Pussy Terror in der Ehehölle

Mainz, 8. Oktober 2021. Die Frau will nicht spuren, also wird sie gefügig gemacht: "Der Widerspenstigen Zähmung". Das ruft nach Unterbrechung. In Mainz bürstet Stephanie van Batum Shakespeares Drill-Komödie gegen den Strich.

Von Shirin Sojitrawalla

Pussy Terror in der Ehehölle

von Shirin Sojitrawalla

Mainz, 7. Oktober 2021. Die Feministin und Historikerin Mary Beard veranschaulicht in ihrem Buch "Frauen und Macht", wie Frauen in der Kultur konsequent zum Schweigen gebracht wurden und wie das Redendürfen mit dem Wahrgenommenwerden verschränkt ist. So ist es natürlich kein Zufall, dass die Frauen in Shakespeares Komödie "Der Widerspenstigen Zähmung“ den ganzen ersten Akt lang keinen Pieps von sich geben. Dabei sind die beiden Schwestern Bianca und Katharina wahrlich nicht auf den Mund gefallen. In Mainz reden sie aber zum Glück mehr, als Shakespeare ihnen zutraut.

Frauen wachsen über Shakespeare hinaus

Die Regisseurin Stephanie van Batum findet, dass das Stück eigentlich nicht mehr aufgeführt werden sollte. Zu platt, zu sexistisch. Als es ihr angeboten wurde, hat sie folgerichtig erst einmal abgelehnt. Doch alte Stücke gehörig durchzulüften, gehört inzwischen zum Theateralltag, und so bürsten Batum, ihr Team und das Ensemble Shakespeares Stück feministisch auf und bringen es mit wachem Blick in neuer Lesart auf die Bühne.

Der Widerspenstigen Zaehmung 1 AndreasEtter uMänner als Fußabtreter: Gese Geue mit Rainer Frank und am Boden: Simon Braunboeck und Ulrich Cyran © Andreas Etter

Bettina Kirmair hat diese pinkfarben ausgeschlagen und pinke Vorhänge drapiert. Ein paar Podeste sind das einzige Mobiliar. Dort präsentieren sich die zwei ungleichen Schwestern für ihre Traumhochzeit. Bekanntlich soll erst die kratzbürstige Katharina unter die Haube, bevor die liebreizende Bianca an einen ihrer vielen Freier verscherbelt wird. Letztere tritt in Mainz in Gestalt der strahlenden Gesa Geue auf, die in schneeweißem Kleid und mit Monroe-Attitüden den Po raus streckt und ins Publikum zwinkert. Von Gesa Geue stammen auch die zugefütterten Texte, die das Stück auf den neuesten Stand in Sachen Geschlechterverhältnis und Frauenbilder bringen.

Männer wie Fliegenpilze

Die widerspenstige Katharina von Lisa Eder wirkt in diesem Zusammenhang in ihren Schnellfickerhosen etwas tomboyhaft und mit ihrem schwerfälligen Gang manchmal auch etwas lahm im Vergleich zu ihrer zackigen Schwester. Zu ihrem Angetrauten hat diese Katharina nie Ja gesagt. Zwangsehe halt. In Mainz entspinnt sich im Gegensatz zum Original auch nicht die zarteste Anziehung zwischen den beiden. Zu Recht, wandelt sich Petruchio doch auf offener Bühne vom lustigen Prolo mit Herz und Hang zum Herrenwitz zum frauenhassenden Tyrann.

Der Widerspenstigen Zaehmung 2 AndreasEtter uMismatch: Der Zotige (Klaus Köhler) und die Widerspenstige (Lisa Eder) © Andreas Etter

Klaus Köhler spielt das so, dass man anfangs noch lachen kann über seine breitbeinig vorgetragenen Schoten. Alle auftretenden Männer scheinen erst einmal nichts ernst zu nehmen in diesem bunten Spiel. Janine Dollmann hat sie toll zurechtgemacht und als Karussellschubser, Macker, Ballonseidenbarone, Camouflageprepper verkleidet. Männer, denen man ihre Giftigkeit ansieht wie Fliegenpilzen. Ulrich Cyran gibt hier Gremio als wirklich wildes Ding, Simon Braunboeck Hortensio als närrischen Haudrauf und Mark Ortel ist als Lucentio ein niedlicher Kurt-Krömer-Verschnitt, der zwingend um Bianca wirbt, während Rainer Frank einen quirlig tätowierten Brautvater hinschlenzt.

