Konfetti gegen die Angststarre

Köln, 2. Oktober 2021. In "Metropol" erzählt Eugen Ruge eine Dreiecksgeschichte während der stalinistischen Säuberungen. Idealer Stoff für Regisseur Armin Petras, der in großen Szenenbildern von Machtgier und Gehorsam erzählt.

Von Dorothea Marcus

Konfetti gegen die Angststarre

von Dorothea Marcus

Köln, 1. Oktober 2021. 477 Tage lang warteten Eugen Ruges Großeltern Charlotte und Wilhelm im legendären Moskauer Jugendstil-Luxushotel "Metropol" auf ihr Urteil, nachdem sie denunziert und entlassen worden waren – einzig und allein, weil sie mit einem vermeintlichen Volksfeind bekannt waren. Tür an Tür lebten sie im Metropol etwa mit dem Großschriftsteller Lion Feuchtwanger, der als zweimonatiger Stargast von Stalin dessen Schauprozesse bewunderte. So pompös wie Feuchtwanger wohnten die beiden allerdings bei weitem nicht, mussten selbst ihr Frühstück zahlen und fühlten sich wie Ausgestoßene in einem seltsamen Zwischenreich, während um sie herum nach und nach ihre Mitverbannten verschwanden, denn Stalins "Großer Terror" machte zwischen 1936 und 1938 fast vor niemandem Halt.

In seinem großartigen Roman "Metropol" hat Buchpreisträger Eugen Ruge die demütige Angststarre der aus Nazi-Deutschland geflohenen, glühenden Kommunisten eingefangen und holt die paranoide Willkür dieser Jahre ganz nah an den Leser heran.

Auf den Tischen im Hotel-Speisesaal

Stimmig also, dass Olaf Altmann die Bühne des Depot 2 in Köln in einen Wartesaal aus eng gestellten Stühlen und Tischen verwandelt hat, wie eine Art Schachbrett, aus dem die Figuren willkürlich herausgekickt werden, ihre Posten verlieren, hingerichtet werden. Eine graue Gefängnisanstalt, in der sie ihre Tage fristen. Zugleich eben wirklich der Speisesaal des Hotels, und Projektionsfläche für alles, was an diesem Abend geschehen wird: für Tanz, Hinrichtungen, Sex und Revolutionsparaden mit roten, wehenden Flaggen und Raketenmännchen.

3630 metropol1 thomas aurin 600 8052mAufstand und Revolutionsparade in Armin Petras' "Metropol" am Schauspiel Köln © Thomas Aurin

Aber zunächst lässt Regisseur Armin Petras auf einen der Tische seine Hauptfigur Charlotte (Yvon Jansen) steigen, tapfer und naiv die Errungenschaften des Kommunismus preisen. Irgendwie hat sie ja auch recht: Wer könnte etwas gegen Frauenrechte. Gleichheit, Bildung und Medizin für alle sagen. Warum nur ist der Sozialismus so übel gekapert worden.

Aus Charlottes Perspektive

Während Ruges Roman aus drei Perspektiven erzählt, fokussiert sich Armin Petras auf Charlottes Sicht der Dinge, pointiert die Eifersuchtsgeschichte zwischen ihr und Hilde, der Exfrau ihres Mannes. Er bricht die Erzählstruktur frei und neu dialogisch getextet in Kleinst-Sketche auf, die sich locker abwechseln wie Tupfer des großen sozialistischen Szenenbilds, den Moskauer Schnee werfen die Figuren aus den Manteltaschen wie Konfetti in die Luft.

3619 metropol1 thomas aurin 600 2240mMoskauer Schnee rieselt in Armin Petras' "Metropol"-Inszenierung in Köln © Thomas Aurin

Blitzschnell werden die Nebenfiguren an- und wieder ausgezogen mit Hilfe der Garderobenständer an der Seite, werden zu Hotelbediensteten, Arbeitskollegen, Angeklagten. Mal geht es in so einem Sketch um die Winterschuhe von Charlotte, die mit Pappe besohlt sind, mal um ihren Sohn, der sie nicht mehr sehen will, seitdem sie mit einem Volksfeind bekannt ist, mal ist da eine ganze kommunistische Oper im Bolschoi-Theater nachgestellt.

Von wegen faule Zähne ziehen

Immer wieder spielt auch Hilde eine Rolle, die Ex-Frau von Wilhelm, die die beiden erst angeschwärzt hat und die Sabine Waibel sehr sensibel und menschlich spielt: mit zunehmender Verhärmtheit und Verzweiflung und dabei doch standhafter Schönrednerei: "Wir müssen die faulen Zähne ziehen, bevor sie uns vergiften" – bis sie am Ende dann selbst verhaftet und erschossen wird.

