Was ihr wollt - Theater Münster
Liebestoll auf dem Blütenteppich
6. November 2021. Shakespeare war, wir wissen es, ein Rüttler und Schüttler an Rollenbildern der Geschlechter. Da setzt bei "Was ihr wollt" nun die Regisseurin Julia Prechsl an und rüttelt noch ein bisschen weiter.
Von Kai Bremer

6. November 2021. Dass sich Shakespeares Komödien nicht zuletzt aufgrund des Crossdressings hervorragend eignen, um fröhlich mit Geschlechterstereotypen zu spielen, ist ja hinlänglich bekannt. Deswegen war es gewiss eine gute Idee des Theaters Münster, "Was ihr wollt" von Julia Prechsl inszenieren zu lassen, die schon in ihrer Memminger Räuber-Inszenierungen Rollenbilder ironisierte. Als Bonbon sieht die Münsteraner Aufführung vor, die beiden Geschwister Viola und Sebastian Abend für Abend gegenzubesetzen: Rose Lohmann spielte gestern Viola, ihren Zwillingsbruder Sebastian gab Paul Maximilian Schulze. Heute werden die beiden ihre Rollen tauschen.
Feuerwerk aus Wortwitz
Dieser programmatische Einfall wirft freilich die Frage auf, ob die Inszenierung es auch jenseits des Rollentauschs rechtfertigt, sich die närrische Liebeskomödie ein zweites Mal anzuschauen. Zumindest die Mehrheit des Publikums gestern, war eindeutig dieser Meinung. Sie feierte die Schauspieler:innen ebenso wie Prechsl und ihr Team im Anschluss weit frenetischer, als es sonst in Münster bei Premieren üblich ist.
Das lag sicherlich nicht zuletzt daran, dass Prechsl den komischen Figuren – also Sir Toby (Regine Andratschke), Sir Andrew (Frank-Peter Dettmann), Hofmeister Malvolio (Christian Bo Salle) sowie der Narr (Nicola Lembach) – das gesamte Arsenal an komischen Ausdrucksweisen zugestand, das Shakespeare und überhaupt das frühneuzeitliche Theater bereit halten. Die vier Darsteller:innen zündeten auf der Bühne wie im Zuschauerraum, durch den sie immer wieder liefen, ein Feuerwerk aus Wortwitz, absurdem Missverstehen, klamaukigen und obszönen Gesten, Großtuerei, übertriebenem Geheule, hysterischen Auftritten und Publikumsansprachen in einer Taktung, die wahrscheinlich der zu Shakespeares Zeiten sehr nahekommt.
Klettern, hängen, springen
Diese Liebe zum Clownesken, das den historischen Theatermitteln sehr verpflichtet ist, korrespondiert mit den zum Teil grell gefärbten Haaren, den übertrieben geschminkten Wangen, den Kostümen (Miriam Waldenspuhl) und vor allem der überzeugenden Bühne. Valentin Baumeister hat auf ihr ein halbrundes Stahlgerüst aufgebaut, das wie das dunkle Skelett von Shakespeares Theater wirkt und seinerseits in bester metatheatraler Tradition als "Globe für Arme" verspottet wird.
Auf dem Boden liegt schon zu Beginn der Inszenierung ein roter Blütenteppich, der im Verlauf des Abends immer dichter wird, weil es unaufhörlich weitere Blüten vom Schnürboden regnet. So symbolisiert die Bühne mit dem Globe aus Stahl, in dem vor allem die komischen Figuren klettern, hängen und herumspringen, und dem Blüttenteppich, auf dem sich die vier Verliebten liebestoll und leidenschaftlich wälzen, die beiden Komödien-Momente, die Shakespeares Stück so traumhaft vereint.
Das bejubelte Ensemble: Paul Maximilian Schulze (Sebastian), Yana Robin la Baume (Olivia) Nicola Lembach (Narr), Christian Bo Salle (Malvolio), Jonas Hackmann (Orsino) und Rose Lohmann (Viola) © Oliver Berg
Das Problem ist nur, dass Prechsl der Liebeskomödie phasenweise doch arg wenig Aufmerksamkeit schenkt. Zwar kommt schon bei den ersten Blicken, die die als Cesario verkleidete Viola auf Herzog Orsino (Jonas Hackmann) wirft, mehr als nur eine Ahnung auf, wie erotisch er auf sie wirkt. Doch bleibt insbesondere Schulzes Sebastian ausgesprochen blass.