Vom Trash zum Clash

Wenn diese Männer am Ende an der Rampe stehen und über Frauen hetzen, sie herabwürdigen, sie verhöhnen und verachten, indem sie Witze erzählen, die vor Misogynie triefen, ist alle Leichtigkeit dahin, der rustikale Charme aufgebraucht. Es verschlägt einem die Sprache, der sprichwörtliche Kloß im Hals wächst. Dabei waren nicht lange zuvor noch alle bei bester Laune, die drei Freier hatten noch um Biancas Herz gebuhlt wie Junggesellen bei der Flirtshow "Herzblatt" (Gott hab sie selig). Wie überhaupt die Inszenierung mit Anleihen bei unterschiedlichen Fernsehformaten deutlich macht, wie trashig der Gang der Handlung ist.

Der Widerspenstigen Zaehmung 3 AndreasEtter uHat die Schnauze voll: Lisa Eder spielt Katharina, die nur mit größtem Zwang zähmbare Widerspenstige © Andreas Etter

Shakespeare als Spielshow. Und ein extrem verspielter Abend mit viel Musik, der bei aller Aufgedrehtheit schon mal durchhängt, Pussy Terror mit Frauenbewegungen kreuzt, munter Hashtags ausposaunt, gewitzt Englisches einspeist, das Internet zitiert und einen hübschen Emoji-Dialog zweier Smartphones belauscht. Doch das Ganze ist eben nicht nur launig locker, der Ton wird rauer, der Abend zusehends drastisch. Nach der Hochzeit von Katharina und Petruchio entwickelt sich die Zweisamkeit des Paars ad hoc zur Ehehölle.

Katharina bibbert schließlich als gequälte, ausgelieferte Frau in Unterhosen und Stiefeletten auf der Bühne und reproduziert zu oft gesehene Bilder des sexy Opfers. Gezähmt scheint diese Katharina fürwahr. Und verloren. Selbstverständlich belässt es der Abend nicht dabei. Wo kämen wir da auch hin? Das Ende stammt zwar nicht von Shakespeare, ist aber konsequent, wenn auch vorhersehbar. Katharinas Gehorsams-Monolog spricht in Mainz Petruchio. Der Rest bleibt ein böses Märchen. Im Grunde genommen gar nicht lustig.

 

Der Widerspenstigen Zähmung
nach William Shakespeare
mit Texten von Gesa Geue
Inszenierung: Stephanie van Batum, Bühne: Bettina Kirmair, Kostüme: Janine Dollmann, Licht: Frank Stähr, Dramaturgie: Rebecca Reuter.
Mit: Rainer Frank, Lisa Eder, Gesa Geue, Klaus Köhler, Mark Ortel, Simon Braunboeck, Ulrich Cyran.
Premiere am 7. Oktober 2021
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-mainz.com

 

Kritikenrundschau

"Hier wird mit Klischees gespielt," schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (9.10.2021). "Das leichte Überdrehen der Schraube macht es lustiger und übler zugleich. Der ganze Abend ist eine grelle Offensive – dahinter die Theorie, vorne aber das Theater, auch Shakespeares flotte Verse –, mit denen das Ensemble noch dazu glänzend gelaunt viel anzufangen weiß. Ein Vorstoß auf uraltes Kampfterrain, nur dass die Frauen nicht stillschweigen." Der Hashtag Metoo werde aufgerufen, aber er nutze dermaßen nichts, dass es beunruhigend ist. Wie auch die bizarr gezeichneten Männer aus Sicht dieser Kritikerin unangenehm glaubwürdig sind. "Es soll penetrant sein und ist penetrant, zwei temporeiche Stunden lang bis zum Komödienende."

 

mehr nachtkritiken