Regensburg: Proteste wegen Nichtverlängerungen
Kritik an der althergebrachten Praxis
18. Oktober 2021. In einer Stellungnahme protestieren die Sänger:innen, Schauspieler:innen, Tänzer:innen sowie weitere künstlerische Mitarbeiter:innen des Theater Regensburg gegen Nichtverlängerungen, die mit dem nächsten Intendanzwechsel verbunden sind.
In einem offenen Brief heißt es, dass man die Zahl der drohenden Nichtverlängerungen – knapp 40 – für völlig übertrieben halte: "Eine hohe Zahl, und das in einer immer noch andauernden Pandemie. Freie Stellen an den Theatern gibt es noch weniger als sonst. Ein Folgeengagement zu finden, ist folglich noch schwerer. Nichtverlängerungen sind auch vor diesem Hintergrund zu bewerten und nicht mit zynischer Romantik à la 'Die Gaukler brauchen wieder frischen Wind um die Nase' abzutun. Wir stellen ebenfalls nicht die Zeitverträge am Theater in Frage, sondern die Praxis, wie der 'Nichtverlängerungsgrund Intendantenwechsel' gelebt wird." Die komplette Stellungnahme als PDF lesen Sie hier.
37 Einladungen zu Nichtverlängerungsgesprächen seien insgesamt rausgegangen, davon wurden neun Nichtverlängerungen bereits im Sommer ausgesprochen.
Unzeitgemäße Kommunikation
Neben dieser Praxis stellen die Künstler:innen auch die Kommunikation in Frage. Der designierte Intendant Sebastian Ritschel tritt sein Amt zum Saisonstart 2022/23 an. Seit der Berufung im November 2020 seien keine Pläne bekannt geworden und es seien im Vorfeld so gut wie keine Gespräche geführt worden. "Das ist schlicht nicht mehr zeitgemäß", hatte das Ensemble bereits Anfang Oktober an den Verwaltungsrat des Theaters geschrieben, aber demnach bisher kaum Reaktion erhalten.
Vergangene Woche hatte die Brücke-Fraktion im Regensburger Stadtrat bereits Kritik geübt. Das Theater Regensburg hatte daraufhin in einer Presseaussendung mitgeteilt, dass von einem Kahlschlag nicht die Rede sein könne. "Die Stellen fallen nicht grundsätzlich weg. Insgesamt beschäftigt das Theater Regensburg rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 130 mit dem Tarifvertrag NV-Bühne, von denen nur ein gewisser Anteil betroffen sein wird."
Weiter heißt es: "Der lange Vorlauf von mindestens zehn Monaten bis Vertragsende dient dazu, dass sich betroffene Beschäftigte rechtzeitig um ein Folgeengagement bemühen können. Auch um soziale Härtefälle zu eruieren, gibt es die laufenden Anhörungen. In jedem Fall handelt es sich um sogenannte Nichtverlängerungen von Verträgen, nicht um Kündigungen. Das ist im Tarifvertrag NV-Bühne begründet und allen Beschäftigten mit Künstlerverträgen bekannt."
(sik)
Mehr:
- Im November 2020 hatte es am Theater Vorpommern Proteste gegen Nichtverlängerungen gegeben - Meldung vom 25. November 2020
- Über den Kampf der Ensembles gegen Nichtverlängerungen berichtete Sophie Diesselhorst in dem Band Theater und Macht, der von nachtkritik und der Heinrich-Böll-Stiftung im Mai veröffentlicht wurde. Hier der Link zum Download.
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr meldungen
meldungen >
- 28. März 2024 Berliner Theatertreffen: 3sat-Preis für Jenaer Arbeit
- 28. März 2024 Berlin/Bremen: Geschäftsführer Michael Helmbold verstorben
- 28. März 2024 Neues Präsidium für Deutsche Akademie der Darstellenden Künste
- 26. März 2024 Günther-Rühle-Preise vergeben
- 26. März 2024 Mülheimer Theatertage: Preisjurys berufen
- 26. März 2024 Theatertreffen der Jugend 2024: Auswahl steht fest
- 26. März 2024 Schauspieldirektor Maik Priebe verlässt Neustrelitz
- 25. März 2024 Dramatikerpreis für Correctiv-Autor:innen L. Lax und J. Peters
neueste kommentare >
-
hildensaga, Berlin Wo ist der Witz?
-
hildensaga, Berlin Feminismus
-
Chico Citrone, Schwerin Warnung!
-
hildensaga, Berlin Karger Männerblick
-
Preisjury Mülheim Um Himmels Willen
-
Auswahl Mülheim Liste?
-
Auswahl Mülheim Erwartbar + bieder
-
3sat Preis Frage
-
Reise des G. Mastorna Wahnsinn
-
Reise des G. Mastorna, Heidelberg Bildgewaltig
Wenn man von den 130 NV-Bühne-Beschäftigen mal die mit SR Chor, SR Technik und diejenigen die über 15 Jahre am Haus beschäftigt sind abzieht, dann bleiben vermutlich nicht viel mehr als diese 40 Mitarbeiter*innen übrig, denen man so einfach die Nichtverlängerung erklären kann.