Sensible Szenen
Das liegt in erster Linie daran, dass sein Retter Antonio und damit ihre gemeinsamen Szenen komplett gestrichen sind, so dass Sebastian letztlich darauf reduziert wird, dass er – das männliche Prachtexemplar des Stücks – bis zur Pause völlig unvermittelt in kurzen Szenen auftritt und anschließend lediglich Sir Toby und Sir Andrew mächtig verprügeln darf, ehe er sich schließlich den Reizen Olivias (Yana Robin la Baume) hingibt.
Zugegeben, viel mehr traut ihm auch Shakespeare nicht zu. Aber zumindest ein wenig Profil gewinnt Sebastian in den Dialogen mit Antonio schon. So hatte allein Rose Lohmann die Chance, zumindest in ein paar sensiblen Szenen zu zeigen, wie breit ihr Ausdrucksvermögen ist. Aber das wird eben nur an jedem zweiten Abend zu sehen sein. Richtig Lust, sich auch die entgegenbesetzte Inszenierung anzuschauen, kam deswegen gestern nicht auf.
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Deutsch von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: Julia Prechsl, Bühne: Valentin Baumeister, Kostüme: Miriam Waldenspuhl, Musik: Finck von Finckenstein, Dramaturgie: Cornelia von Schwerin
Mit: Regine Andratschke, Yana Robin la Baume, Frank-Peter Dettmann, Jonas Hackmann, Nicola Lembach, Rose Lohmann, Christian Bo Salle, Paul Maximilian Schulze.
Premiere am 5. November 2021
Dauer: 2 Stunde 35 Minuten, eine Pause
www.theater-muenster.com
Kritikenrundschau
Die Bühne, "ein Schauplatz purer Poesie", werde "kräftig konterkariert von einer Regie, in deren Zentrum Shakespeares Possen stehen", schreibt Harald Suerland in der Münsterschen Zeitung (8.11.2021). Gelegentlich (…) schießt diese dralle Komik etwas übers Ziel hinaus."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 07. Juni 2023 Stadt Wien erhöht Etat 2023 für Kultur und Wissenschaft
- 07. Juni 2023 Max-Reinhardt-Seminar Wien: Maria Happel tritt zurück
- 06. Juni 2023 Thüringen: Residenzprogramm für Freie Darstellende Künste
- 05. Juni 2023 Stralsund: Lesbisches Paar des Theaters verwiesen
- 05. Juni 2023 Tarifeinigung für NV Bühne-Beschäftigte
- 05. Juni 2023 INTHEGA-Preis für Schauspieler Dominique Horwitz
- 03. Juni 2023 Mülheimer Dramatikpreis 2023 für Caren Jeß
Ich war überzeugt dass ein Abend mit so einem Konzept mir diese Klischees um die Ohren haut und mich staunend und lachend macht über unsere immer noch so antiquierten Erzählweisen. Stattdessen -trotz wirklich teilweise sehr lustigen Szenen- Nur heiße Luft. Schade.
Des Weiteren war die Albernheit ein Schuss zu viel. Gerettet wurde dies vor allem im Finale. Dort wechseln gerade Viola und Orsino in ehrliche und pure Momente und die tragische Figur des Malvolio berührt.
Es sei zu erwähnen dass wir generell begeistert von den Schauspielerinnen und Schauspielern waren. Christian Salle als Malvolio überzeugt; Rose Lohmann ist stark und wir freuten uns sehr über die neuen Gesichter.
Hervorzuheben müssen wir hier Nicola Lembach als Närrin und Jonas Hackmann als Graf (Herzog).
Beide überraschten und begeisterten mit einer solch virtuosen und exzessiv wahnsinnigen Energie, die unbändig erschien und die wir in Münster am Theater ansonsten nun wirklich nicht sehen; Beide eine Wucht. Viel Applaus und gerne wieder.