3618 metropol1 Thomas Aurin uYvon Jansen als Charlotte und Sabine Waibel als Ex-Frau Hilde © Thomas Aurin

Die dritte Innenschau, die Ruge beschreibt, ist der sowjetische Scharfrichter Wassilj Ulrich. Bei Petras ist sein Darsteller Nikolaus Benda ganz und gar entmenschte Karikatur mit Fatsuit und Gummimaske, absurd mit Goldketten und Orden dekoriert – während Feuchtwanger (Simon Schwan) arrogant in Bademantel und Zigarre am Frühstücksbüffet aus Kaviar posiert. Ein männliches Gruselkabinett ist das, in dem, aber das nur am Rande, permanent und geradezu zuschauerbelästigend Kette geraucht wird. Ohnehin bebildert Petras üppig, schwemmt mit Musik – zauber- bis bewusst schauderhaft und oft viel zu laut changieren die vielen kommunistischen Lieder, die gesungen und gespielt werden vom Live-Pianisten Sven Kaiser am Bühnenrand, der von Hotel-Salonmusik bis zur kämpferischen Internationale alles drauf hat.

Machtgier statt Zukunftsvision

Der Terror, die Bedrohung und Beklemmung, die aus dem Roman an jeder Stelle sprechen, kommen in der bilderfreudigen Sketch-Struktur allerdings oft harmlos daher, ein milder, lustiger Blick auf all das, was alles im Sozialismus nicht geklappt hat – um dann zuweilen mit einem ohrenbetäubenden Schuss unterbrochen zu werden. Wieder einer weg.

Der erste, Emel, wird noch von einem halbnackt-behaarten Affenwesen um die Ecke gebracht – ganz deutlich geht es Armin Petras an diesem Abend eben nicht um die Ideologie des Kommunismus selbst, sondern darum, wie der Mensch auch noch jede so kleinste Zukunftsvision in maskulin-toxische Machtgier verwandelt. Dass alles vom Autor Ruge ausrecherchiert wurde, der die Kaderakte seiner Großmutter fand, wird in Petras Theatralisierung folgerichtig auch nur am Ende im Abspann auf die Leinwand projiziert wie eine Fußnote.

Glaube um jeden Preis

Wie war dieser absolute Selbstbetrug (der unter anderem in Stalins Geburtsstadt Gori ja bis heute anhält), die fanatisch standhafte Selbstmanipulation, von der sich auch ein Feuchtwanger nicht frei machen konnte, nur möglich? Rot glüht eine kleine Sowjetflagge an der Hallenwand des Depot 2, leuchtet ein kleines Stalin-Porträt auf dem Tisch – so klein, und doch haben sie alles durchdrungen.

In Wirklichkeit scheint es Petras jedoch gar nicht unbedingt um Stalin zu gehen, sondern um die Insignien toxischer, männlicher Macht – Szenen, wie etwa mit Scharfrichter Ulrich nehmen viel Raum ein. Und so ist dieser Abend oftmals etwas zu verschwenderisch bebildert, zu theatralisch dialogisiert. Und zeigt doch, kurzweilig, fantasievoll und fokussiert, dass Menschen nichts lieber als irgend etwas glauben wollen, um den Preis von Gehirnwäsche und Manipulation, Verdächtigung und Verrat.

Metropol
von Eugen Ruge
Uraufführung
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Cinzia Fossati, Musik: Sven Kaiser.
Mit: Yvon Jansen, Ronald Kukulies, Sabine Waibel, Benjamin Höppner, Lola Klamroth, Nikolaus Benda, Simon Schwan, Live-Musik: Sven Kaiser.
Premiere am 1. Oktober
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

Die "immerwährende Bedrohung" sei auf "jeder Seite des Romans mit den Händen greifbar", doch Regisseur Armin Petras wolle "anscheinend nicht, dass die Zuschauer vor Beklemmung in ihren Sitzen erstarren", findet Axel Hill in der Kölnischen Rundschau (4.10.2021): "Immer wieder kippt die Haltung ins Komische, vor allem für die Slapstick-Vorgaben ist natürlich Benjamin Höppner ein dankbarer (und exzellenter) Abnehmer." Zwar würden auch an diesem Abend "wie so oft bei Romanadptionen" bestimmte Handlungsstränge "extrem verkürzt", aber Petras gelinge "eine kluge Kondensation", die "zurecht bei der Premiere bejubelt" worden sei.

Wie "Armin Petras mit einem wunderbaren Ensemble die Ängste und Hoffnungen einer Handvoll Deutscher, gefangen in der Falle einer peu à peu zerrinnenden großen Illusion, anschaulich werden lässt, das ist unbedingt sehenswert", urteilt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (6.10.2021). In "einer seiner besten Inszenierungen der letzten Zeit" wähle Petras "die einfachsten Mittel, es sind die richtigen. Wenn es schneit, holen die Spieler Konfetti aus den Manteltaschen, eine Kinderrolle wird durch eine Lokomotive auf dem Kopf annonciert."

 

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