Ganz besonders ärgert mich dieses Totschlagargument: »Das ist im Tarifvertrag NV-Bühne begründet und allen Beschäftigen mit Künstlerverträgen bekannt.« Klingt für mich wie: »Das war schon immer so, das wird immer so sein.«
Diese veralteten Theatervertragsstrukturen gehören schon lange überarbeitet.
Und ebenso werden diese freien Stellen für KünstlerInnen frei die vielleicht gerade ohne Engagement unterwegs sind/waren- in einer andauernden Pandemie.
Das ist leider wieder so eine unerträglich verkürzte und dumme Diskussion. Nein, nicht einer kommt, sondern viele - und die entscheiden in der Regel im Team, wie ein Haus in den nächsten Jahren aussehen soll.
Der/die Intendant*in muss nur Kraft seines/ihres Amtes die Nichtverlängerung aussprechen und durchführen - wie in jeder anderen Branche auch. Das sind nicht die Taten durchgeknallter, machtbessener ignoranter Egoshooter, das ist die grundsätzliche rechtlich-betriebliche Vereinbarung.
Ist das denn so schwer zu verstehen, liebe dauererregte Populist*innen?
was wäre denn die Alternative zum NV-Vertrag, wenn man gerne als Schauspieler/Schauspielerin am Theater arbeiten möchte? Die gibt es nicht, entweder man unterschreibt oder bleibt draußen.
Ja ! Jede Kündigung ist ein Desaster. Aber die Festangestellten sind in der Pandemie durch Kurzarbeit abgesichert worden und haben manchmal die Ruhezeit genossen, die Freischaffenden blieben auf der Straße und wurden auf Allg II verwiesen.
Die abgesicherten Theater ( durch alle Strukturen Land, Stadt, Staat) haben sich nicht positioniert, sondern nur reagiert.
Die Schere geht quer durch die Kulturszene.
JA! Für die Gekündigten ist es jetzt eine schwierige Situation, für die Freischaffenden schon seit über 1 1/2 Jahren.
Möge auch bei den Festangestellten vor der Kündigung der Blick geweitet werden auf die Schwierigkeit der Kulturszene.
Ich bin seit zwölf Jahren in einem Festengagement an einem Stadttheater, bei dem es in dieser Zeit einen Intendantenwechsel und zwei Wechsel in der Schauspieldirektion gab. Bei keinem dieser Wechsel wurde auch nur eine Nichtverlängerung ausgesprochen – dennoch gab es Fluktuation; denn die jeweiligen Leitungskräfte haben dem Ensemble deren Pläne ausführlich dargelegt und dazu gesagt: „Habt ihr Lust, da mitzumachen?“ Wer das nicht wollte, ist spätestens nach der ersten Spielzeit im neuen Konzept von selbst gegangen. Wir anderen waren durchaus froh darüber, durch die neuen Konzepte eben nicht in den Stillstand zu fallen, sondern neue Impulse zu bekommen, um gleichzeitig eine Verbindung zum lokalen Publikum zu halten und unser aufgebautes soziales Umfeld bewahrt zu wissen. Der aktuelle Schauspieldirektor sagte mir in unserem Perspektivgespräch: „Ich möchte, dass ihr eure Energie in eure Kunst steckt und nicht in die Angst, wie es für euch weitergehen soll.“
Man muss wenig Vertrauen in sich selbst und wenig Kenntnis über das neugierige Wesen von BühnenkünstlerInnen haben, wenn man deren Flexibilität für neue Konzepte nicht wahrnimmt.
Genau.
Trotzdem ist die Diskussion in der Sache am Thema vorbei: Sebastian Ritschel ist momentan in Radebeul engagiert, wie die Google-Suche verrät. Und vielleicht werden auch andere Leute, die er in leitenden Funktionen mitbringt, momentan an Häusern engagiert sein. Dass die „neuen“ Stellen also ausschließlich bisher freischaffenden KünstlerInnen zukommen werden, dürfte fraglich sein. Ist momentan aber natürlich nicht zu beantworten.
Was in der Diskussion auch untergeht, ist die Tatsache, dass es doch sowieso immer Fluktuation gibt.
Diese Fluktuation wird jedoch dadurch ausgelöst, dass Gespräche stattfinden und ein designierter künstlerischer Leiter seine Ideen von Kunst mit den KünstlerInnen teilt. Vielleicht passen diese Vorstellungen von Theater garnicht zusammen?
Denn um in dem Bild des Vorredners J.A. zu bleiben:
Die 40 Neuengagierten dürfen sich auf Vorsprechen und Arbeitsproben zeigen, sich zwischenmenschlich kennenlernen (und zwar gegenseitig) und etwas von den künstlerischen Plänen erfahren.
All dies blieb dem Regensburger Ensemble, wie es scheint, verwehrt. Und das obwohl es doch schon seit geraumer Zeit eine Diskussion um einen anderen Führungsstil und ein anderes Miteinander (Stichwort: Respekt) gibt.
