Ein leichtes Säuseln von Liftmusik

von Felizitas Ammann

Zürich, 23. Mai 2007. Im Jahr 2007 wird – nach einem Bericht der Vereinten Nationen – zum ersten Mal in der Geschichte die Mehrzahl der Menschen in Städten wohnen. Das wars dann aber auch schon mit der Realität in der Gessneralle am Mittwochabend. Die Zürcher Gruppe Plasma interessiert sich mehr fürs Experiment denn für schnöden Naturalismus. 

Deshalb ist ihre Global City kein Slum und keine Suburb, sondern schickes Down Town, das an Manhatten erinnert. Eine eindrückliche Menge weißer Klötze als Hochhäuser, die in Richtung Horizont paradoxerweise höher statt kleiner werden und in deren Schluchten die Performer immer wieder verschwinden. Manche dieser Kuben haben die richtige Höhe für ein Mikrofon, dann sind sie Rednerpulte oder Check-in-Schalter. Da gibt es Störgeräusche, falsche Übertitelungen und Übersetzungen vom Dänischen ins Hebräische. Gescheiterte Kommunikation, wohin Auge und Ohr reichen – wir sind beim Kerngeschäft von Plasma.

Tücken der Kommunikation
Seit 2000 existiert die mittlerweile auch im Ausland sehr gefragte Gruppe um Lukas Bangerter, der sich in Personalunion um Regie, Bühne und Text kümmert. Und ebenso lange steht Plasma irgendwie quer in der Theaterlandschaft: Beständig und fleissig schafft die Gruppe mit einem festen Kern knapp zwei Produktionen pro Jahr, alle sehr sorgfältig gearbeitet, alle stilistisch sehr ähnlich: Formationen, Strukturen, detailversessene Choreografien, festgelegt bis zum kleinsten Hüsteln. Streng durchnummeriert haben sie ihre Projekte (das aktuelle ist Nummer 11), die sich mit Versuchsanordnungen beschäftigen, mit dem Nimbus der exakten Wissenschaften, und eben, mit den Tücken der Kommunikation.

Doch die besessen präzise Arbeitsweise hat ihre Tücken: Das komplexe Plasma-Uhrwerk aus Gesten, Gängen, Text, Licht und Musik ist bei der Premiere noch nicht eingespielt, die Pointen sitzen nicht, die Performer scheinen vor lauter Konzentration manchmal nicht so recht ins Spiel zu finden. Das wird sich nach einigen Vorstellungen erfahrungsgemäss einpendeln.

Das auf acht Leute angewachsene Ensemble (Hagar Admoni-Schipper, Wowo Habdank, Janet Haufler, Helene Hoem, Norbert Klassen, Jorgos Margaritis, Andreas Spaniol, Jesko Stubbe) geht zwischen den weißen Hochhäusern hin und her, immer schön im rechten Winkel und häufig im Gleichschritt. "Walk Don’t Walk". Der Zufall ist im Spiel und viel Einsamkeit. Treffen die ewigen Großstadt-Singles aufeinander, so wird hektisch geplaudert, verzweifelt, aggressiv. "Sehen wir uns wieder", fragt einer – "Vielleicht."

Wer hat die Stadt gemacht?
Überhaupt hat man nicht mehr viel direkten Kontakt, davon zeugt eine durchdrehende Helpline ebenso wie nächtliches Geplauder durchs Glasfaserkabel. Man ist abgekoppelt von den simpelsten Vorgängen, die doch bestimmt irgendwann einmal einfach nachvollziehbar waren. So versuchen die Figuren unermüdlich, den Ursprung zu finden, den Anfang von dem, was nun als fertige Stadt da ist. Und scheitern zwangsläufig. "Ich habe sie nicht gemacht, diese Stadt", brüllt einer, "Im Gegenteil. Sie macht mich! Ich gehe im rechten Winkel und im Fahrplantakt."

Ebenso wie die Figuren vor lauter funktionierenden Strukturen nie mehr einen Anfang finden werden – genau so kommt Plasma an diesem Abend vor lauter Oberfläche nie zu den (eigentlich von ihnen erwarteten) Strukturen: Die Gruppe bleibt beim Äußerlichen, beim aufgesetzten Tonfall eines Partygesprächs, beim leichten Säuseln von Liftmusik und vor allem bei der Projektionsfläche Kino. Statt Megacities des 21. Jahrhunderts zeigt Plasma nämlich erstaunlicherweise Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts. Verkorkste Gespräche à la Woody Allen, melancholische Taxifahrten wie in "Night on Earth", und schliesslich sogar Norbert Klassen, das Berner Performance-Urgestein, als King Kong. – Wer einen Blick auf Grossstädte wirft, der findet vor lauter kollektivem Filmgedächtnis gar keine eigenen Bilder mehr, vielleicht ist es das, was uns "Walk Don’t Walk" letztlich zeigt.

Oder vielleicht gilt für New York, was manche von Amerika überhaupt glauben: Dass es gar nicht existiert und sich das nur niemand zu sagen traut. Und deshalb werden eben immer wieder die gleichen Straßenszenen und Dialogfetzen daraus reproduziert – auf dass es niemand merke.

 

Walk Don't Walk. Projekt 11
von Plasma
Regie / Bühne / Text: Lukas Bangerter, Kostüm / Ausstattung: Petra Kenneth, Musik: Jan Ratschko.
Mit: Hagar Admoni-Schipper, Wowo Habdank, Janet Haufler, Helene Hoem, Norbert Klassen, Jorgos Margaritis, Andreas Spaniol, Jesko Stubbe, Martin Wigger.

http://plasma-aktuell.blogspot.de
www.gessnerallee.ch

 

Kritikenrundschau

Christine Weder von der NZZ (25.5.2007) fasst die Inszenierung von Lukas Bangerter vor allem als detailreiche Installation auf: "Jedenfalls ist die Stadtwelt dieser beliebigen Weltstadt nicht zweigeteilt in tote Infrastruktur und lebendige Einwohner, sondern alles zusammen bildet ein kompliziertes System, das sich notdürftig einige Regeln gibt gegen das Chaos des Verkehrs." Man verstehe angesichts der "Präzisionsinstrumente" dieses Abends immer genauer, dass man nicht verstehe. Wobei es zu einem "tiefer gehenden Blick auf den Grund der Häuserschluchten" zwar nicht komme. "Aber kurz bevor es langweilig wird, ist es auch schon zu Ende."  

Charlotte Staehelin meint im Tagesanzeiger (25.5.2007), dass die Arbeit immer dann "stark" sei, wenn es um die Großstadt als "komplexes System mit wechselseitigen Abhängigkeiten, parallel verlaufenden Ereignissen und einer fatalen Eigendynamik" gehe. "Seichter wird es, wo Bangerter die Großstadt inhaltlich zu porträtuieren sucht: Der Smalltalk im Taxi, der Beziehungsdurst in Bars und Klubs oder die Ausbruchsfantasien der Büromenschen überraschen wenig." 

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