Pollesch wäre das nicht passiert - Hessisches Landestheater Marburg
Nicht ohne meinen Tatortkommissar
3. Oktober 2021.Für Freunde des Anspielungstheaters: "Pollesch wäre das nicht" passiert heißt das Stück von Anah Filou. Und ja, es gibt auch einen Herrn Wuttke darin.
Von Martin Schäfer
2. Oktober 2021. Verstehen heißt, sich ein stückweit aufeinander zubewegen. Jedenfalls zum Verstehenwollen die eigene Perspektive nicht als absolut zu setzen. Und so dreht sich die Performance "Pollesch wäre das nicht passiert" in fulminanten Assoziationsketten und dichten Sprachspielen um den Versuch des Verstehens, die Lust am Nicht-Verstehen-Wollen und um die Möglichkeiten unseres Versammlungszusammenhangs. Sprachspiele und Wortneuschöpfungen kennzeichnen die Performance "Pollesch wäre das nicht passiert" der Wiener Autorin Anah Filou, die jetzt am Landestheater Marburg ihre Uraufführung fand.
Von Theatermenschen und Bahnreisenden
"Versammlungszusammenhang" können sein: das Theater mit seinem Publikum, Zugreisende in einem Bahnhof oder Zug, sowie jede Gruppe an Menschen, die ein gemeinsames Bewegungsziel haben.
Im Stück verwebt Filou die Motive von Theater, Rollenspiel, Publikumsansprache mit dem Bahnhof, Fahrgästen und Reisezielen. Herr Wuttke (in Anspielung auf Martin Wuttke, Tatortkommissar; gespielt von Zenzi Huber) wechselt in den Beruf des Schaffners (Neuschöpfung: Fahrkartenverkaufsmensch), um "Bewegungsbillets" auszustellen. Leider scheitert die Verständigung mit Anna (gespielt von Mia Wiederstein), die nach Andorra strebt, und der Figur "ich selbst" (hinreißend gespielt von Marie Wolff) an – logisch – Formalitäten: die Authentifizierungsausweisaktionen laufen ins Leere. Mensch redet haarscharf aneinander vorbei. Im Bahnhof von Konstanz (einer der vielen Spielorte) bleibt alles nebulös, genauso wie der Nebel des Bodensees – oder der Theaternebel. Schließlich steht mensch auf einer Bühne.
Gaststar Freddie Mercury
Gebrochen wird alles durch die Figur der Queen (gespielt von Saskia Boden-Dilling), die mit Freddie-Mercury-Schnauzer, viel Glitzer und "It's a kind of magic" auf den Stimmbändern aus der cremefarbenen Bühnenstaffage steigt, mit kurzem Zwischenspiel und starker Klangkulisse sogleich die Hauptrolle reklamiert, aber dann in einem hinreißenden Monolog ihre Rolle reflektiert und ablegt, wenn nicht abschüttelt. Der Schnauzer segelt leicht und satt auf den Bühnenboden.
Bleiben die großen Zusammenhänge in assoziativer Verknüpfung: kein Theater ohne Publikum, keine Bahn ohne Zugreisende. Am Ende kommt mensch irgendwo an und muss auch nicht jede Assoziation mitgehen. Der titelprägende Pollesch ist übrigens für die Figur "ich selbst" nur ein Eigenname. Fürs Publikum ohne Bedeutung. Anklänge an bekannte Größen der Theaterlandschaft sind rein willkürlich. Vielleicht blieb Pollesch auch einfach nur so schön in Filous Alliterationssieb hängen.
Ein Fest fürs Theater
Das Stück der 32-jährigen Autorin Anah Filou entstand in einer ersten Fassung während eines 24-Stunden-Stückewettbewerbs am Theater Konstanz. Das Landestheater Marburg fand am Text Interesse. Da Corona die Uraufführung vergangenes Jahr in Marburg unterband, entwickelten die Autorin, die Regisseurin Romy Lehmann und die Dramaturgin Christin Ihle das Stück fortwährend weiter.
"Ein Fest fürs Theater" sollte es werden, und alle Register gezogen: in Text, Sprachwitz, Klang, Bühneneffekten (auch Theaterdonner und laaaaange Stille in Dunkelheit durften nicht fehlen). Nach Angaben der Autorin alles in einem: Komödie (ja, es wurde viel gelacht und gekichert), Tragödie (mensch redet gern aneinander vorbei), Krimi (Fahrkartenverkaufsmensch Wuttkes Vorleben als Tatortkommissar), Revue (bunt, grell, beschwingt – bestes Musiktheater) und ein Lehrstück über das Verstehen. Haben wir verstanden.
Pollesch wäre das nicht passiert
von Anah Filou
Regie: Romy Lehmann, Bühne und Kostüme: Hannah von Eiff, Physical Theater und Körperarbeit: Saskia Rudat, Dramaturgie: Christin Ihle.
Mit: Saskia Boden-Dilling, Zenzi Huber, Mia Wiederstein, Marie Wolff.
Premiere am 2. Oktober 2021
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.hltm.de
Kritikenrundschau
Immerhin der Name des "berühmt-berüchtigten René Pollesch" habe es auf die Bühne des Hessischen Landestheaters geschafft – und vielleicht hätte ihm das nach ihm benannte Stück sogar gefallen, spekuliert Volker Kubisch in der Oberhessischen Presse (5.10.2021), obwohl oder gerade weil schon bei der in strahlendem Pink gestalteten Bühne "nicht ganz klar" sei, was diese eigentlich darstelle: "Bahnhof, Theaterbühne, irgendwas dazwischen?" Die Figuren jedoch seien "hinreißend gezeichnet" in ihrem Suchen nach dem Verstehen und Verstanden werden.
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