Schade, dass SchauspielerInnen, SängerInnen... in diesem Falle von dem zukünftigen Intendanten offenbar nicht als KünstlerInnen, als Menschen mit Haltungen und eigenen künstlerischen Interessen gesehen wurden, sondern als Gruppe von Menschen, die es loszuwerden gilt.
„wie in jeder anderen Branche auch“…! Ach ja? Also in jedem Betrieb, jedem Unternehmern passiert das? In diesem Maße? Wohl kaum. Wer andere als „Populist*innen“ bezeichnet, sollte bitte selbst seine Aussagen prüfen. Natürlich macht Herr Ritschel von seinem Recht Gebrauch. Aber es geht doch auch um die Art und Weise, dass z. B. „so gut wie keine Gespräche geführt worden“. Da geht es um Anerkennung, Respekt, Moral und Verständnis und vor allem Stil. Andere Wechsel an Häusern, wie z.B. Dortmund, Kassel, Bern, Oberhausen,Münster… bewiesen bzw. beweisen ja, dass es durchaus besser geht. Bei aller Kritik an dem System und auch Verständnis für freischaffende Künstler*innen.
Jeder der in diesen Theatethäusern arbeitet kann einfach für immer bleiben.
Dann werden einfach nur alle 5 bis 6 Jahre die Leitungen gewechselt und fertig.
Im Falle des Intendantenwechsels erleichtert der einschlägige Tarifvertrag, also der Normalvertrag (NV) Bühne, die Beendigung des befristeten Arbeitsvertrages mit künstlerischen Theater-Mitarbeitern. Der neue Intendant oder die neue Intendantin kann die vor dem Intendantenwechsel bestehenden Arbeitsverträge mit Schauspielerinnen, Sängern, Tänzerinnen, Dramaturgen etc. durch Nichtverlängerungsmitteilung praktisch ohne nähere künstlerische Begründung beenden. Dahinter steht die Idee, dass ein neuer künstlerischer Leiter in der Entscheidung, mit wem er künstlerisch zusammenarbeiten will so frei ist, wie jeder künstlerischer Leiter eines Projektes, der für eben dieses Projekt ebenfalls die Künstler aussucht, mit dem er es realisieren will. Ob das alles richtig oder falsch ist, kann man sicher diskutieren, für diese Praxis gibt es aber gute Gründe, die vor allem in dem künstlerischen Neuanfang liegen, der mit jedem Wechsel der künstlerischen Leitung einhergehen soll. Auch die Gerichte haben das immer bestätigt.
Das immer wieder von dieser beschriebenen Möglichkeit der Nichtverlängerung extensiver als früher Gebrauch gemacht wird, ist den finanziellen Umständen geschuldet, mit denen die Theater umgehen müssen. Sie erlauben es kaum noch, dass Künstlerinnen und Künstler durch den Ausschluss von Nichtverlängerungsmitteilungen nach in der Regel 15 Beschäftigungsjahren gemäß NV Bühne in die nicht mehr zu beendende Beschäftigung hineinwachsen. Bevor also ein Intendant oder eine Intendantin am Ende vor dem Problem steht, eine Nichtverlängerung nicht mehr aussprechen zu können (das Erreichen der 15-Jahres-Frist reicht nämlich als Begründung nicht aus), setzen er oder sie lieber am Anfang der Intendanz auf neue Beschäftigungsverhältnisse.
Nun könnte man durch Änderung des NV Bühne versuchen, die beim Intendantenwechsel bestehenden Möglichkeiten der Nichtverlängerung einzuschränken. Das alles würde aber bedeuten, dass immer weniger NV-Bühne-Arbeitsverträge abgeschlossen würden und die ohnehin schon festzustellende „Flucht“ der Theater in die Projektverträge sich ausweiten würde. Die aber bieten weit weniger sozialen Schutz als der Arbeitsvertrag auf der Grundlage des NV Bühne.
Das ganze ist letztlich ein zwischen dem sozialen Schutz und der Kunstfreiheit angesiedeltes Dilemma, was sich allenfalls finanziell lösen lässt. Jedes Theater müsste durch einen Sonderfonds die Möglichkeit haben, mit Zustimmung des Rechtsträgers (Kommune oder Land) einen Teil der mit dem künstlerischen Personal abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge auch über die genannten 15 Jahre hinaus unbefristet zu verlängern, ohne das dies die Anzahl der befristet abgeschlossenen Verträge sich dadurch verringert. Die Frage ist, wer diesen Sonderfonds finanziert. Vielleicht der Bund? Die neuen Koalitionäre können es richten. Das wäre mal ein Coup der Bundeskulturpolitik.
Prekäre Arbeitswelt am Theater: Intendant kommt, Ensemble geht
Selbst an staatlichen Theatern sind die Künstler kaum davor geschützt, innerhalb kurzer Zeit ihre Jobs zu verlieren. Das zeigt das Beispiel des Theaters Regensburg. Die Betroffenen halten das für nicht mehr zeitgemäß.
https://www.br.de/nachrichten/kultur/prekaere-arbeitswelt-am-theater-intendant-kommt-ensemble-geht,T1SP0m9