die das Theater ihrer Ansicht nach - nicht nur, aber auch! - zuständig war, hat sie immer wieder auf die dunkle Seite abdriften lassen. Die Kolleg*innen, die Arbeit, das Theater konnten sie immer wieder zurückholen. Gerufen hätte sie nie.
Gabriele Groenewold: gute Fee
Gabriele war eine Freundin. In den Jahren 1981 bis 1985, in denen wir beide am Schauspielhaus Hamburg engagiert waren, arbeiteten wir gemeinsam an Stücken, brüteten über die Gestaltung von Programmheften und Plakaten - und tauschten Kochrezepte aus. Als mein Sohn drei Wochen alt war und sie ihn vor der Universitätsbibliothek in ihren Armen hütete, während ich drinnen Bücher suchte, beschrieb sie ihm, zum Erstaunen vorbeigehender Passanten, Dreisternekochrezepte. Ich bin sicher, sie hat ihm als gute Fee die Liebe zum Kochen eingepflanzt. Wir blieben Freundinnen auch in ihren Bochumer Jahren, feierten die herrlichsten Koch-und Küchenfeste, wenn ich am dortigen Theater arbeitete. Ihre Besuche bei uns in der Schweiz, unser andauernder Briefwechsel, meine Besuche in Berlin erhielten die Freundschaft. Ich durfte noch ihre Freude an ihrem Enkel erleben. Ihre Krankheit, ihr Verschwinden ins Dunkel des Lebens machten mich traurig. Wie auch ihr Tod.
Gabriele Groenewold: Ungenügen der Gesellschaft
Hallo,
es ist wichtig und gut zu lesen, welche Wertschätzung und Liebe Gabriele Groenewold posthum erfährt.Es ist wichtig, weil ungeachtet ihrer vielen Begabungen diese Frau durch Raster fiel, und ich mich frage warum diese Tatsache zeitlebens so anonym bleiben konnte. Ich habe sie auch an der SB miterleben können und erinnere an eine sehr zugewandte aber auch scheue Frau, deren Können immer spürbar und im rauen Alltag des Theaters rückblickend (für mich) selten sichtbar war. Die Feinheit die sie mit sich trug hatte auch schon damals diesen dunklen Sog als Begleiter, den die Vorschreiber hier bereits ansprachen. Heute würde ich sagen, das das eine Anlage ist, die immer Fruchtbares hervorbringen kann, wenn sie anerkannt leben und handeln kann. Warum das über 20 Jahre nicht mehr gelingen konnte spiegelt das Ungenügen dieser Gesellschaft und der Theater hinsichtlich einer sich verantwortenden Position.
Gabriele Groenewold: Ausschluss der Leisen
Der Ausschluss der feinen Leisen aus den verantwortungsvollen (und damit gut bezahlten) Positionen in dieser Gesellschaft betrifft nicht nur Theater, sondern sämtliche Gesellschaftsbereiche. Es ist ein spezielles Ungenügen der Posten vergebenden/besetzenden Gesellschaft, das man auch Ausdruck von Dummheit auf vermeintlich hohem Niveau nennen kann... Tut man aber nicht. Lieber erzählt man den Mitmenschen von Jugend an, sie müssten stets unkompliziert freundlich und "offen" in Bewerbungsverfahren wirken. - Und vergisst dabei, dass Wirkung und Sein nicht immer deckungsgleich sind - wenn man das nicht einmal im Theaterbereich weiß, ist das allerdings ein intellektuelles Armutszeugnis....
Gabriele Groenewold: zu spät
Gabriele, dies gerade lesen zu müssen, macht mir das Herz wirklich schwer.
Gabriele Groenewold war meine Kollegin am Bochumer Schauspiel. Sicher, es gab Tage, da war unser Verhältnis nicht immer ganz entspannt, aber sie war für mich wie für die anderen Kollegen immer das unbestrittene Zentrum der Dramaturgie. Ich mochte ihren Verstand, ihren mitunter leicht ironischen Ton, der einen schon selbst meinen konnte, ohne jemals aber verletzend zu sein, das bis zur Erschöpfung gehende Engagement für ihr Theater und vor allem den wundersamen Kosmos ihres Büros, dessen innere Struktur sich vielleicht einem Außenstehenden entzog, aber der sich für sie - und letztlich auch für uns – zu einem selbstverständlichen Ganzen fügte. Dort zu sitzen, konnte wirklich bereichernd sein. Es gab oft Zeiten, da habe ich sie an anderen Theatern als Mensch und Kollegin sehr vermisst. Es hätte mir geholfen. Nun ist es zu spät. Schade.
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